Europas Extremsommer: Was sind die Lehren?
Waldbrände, Ernte-Ausfälle, schmelzende Gletscher und Wassermangel sogar in den Niederlanden: Seit Monaten leidet Europa unter Hitze und extremer Trockenheit. Für Wissenschaftler ist dies eine sichtbare Folge der Erderwärmung. Schlaglichter aus den einzelnen Ländern zeugen von Besorgnis und lesen sich oft als drängende Appelle.
Unsere Kinder werden für unsere Trägheit bezahlen
In Schweden hat der heiße Sommer unter anderem dazu geführt, dass nicht mehr der von einem Gletscher bedeckte Südgipfel des Kebnekaise der höchste Berg ist, sondern der steinige Nordgipfel. Höchste Zeit, den Klimawandel zu bremsen, mahnt Dagens Nyheter:
„Unser Wohlstand ist sehr eng an fossile Brennstoffe gekoppelt. … Die strukturellen Anreize, den zunehmenden Treibhauseffekt und dessen Ursachen zu leugnen und scharfe Maßnahmen zu verzögern, sind deshalb für Politiker, Wirtschaft und normalen Bürger sehr stark. 'Systemkollaps' ist ein zu häufig benutzter Begriff in der schwedischen Debatte geworden. Aber er beschreibt das wirtschaftliche und politische Unvermögen, dem Klimawandel rechtzeitig zu begegnen. Für dieses Scheitern werden wir und vor allem unsere Kinder teuer bezahlen.“
Wenn ein Wasserland plötzlich mit der Dürre kämpft
In den Niederlanden haben die Behörden am Donnerstag erstmals einen Wassermangel ausgerufen und Maßnahmen ergriffen, um das Wasser gerecht zu verteilen. De Telegraaf beschreibt eine Zäsur:
„Es zeigt sich, dass das Land nur schlecht mit dieser Dürre umgehen kann. Und das ist auch verständlich, denn die tief gelegenen Niederlande sind von jeher daran gewöhnt, gegen Wasser zu kämpfen. Anstrengungen, um Wasser zu bewahren, sind da ungewöhnlich. Und dennoch werden die Niederlande in Forschung und Infrastruktur investieren müssen, um Wasser zu sammeln und einzusparen. Klimaforscher prophezeien, dass lang anhaltende trockene Perioden häufiger vorkommen werden. Und dieser Sommer lehrt, dass die Trockenheit nicht für jeden ein Vergnügen ist.“
Nicht immer gleich vom Klimawandel reden
Wärme allein ist kein Grund zur Panik, findet Lidové noviny:
„Wir schwitzen in diesen Tagen, aber damit wird dieses Jahr noch nicht zu einem Rekordjahr. Wir sollten auch nicht immer gleich vom Klimawandel reden. Am Ausgang der letzten Eiszeit lagen die damaligen Temperaturen um drei Grad höher als heute. Weit schlimmer ist die Kombination aus Hitze und extremer Trockenheit. Davon kann 2018 in Tschechien keine Rede sein. ... Gleichwohl genügt ein Besuch auf dem Land, um Trends zu erkennen. Selbst in kälteren Lagen, etwa auf der Böhmisch-Mährischen Höhe, geht jetzt schon die Ernte zu Ende. Die Freunde des Pflaumenbrands Slivovice jammern bereits, dass aus Pflaumen, die vor dem ersten Frost geerntet werden, kein hochwertiger Schnaps entstehen kann.“
Landwirtschaft ist Teil des Problems
Der Klimawandel erfordert auch ein Umdenken in der Landwirtschaftspolitik, erklärt Die Presse:
„[D]ie Landwirtschaft [ist] nicht nur Opfer, sondern in nicht geringem Ausmaß auch Täter in Sachen Klimawandel, der zu den Wetterkapriolen führt. 15 bis 20 Prozent der emittierten Treibhausgase kommen global aus landwirtschaftlicher Produktion. Als Klimasünder sind die Agrarier damit also durchaus auf Augenhöhe mit dem Straßenverkehr oder der Industrie. ... Statt mit automatischem Ausgleich aus dem Steuertopf die immer marktferner werdende Vollkasko-Landwirtschaft weiterzuführen, sollte man das Geld sinnvoller für die Förderung der Umstellung auf Produktionen einsetzen, die sich mit den geänderten Klimabedingungen vertragen, und für Produktionsweisen, die die Treibhausgasbelastung aus der Agrarproduktion verringern.“
