Trauer nach Mord an bulgarischer Journalistin

Im Fall der vergewaltigten und ermordeten bulgarischen Journalistin Wiktorija Marinowa ist offenbar in Deutschland ein Tatverdächtiger gefasst worden. Der bulgarischen Staatsanwaltschaft zufolge besteht nach derzeitigem Ermittlungsstand kein Zusammenhang zwischen der Tat und Marinowas Arbeit. Europas Kommentatoren lässt der Fall nicht los.

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Deutsche Welle (BG) /

Im Ausland wird der Fall aufgebauscht

Viktoria Marinowa war keine Investigativjournalistin, klärt der bulgarische Dienst der Deutschen Welle auf:

„Marinowa moderierte eine Sendung, in der einer ihrer Kollegen ein Interview mit Investigativjournalisten führt. … Davor moderierte sie eine Lifestyle-Sendung. Das bedeutet nicht, dass sie keine gute, mutige und ehrliche Journalistin war, sondern lediglich, dass sie keine Investigativjournalistin war. … Doch erstaunlicherweise spielt nach ihrem Tod diese Tatsache keine Rolle mehr. … Westliche Medien, die anscheinend mehr über die Pressefreiheit in Bulgarien wissen als wir selbst, haben den Fall Marinowa sofort mit dem beschämenden 111. Platz Bulgariens im Ranking zur Pressefreiheit in Verbindung gebracht. … Im Ausland hat man offenbar den Eindruck, dass es in Bulgarien 'normal' ist, wenn Menschen, die gegen die Regierung sprechen, tätlich angegriffen werden.“

Dagens Nyheter (SE) /

Politiker schüren Hass auf Presse

Für Dagens Nyheter verdeutlichen die Journalistenmorde in Europa, dass man die Bedrohung für die Pressefreiheit nicht wahrhaben will:

„Der politische Wille, die Pressefreiheit zu verteidigen lässt derzeit in hohem Tempo nach - und in vielen Teilen der Welt glauben Politiker, dass sie damit punkten können, wenn sie den Hass auf Journalisten anfachen. … Dabei ist der Bedarf an seriösem Nachrichtenjournalismus dramatisch gestiegen in einer Welt, in der wir in einem ständigen Informationskrieg leben. … Weder Politik noch Journalismus sind ein Selbstzweck - sondern liegen im Interesse der Bürger. Deshalb verwundert es, dass dies nicht ein Thema für eine Krisensitzung auf internationaler Ebene ist.“

Jutarnji list (HR) /

Fälle müssen vors EU-Parlament

Die EU reagiert viel zu zögerlich auf die Journalistenmorde, klagt Jutarnji list:

„Einer der Bereiche, in denen die EU-Mitgliedstaaten negative Entwicklungen aufzeigen, ist die Pressefreiheit. ... Man nahm an, dass das Kriterium der Pressefreiheit erfüllt wurde, als die Staaten der EU beigetreten sind. Und nun darf Brüssel nicht mehr an der Erfüllung dieses Kriteriums zweifeln, egal wie die Situation ist. ... Das Europäische Parlament schenkt den Journalistenmorden in der EU durchaus Beachtung. Doch bis jetzt gibt es keine Initiative der Europäischen Kommission, auch eine Arbeitsgruppe zu gründen, die diese Fälle untersuchen soll - was insbesondere wichtig wäre, wenn es Verbindungen gibt zwischen ihnen und organisierter Kriminalität im Zusammenhang mit der Nutzung von EU-Fonds.“

Kapital (BG) /

Täter haben nichts zu befürchten

Sollte der gewaltsame Tod der Journalistin mit ihren Recherchen zusammenhängen, gibt es für Kapital keine Hoffnung, dass die wahren Täter jemals gefasst werden:

„Glauben Sie wirklich, dass die Ermittler und insbesondere der Generalstaatsanwalt zulassen werden, dass der Mord vollständig aufgeklärt wird? Und dass ein Gericht die Täter und Drahtzieher verurteilt und hinter Gitter bringt, wenn sich herausstellen sollte, dass der Mord von denjenigen in Auftrag gegeben worden ist, gegen die sich Marinowas Recherchen richteten? ... Die bulgarische Staatsanwaltschaft und die Polizei sind paralysiert. Sie sind nicht in der Lage, ihre Aufgaben professionell und gewissenhaft zu erfüllen. ... Dieser Staat ist doch vollkommen unfähig, die Sicherheit seiner Bürger und Gerechtigkeit im Falle von Verbrechen zu garantieren.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Europa muss Marinowas Tod aufklären

Dass Bulgarien es nicht schaffen wird, die Tat aufzuklären, glaubt auch der Tages-Anzeiger und fordert die EU zum Handeln auf:

„Druck und Drohungen gegen Journalisten, Androhung sexueller Gewalt, das Anzünden ihrer Autos oder das Zusammenschlagen unbequemer Journalisten sind in Bulgarien nicht selten. Wer hohen Politikern öffentlich unbequeme Fragen stellt, wird vor laufender Kamera mit Jobverlust bedroht. Marinowas Tod darf nicht dazu führen, dass andere Journalisten vor Recherchen zurückschrecken. Die Aufklärung der Tat ist eine europäische Aufgabe, Skepsis gegenüber den bulgarischen Behörden ist angebracht. Wenn Europa eine Wertegemeinschaft sein will, darf es keine rechtsfreien Räume dulden.“

eldiario.es (ES) /

Die Zensur, die der Westen nicht sehen will

Das Versprechen von Pressefreiheit hat sich für die Bürger Mittel- und Osteuropas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht erfüllt, stellt Pascual Serrano auf eldiario.es ernüchtert fest:

„Die Pressefreiheit verschlechtert sich in Osteuropa dramatisch. ... Den Bürgern hatte man nach dem Zerfall der Sowjetunion Meinungsfreiheit versprochen. Nun stellen sie fest, dass sie noch immer keine freie Presse haben. Der Unterschied liegt darin - wie schon [der polnische Journalist] Ryszard Kapuściński feststellte -, dass die grobe Polizeizensur im Kommunismus durch eine raffiniertere Zensur ersetzt wurde, die vom Markt, der Werbung und opportunistischen Politikern übernommen wird. Nur dass diese jetzt aus dem Westen nicht mehr kritisiert wird. Schließlich sind die Länder nun Teil der 'freien Welt'.“

Corriere della Sera (IT) /

Reiner Zufall?

Dies ist der dritte Tod eines europäischen Investigativjournalisten in zwölf Monaten, gibt Corriere della Sera zu bedenken:

Daphne Caruana Galicia wurde in Malta bei der Explosion einer Autobombe getötet. Ján Kuciak wurde in der Slowakei erschossen. Wiktoria wurde am Samstagabend brutal zusammengeschlagen, vergewaltigt und erdrosselt. Wie die beiden getöteten Kollegen hatte Wiktoria die Angewohnheit, Fragen zur Korruption zu stellen. Und wie Daphne und Ján recherchierte auch sie rein zufällig über die Verwendung von EU-Mitteln. ... Aber die Polizei geht von der Tat eines Sexualverbrechers aus und schließt einen Zusammenhang mit ihrer journalistischen Tätigkeit aus. ... Zufälliger Tod einer Reporterin? In Bulgarien, das in wenigen Jahren in der internationalen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen von Platz 35 auf Platz 111 Platz gesunken ist?“

Standart (BG) /

Journalisten verdienen besonderen Schutz

Medienexperte Georgi Losanow fordert in der Tageszeitung Standart angesichts der sich in letzter Zeit häufenden Gewalt gegen Journalisten in Europa mehr Einsatz für diese Berufsgruppe:

„Journalisten haben ein Recht auf besonderen Schutz, weil sie mit ihrer Arbeit einen vitalen Beitrag für das Recht der Bürger auf Information leisten - so wie es Ärzte für das Recht auf Leben tun und Polizisten für das Recht auf Sicherheit. ... Eine Gesellschaft, die zulässt, dass ihre Journalisten bedroht, geschlagen oder gar ermordet werden, ist nicht in der Lage, die Menschen zu schützen, die ihre Grundrechte verteidigen.“