Was verändert der Fake-Mord an Babtschenko?
Nach der Inszenierung eines Mordes am russischen Journalisten Arkadij Babtschenko stehen er selbst sowie Geheimdienste und politische Führung in der Ukraine weiter in der Kritik. In Kiew heißt es, die Aktion sei notwendig gewesen, um einen echten Mord zu verhindern. Europas Journalisten diskutieren die Episode weiter kontrovers und erinnern dabei auch an eine ähnliche Affäre aus Frankreich im Jahr 1982.
Die Blaupause stammt aus Frankreich
Es gab schon ähnliche Fälle inszenierter Morde, deshalb ist der jetzige Aufschrei nicht unbedingt gerechtfertigt, mahnt Politikwissenschaftler Viktor Denisenko in Lietuvos žinios:
„1982 haben die Geheimdienste in Frankreich analog das Verschwinden des rumänischen Dissidenten Virgil Tănase inszeniert, weil sie mitbekamen, dass der Diktator Nicolae Ceausescu einen Mordauftrag gegeben hat. Drei Monate haben die Franzosen Tanase versteckt und die ganze Zeit dachten alle, sogar seine engsten Mitstreiter, dass er tot war. Damals kritisierte keiner die Entscheidung Frankreichs. ... Das Wichtigste an dieser Geschichte ist, dass das Leben des Journalisten gerettet wurde. Doch das vergessen die Kritiker der Spezialoperation oft.“
Die Wahrheit ist der größte Verlierer
Inszenierungen wie die um Babtschenko sind brandgefährlich, warnt Le Soir:
„Warum wird diese lächerliche Geschichte Spuren hinterlassen? Weil sie allen möglichen Verschwörungstheoretikern und insbesondere Putins Propaganda in die Hände spielt. Man betont jetzt schon, dass der russische Doppelagent, der in Großbritannien vergiftet wurde, aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ohne dass die Ermittlungen auch nur das kleinste bisschen vorangekommen wären. Oder dass die Kommission der Vereinten Nationen, die die Chemiewaffen-Angriffe in Syrien prüfen soll, noch immer keinen Bericht abgegeben hat. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Das Risiko dabei ist, dass die Leute an gar nichts mehr glauben. Oder, und das ist noch schlimmer, dass sie irgendwann jeden Mist glauben.“
Ein Schaden für den Journalismus
Der russische Investigativ-Journalist und Geheimdienstexperte Andrei Soldatow reflektiert im Interview mit Eesti Päevaleht den Fall Babtschenko:
„Auch die höchste Führungsebene der Ukraine war eingebunden. Premier Wladimir Groisman hat Russland des Mordes beschuldigt, auch er war beteiligt. Mir war klar, dass wir den Nachrichten der Geheimdienste nicht einfach trauen sollten. Aber zuvor hätte niemand gedacht, dass wir ähnlich vorsichtig mit den Aussagen von Premierministern umgehen sollten. Da wir in einer globalisierten Welt leben, beeinflusst die Episode auch Journalisten, die weit weg von der Ukraine sind. Bei der nächsten Krise entsteht die berechtigte Frage: Wie beweist du, dass du nicht Teil einer Sonderoperation bist?“
Ukraine steht in schlechtem Licht da
Nowoje Wremja lässt zu dem inszenierten Mord mehrere Experten ihre Meinung äußern - darunter Wladislaw Dawidson, Chefredakteur von The Odessa Review. Er schreibt sichtlich getroffen:
„Vorgestern habe ich über den Mord an Babtschenko geschrieben. Gestern musste ich mich nach der Pressekonferenz bei meinen Lesern entschuldigen. Tatsächlich bin ich wütend und enttäuscht. Die schockierenden Nachrichten vom Betrug durch SBU und Staat bei der Inszenierung eines Todes haben mich unglaublich betrübt. ... Einer der prinzipiellen Vorteile der Ukraine in diesem Konflikt sind ihre Aufrichtigkeit und Anständigkeit gewesen. Doch als Folge dieses Vorfalls wird man sich in Zukunft überlegen, ob man dem ukrainischen Staat noch trauen kann.“
Wider alle Journalistenpflicht
Scharfe Kritik an Babtschenko formuliert Delfi:
