Wo steht Rumänien nach dem Homoehe-Referendum?
In Rumänien ist am Wochenende das Referendum gescheitert, mit dem in der Verfassung die Ehe ausschließlich zwischen Mann und Frau festgeschrieben werden sollte. Damit die Abstimmung gültig ist, hätten sich mindestens 30 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen müssen, doch kamen nur rund 21 Prozent. Kommentatoren diskutieren weiter rege, was sich aus dem Referendum lernen lässt.
Kirche und Regierungspartei sind schuld
Was die Regierungspartei PSD, deren Chef Liviu Dragnea und auch die Orthodoxe Kirche falsch gemacht haben, erklärt Digi 24:
„Dragnea glaubte, dass die Orthodoxe Kirche das Volk zu den Wahlurnen bringen würde, und dass er mit einem erfolgreichen Referendum würde prahlen können. ... Deshalb nahm er kein Geld in die Hand, um abzusichern, dass genügend Wählerstimmen gekauft würden. Das war auch die Schlussfolgerung der Orthodoxen Kirche, deren Sprecher jetzt erklärte, Hauptgrund für den Misserfolg sei ganz einfach 'die Politisierung des Ereignisses und die Verknüpfung des Referendums mit Liviu Dragnea'. Was der Sprecher nicht sagte, war, dass auch die Kirchenvertreter darauf gesetzt hatten, dass die PSD die Leute zu den Urnen bringen würde.“
Millenials haben keine Lust auf Rückschritt
Der Journalist Gašper Završnik freut sich in Delo über das Scheitern des Referendums, weil Rumänien damit bewiesen hat, dass es zur Moderne aufschließt:
„So, wie sich Osteuropa bemüht, dem Westen in Sachen Wirtschaft zu folgen, so hat der Osten auch in Bezug auf die Achtung von Minderheiten noch einen langen Weg vor sich. Auch diesen Aspekt sollten die Akteure des politischen und gesellschaftlichen Lebens vor Augen haben, wenn sie über den Brain Drain sprechen. Ein Teil der Millennials, Vertreter der Erasmus-Generation, die die frei denkende Art auf den Straßen von London, Berlin, Madrid und Amsterdam erfahren haben, will im rückschrittlichen Sumpf sicherlich keine Wurzeln schlagen.“
EU darf Osteuropa keinen Wertewandel aufdrücken
Die EU sollte es tunlichst vermeiden, sich in gesellschaftspolitische Diskussionen - etwa um die Homoehe - in Osteuropa einzumischen, warnt die Neue Zürcher Zeitung:
„Mit kulturimperialistischer Arroganz sind die alten EU-Staaten in den späten 1990er Jahren davon ausgegangen, mit Marktwirtschaft und Demokratie auch ein bestimmtes Menschenbild zu exportieren. Das Ende der Geschichte schien erreicht, und es blieb dem Weltgeist nur noch, die liberalen Werte auch im Osten zu verankern. Das hat nicht geklappt - und es klappt auch im Westen nicht mehr. ... Es gilt in der EU der acquis communautaire, und Brüssel muss ihn überwachen. Aber das lässt immer noch viel Raum für gesellschaftspolitische Wertentscheidungen. Und diese sollen die Osteuropäer für sich treffen können. “
Homosexuelle noch mehr im Fadenkreuz
Von einem Kulturkrieg in Ostmitteleuropa spricht im Zusammenhang mit dem Referendum Pravda:
„In diesem Krieg ist die traditionelle Familie zum Hauptthema geworden. Dabei bilden sich bizarre Koalitionen, die jeder ideologischen Lehre widersprechen. Wie 2015 in der Slowakei scheiterte jetzt das Referendum in Rumänien an mangelnder Teilnahme. Obwohl religiöse Eiferer ihr Hauptziel nicht erreicht haben, hat die aggressive Kampagne zu einem verstärkten Hass gegen Homosexuelle geführt. Und schauen wir uns die Europakarte an, dann finden wir 'homophobe Inseln' nur im Osten der EU.“