Weniger Rinderfilets und Barcelona-Trips
Produkte sollten mit Informationen zum CO2-Ausstoß bei ihrer Herstellung versehen werden, fordert Politiken:
„Es ist für die Verbraucher nicht transparent, wie der Klimaeffekt von Waren aussieht. Regionale Produkte können schädlicher sein als die, die von weit her importiert werden, und der Bioanbau kann die Kohlendioxidbilanz mehr belasten, als der Anbau traditioneller Lebensmittel. Deswegen ist es nicht immer leicht, die Unterschiede zu erkennen, aber mehr Wissen und Information helfen eindeutig weiter. … Die Kennzeichnung allein wird die Welt nicht retten, aber sie kann zu einem anderen Verbraucherverhalten beitragen. Ähnliches könnte auch im Transportbereich geschehen, wo Informationen über den Kohlendioxidausstoß auf dem Flugticket stehen könnten. Dann könnten wir uns bei den Rinderfilets und den Kurztrips nach Barcelona zurückhalten.“
Verheerende Hungersnöte drohen
Der Klimawandel kann katastrophale Folgen für die Menschheit haben, weshalb sie jetzt handeln muss, drängt Hürriyet Daily News:
„Da Klimaerwärmung die Produktivität unterdrückt und ganze Regionen in Wüsten verwandelt, sind Massenhungersnöte vorstellbar. ... Es ist möglich, dass wir schnell genug reagieren, um kurz vor dem Massensterben aufzuhören. ... Wenn es darum geht, sich mit der Zukunft zu beschäftigen, kann man nur in Wahrscheinlichkeiten rechnen, und selbst die sind sehr schwer zu fassen. Die Situation ist bereits düster genug. Das sind natürlich schlechte Nachrichten, aber wenn man sich in einem Spiel mit hohem Einsatz befindet, dann sollte man wissen, was der Einsatz ist.“
Kein Interesse für langfristige Folgen
Helsingin Sanomat klagt über die Finnen, die sich während der Hitzeperiode mit Nebensächlichkeiten beschäftigen:
„Wie kühlt man die Bettwäsche, um nachts schlafen zu können? (Einen Moment in den Gefrierschrank legen.) Wieso bekommt man im Laden noch immer kein nicht-schmelzendes Eis? (Ist schon in der Entwicklung.) … Es ist symptomatisch, dass selbst während dieser außergewöhnlichen Hitzeperiode nur wenige Politiker die Erderwärmung, die Klimapolitik, unsere den Planeten belastende Lebensweise und die vielleicht schon in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts mögliche dystopische Zukunft angesprochen haben. … Ein einmaliges Wetterphänomen ist noch kein Trend, aber wir wissen mit Sicherheit, dass mit dem Klimawandel Extremwetter wie große Hitze, starke Kälte und heftige Stürme zunehmen werden.“
Arme und Alte besonders betroffen
Wer die Last der Klimaerwärmung tragen muss, erklärt Aftonbladet:
„Schweden ist für extreme Wärme nicht gerüstet - dafür ist dieser Sommer ein bitterer Beleg. Aber diejenigen, die am meisten Energie verbrauchen, die es sich leisten können, am meisten zu fliegen und am meisten zu konsumieren, werden sich ironischerweise am längsten vor der Hitze schützen können. Mit einer brummenden Klimaanlage als Schild vor der Hölle, die die Menschen ausgelöst haben. ... Die Alten sind als erste betroffen, aber die größte Last wird letztlich die Jugend, die kommende Generation, tragen müssen. ... Wie viele Grad mehr braucht die Welt, bis sich politischer Mut zeigt?“
Wie wird das Wetter morgen?