„Ein Journalist darf keiner Regierung dienen. Seine Pflicht ist, dem Volk und der Wahrheit zu dienen - aber auf keinen Fall irgendwelchen Spezialoperationen. Auch wenn man sehr ehrenhafte Ziele hat. Ein unabhängiger Journalist, wie Babtschenko behauptet einer zu sein, darf auf keinen Fall einen Deal mit den staatlichen Behörden machen. Selbst wenn diese wie ein hochheiliger Orden anmuten. Denn das zerstört die Mission des Journalismus, wo der Journalist doch wie ein Wachhund sein sollte.“
Alle Wahrheiten sind erschüttert
Mit der Inszenierung des Mordes an Arkadij Babtschenko hat die Ukraine vor allem sich selbst geschadet, urteilt die Wiener Zeitung:
„Das Land, das von seinen westlichen Partnern ohnedies wegen der immer noch grassierenden Korruption kritisch beäugt wird, steht einmal mehr als chaotisch und unberechenbar da. Die Lust des Westens, mit Kiew stärker zusammenzuarbeiten, könnte sich abschwächen, wenn das Vertrauen fehlt. Das wäre aber für eine Ukraine, die aus naheliegenden Gründen die Brücken nach Russland abgebrochen hat, fatal. Für Journalisten kann die Lehre aus dem Fall Babtschenko nur lauten: Traue keinem. Wenn selbst Nachrichten über den Tod eines Menschen unter 'Fake News' fallen, wenn es nicht mehr möglich ist, offiziellen Angaben zu unbestrittenen Fakten wie einer Erschießung zu trauen, ist für politisch Interessierte der Boden unter den Füßen weggebrochen.“
Neues Kapitel in der Geschichte der Fake News
Das Vorgehen des ukrainischen Geheimdienstes zerstört nicht nur das Vertrauen in die Medien, kritisiert Vedomosti:
„Die Spezialoperation des SBU war eine traditionelle Methode der Geheimdienstarbeit. ... Doch ihre umfangreiche mediale Begleitung durch staatliche Organe hebt die Praxis der Fake News (auch wenn es Fake News für einen guten Zweck sind) auf eine neue Ebene: Offenbar war dies der erste Fall einer Inszenierung, in die derart hochrangige offizielle Vertreter des Staates involviert waren. Nach dem 'Mord' an Babtschenko wird es nicht nur ungleich schwerer, den Medien zu glauben, sondern auch offiziellen Bestätigungen von höchsten Stellen - vielleicht ist das ja wieder eine Spezialoperation? Langfristig gesehen zerstört das nicht nur das Vertrauen in 'bestätigte' Informationen, sondern verwäscht auch die schon ohnehin immer dünner werdende Grenze zwischen Realität und Lüge.“
Jetzt braucht es volle Transparenz
Der SBU behauptet, er habe mit der Inszenierung einen Mordanschlag russischer Geheimdienstler verhindert. Nun muss er so schnell wie möglich harte Beweise für seine Version veröffentlichen, mahnt Zeit Online:
„Dem russischen Staat wurde in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, in Verbrechen involviert gewesen zu sein - sei es der Fall Skripal, Morde an russischen Regierungsgegnern oder aber der Abschuss des Passagierflugzeugs MH-17 über der Ostukraine. Jedes Mal, wenn dem russischen Staat solche Vorwürfe gemacht werden, heißt es aus Moskau, dass die Beweise gefälscht sind. Die spektakuläre Inszenierung von Babtschenkos Tod dürfte für die russische Regierung ein bequemes Beispiel dafür werden, alle Anschuldigungen als 'Fake News' abzutun. Alleine deshalb wäre es wünschenswert, Babtschenko und der ukrainische Geheimdienst würden ab jetzt so transparent wie möglich handeln.“
Babtschenko ist nichts anzukreiden
Die früher lange in Russland tätige Journalistin Petra Procházková mag die Zusammenarbeit Babtschenkos mit dem ukrainischen Geheimdienst in Lidové noviny nicht verurteilen:
„Babtschenko ist persönlich vertrauenswürdig, bewies mit seinen Artikeln und seinem Leben nicht nur Tapferkeit, sondern auch journalistische Meisterschaft. Er muss keineswegs gewusst haben, was mit ihm in den vergangenen zwei Monaten geschah und weshalb. Ihm die Zusammenarbeit mit Geheimdiensten in einer Zeit vorzuwerfen, da es vermutlich um sein Leben ging, wäre unsinnig. Sicher ist bisher nur eins: er diente als Köder. Doch als solcher lebt man gefährlich.“