Was man mit dem Geld alles hätte tun können
Am Ende dieser Abstimmung, die den Steuerzahler 35 Millionen Euro gekostet hat, haben alle verloren, findet der Schriftsteller Vartan Arachelian auf dem Onlineportal Gândul:
„Das für die Abstimmung verschwendete Geld hätte anders ausgegeben werden können. Man hätte damit Rumänien modernisieren können: Kinder fördern, die ohne Abendbrot zu Bett gehen; man hätte Krankenhäuser finanzieren können, deren Bau verschoben wird, weil das Geld für die verschiedenen Launen von Regierung und Verwaltung draufgeht. Doch der Verlust bezieht sich nicht nur aufs Geld! Sondern auch darauf, wie wir leben müssen: ... Mit Menschen, die Angst vor der Apokalypse haben, einer Koalition aus korrupten Politikern und (Nicht-)Dienern der Kirche, die statt christliche Nächstenliebe zu propagieren, den Hass anheizen. Auf diese Art und Weise verlieren wir alle.“
Parteien haben Bürger im Stich gelassen
România Liberă glaubt, dass die Parteien nicht wirklich wollten, dass das Referendum durchgeht:
„Hätten sie es gewollt, hätten wir eine massive Mobilisierung erlebt. Doch am ersten Tag beteiligten sich weniger als sechs Prozent der Wahlberechtigten - an einem Referendum, hinter dem angeblich 80 Prozent der Parteien stehen. … Wenn [PSD-Chef Liviu] Dragnea mit dieser Abstimmung etwas hätte gewinnen können, dann hätten wir das nötige Quorum schon am ersten Tag erlebt, wobei die Kritiker dann wieder gerufen hätten, dass es massive Betrugsversuche gäbe. … So bleibt das Referendum, was es immer war: ein Bürgerthema, das von allen Politikern sabotiert wurde.“
Niederlage für die Rumänisch-Orthodoxe Kirche
Das Scheitern des Referendums ist vor allem für die Rumänisch-Orthodoxe Kirche eine Niederlage, erklärt Mérce:
„Neben den Initiatoren des Referendums - der 'Koalition für die Familie', die in der letzten Zeit eine Kampagne gegen Homosexuelle betrieb ('Wenn Du nicht abstimmen gehst, werden zwei Männer Dir Dein Kind wegnehmen') - ist die Rumänisch-Orthodoxe Kirche der größte Verlierer. Sie hat alles auf ein Blatt gesetzt, um ihren Bedeutungsverlust der vergangenen Jahre aufzuhalten und zu beweisen, dass sie noch immer großen Einfluss auf die rumänische Gesellschaft hat. … Die Kirche warb aktiv für die Verfassungsänderung und orthodoxe Kleriker schreckten auch vor Erpressung nicht zurück. So drohte ein Priester beispielsweise auf Facebook, dass er die, die nicht wählen gehen, von der Segnung ausschließen würde.“
Russisch Roulette
Fremde Einflussnahme rund um das Referendum wittert das Nachrichtenportal Ziare:
„Wer verfolgt, welche Politik der Kreml gegen die EU und die USA fährt, wird sofort verstehen, dass dieses Referendum Teil der Strategie war, die Bürger gegeneinander aufzuwiegeln, vor allem durch unbedeutende Themen, die große Emotionen erzeugen können und ein großes Potenzial an Polarisierung haben. ... Es war schockierend zu sehen, wie viele intelligente Menschen in die Falle getappt sind, die gekonnt von den russischen Vertretern aufgestellt wurde, die hier vernetzt sind. Und es war noch schockierender zu sehen, wie [PSD-Chef] Liviu Dragnea und [ALDE-Chef] Călin Popescu-Tăriceanu bereit waren, mit dem Schicksal der Nation und den westlichen Werten Russisch Roulette zu spielen, nur um ihre persönlichen Probleme zu lösen.“