Die Folgen des Klimawandels liegen auf der Hand und sollten angesichts der Hitzewelle ins Bewusstsein gerufen werden, fordert Postimees:
„Klimaerwärmung ist ein Zukunftsszenario, dessen Folgen leichter vorherzusagen sind, als das Wetter von morgen. Größerer Migrationsdruck, Ernteausfälle für die Landwirtschaft, Zunahme von Epidemien, Erhöhung des Wasserspiegels und des Säuregehalts der Weltmeere. Auch andere Szenarien für die Klimaentwicklung sind möglich, jedoch liegen diese außerhalb der wissenschaftlichen Logik. Heiße Tage wie diese sollten uns veranlassen, darüber nachzudenken, wie das Wetter nach uns aussehen wird.“
Niemand mag sich mehr empören
Die Folgen sind für alle sichtbar, doch niemand diskutiert derzeit ernsthaft über die Klimakatastrophe, beklagt Der Bund:
„Obwohl die Wissenschaft heute viel mehr Fakten liefert, scheint das generelle Interesse am Klimawandel in der Öffentlichkeit geringer denn je. Über die abgeschmolzenen Schweizer Gletscher - allein im Jahr 2016 verloren sie einen Kubikkilometer Eisvolumen - mag sich niemand mehr empören. Überschwemmungen und Dürren sind medial zur Gewohnheit geworden. Und wer an diesen Tagen über 30 Grad Hitze vom Klimawandel redet, gilt bei Sonnenanbetern als Spielverderber. Was gibt es Schöneres als warme Tage in den Sommerferien? Dabei wäre nun der richtige Zeitpunkt, das Thema wieder in den Fokus zu rücken.“
Nicht länger am Ast sägen, auf dem wir sitzen
Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt, endlich etwas gegen den Klimawandel zu tun, fragt Libération:
„Man kann wohl problemlos sagen, dass 2018 wahrscheinlich als eines der heißesten Jahre in die Geschichte eingeht, und bestätigen wird, dass der Klimawandel wirklich bedeutet, dass der Planet sich erhitzt. ... Kann man noch eindringlicher verdeutlichen, dass der Mensch den Ast absägt, auf dem er sitzt? Kann man noch deutlicher die Dringlichkeit unterstreichen, mit der unbedingt alles getan werden muss, um die Klimaerwärmung einzudämmen? An eine Umkehrung der Tendenz glaubt ja sowieso kein Mensch mehr. Die Konferenz 2015 in Paris hat uns endlich das Gefühl gegeben, dass man sich dieser Zusammenhänge wirklich bewusst wird. Aber leider hat Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus die Hoffnung wieder zunichte gemacht.“
Wie die Hitze eine globale Krise entfacht
Die Hitzewelle kann laut Expressen dramatische politische Folgen haben:
„Russland, die Kornkammer der Welt, prognostiziert die schlechteste Ernte seit vielen Jahren. ... Ägypten ist größter Importeur von russischem Weizen, weil staatlich subventioniertes Brot für viele der 100 Millionen Einwohner ein grundlegender Teil der Ernährung ist. Schon jetzt zahlt die Regierung für den Weizenimport den höchsten Preis seit drei Jahren. Gestiegene Lebensmittelpreise haben in der Region mehrfach zu Volksaufständen geführt, so 2011 in Tunesien, wo der Arabische Frühling seinen Anfang nahm. ... Unruhen in Ägypten könnten auf die Nachbarländer übergreifen und sich auf Europa auswirken. Man denke nur an Libyen, dessen Küstenwache und Flüchtlingslager de facto die EU-Außengrenze darstellen. ... Die Extremwärme kann der Funke sein, der eine globale Krise entzündet.“
Teufelskreis der Erderwärmung
Ein tragischer Aspekt der Waldbrände ist, dass sie die Klimaerwärmung noch weiter anfachen, bemerkt 24 Chasa:
„Infolge der Brände gelangt Kohlendioxid in die Atmosphäre, was die globale Erderwärmung verstärkt. Die Aschepartikel, die auf Schnee und Eis landen, erhöhen die Absorption von Sonnenstrahlen. Das beschleunigt die Erwärmung der Antarktis - einer Region, wo das Thermometer immer schneller ansteigt. Das Schmelzen des ewigen Eises lässt Methan frei, das auch ein Treibhausgas ist. Das Besondere an den Bränden im Moment ist, dass sie an ungewöhnlichen Orten in Skandinavien ausbrechen. Die Wälder im Norden brennen so häufig wie schon seit Zehntausenden von Jahren nicht mehr.“