Was Putin und Merkel zusammenbrachte
Erstmals seit Beginn der Ukrainekrise hat Bundeskanzlerin Merkel Russlands Präsidenten Putin zu einem Arbeitstreffen empfangen. Auf Schloss Meseberg bei Berlin berieten sie mehr als drei Stunden über die Themen Syrien, Ukraine und Nord Stream 2. Details über Absprachen wurden nicht bekannt. Welche Interessen haben Merkel und Putin in ihrem Gespräch verfolgt?
Chance auf historischen Wiederaufbau
Beim Treffen Merkels mit Putin ging es um einen ernsthaften Versuch, Absprachen zum Syrien-Konflikt zu treffen, meint der Politologe Alexander Rahr in Iswestija:
„Am wahrscheinlichsten ist es, dass wir erste Ergebnisse einer für beide Seiten positiven Zusammenarbeit in der Frage einer Friedenslösung für Syrien sehen werden. ... Für Merkel wäre eine Zusammenarbeit mit Moskau in Sachen Syrien die Rettung ihrer Kanzlerschaft. Denn dann bekämen die nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge eine konkrete Perspektive für die Rückkehr in ihre Heimat. ... Wenn das alles gelingen sollte, werden wir Zeugen eines riesigen Erfolgs, denn die Wiederherstellung von Ordnung dort, wo alles zerstört wurde, gelingt äußerst selten. Man nehme nur die Beispiele Afghanistan und Irak, wo wenig klappt. Und jetzt haben Russland und Deutschland die reale Chance, die Sache zu schaukeln.“
Kremlchef in der Syrien-Falle
Beim Treffen zwischen Putin und Merkel wurde deutlich, dass Moskau europäische Hilfe beim Wiederaufbau in Syrien braucht, meint auch Der Standard. Das müsse Europa nutzen:
„Die Vorstellungen des Assad-Regimes, nur Freunde oder zumindest Neutrale - Russland, Iran, China - in Syrien investieren und verdienen zu lassen, sind illusorisch. Putin weiß das. ... Etwa 400 Milliarden US-Dollar sind nötig. Putin führte bei Merkel richtig an, dass auch die Europäer Interesse daran haben müssten, dass Syrien wieder instand gesetzt wird, Stichwort Flüchtlinge. Aber auch er selbst sitzt in der Syrien-Falle. Und das ist die Chance, Russland davon zu überzeugen, die anderen doch noch beim politischen Prozess mitreden zu lassen. Erst dann kann - und sollte - das Geld zu fließen beginnen.“
Pragmatische Annäherung
Was Merkel und Putin derzeit zusammenbringt, erklärt Zeit Online:
„Strafzölle, Handelsbarrieren, Sanktionen gegen konkrete Projekte. Merkel und Putin teilen ... ganz konkrete Interessen, und das fördert das Gespräch. Gleiches gilt für Syrien. Die Kanzlerin will verhindern, dass die Offensiven des Diktators Baschar al-Assad eine neue Flüchtlingswelle auslösen. Putin ist jemand, der auf Assad Einfluss hat. Der russische Präsident wiederum weiß, dass die Deutschen unter bestimmten Umständen bereit wären, beim Wiederaufbau Syriens zu helfen. Die deutsch-russische Erwärmung darf also niemand als Liebesaffäre missverstehen. Auch nicht als Politikwechsel. Es ist vielmehr ein Interessenausgleich mit zielgerichteter Zusammenarbeit.“
Putin ist Alternative zu Trump
Warum Merkel sich bei Putin anbiedert, hat für Lidové noviny der deutsche Außenminister Heiko Maas deutlich gemacht:
„'Wir müssen uns langfristig auf die Veränderungen der Außenpolitik der USA vorbereiten'. Laut einer Umfrage von YouGov sehen 64 Prozent der Deutschen Donald Trump als Gefahr für den Weltfrieden an, nur 16 Prozent Wladimir Putin. Russland tut seinerseits alles dafür, um diese Stimmung in Deutschland auszunutzen. ... Die Regierung Merkel sucht eine Alternative für eine Zeit, da das Amerika Trumps oder das Amerika nach Trump nicht mehr als Sicherheitsgarantie funktioniert.“
Erfolgreiche Europa-Tournee
Dass Putin direkt von der Hochzeit der österreichischen Außenministerin zu Merkel flog, beschäftigt die Deutschland-Korrespondentin von De Volkskrant, Sterre Lindhout:
„Es stellt sich die Frage, was in Zeiten der geopolitischen Kräfteprotzerei eine effektive Außenpolitik ist. Tanzen vor den laufenden Kameras hunderter Telefone in Österreich oder zähe Gespräche in einem abgeschirmten Palastgarten in Brandenburg? Ein Ding ist sicher: Putins zierliche Tanzschritte in der Steiermark werden länger im kollektiven Gedächtnis bleiben als das Cooling Down bei Angela Merkel. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass diese Begegnung ein Schritt ist auf dem Weg zu einer anderen, vielleicht besseren Beziehung zwischen Russland und der EU.“