100 Jahre Frauenwahlrecht: Alles in Butter?
Mehrere europäische Länder haben 1918 das Frauenwahlrecht eingeführt: Großbritannien, Polen, Deutschland und Österreich. In Berlin wurde am Montag mit einem Festakt an diesen Meilenstein erinnert, wobei sich Angela Merkel für einen höheren Frauenanteil in den deutschen Parlamenten starkmachte. In den Medien wird diskutiert, wie weit die Politik in Sachen Gleichberechtigung tatsächlich ist.
Aus dem Gedenkkanon verbannt
Die Bundesrepublik behandelt den 100. Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts äußerst stiefmütterlich, bemerkt die Deutschland-Korrespondentin von Libération, Johanna Luyssen:
„Den 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts hat Deutschland an diesem 12. November ziemlich dezent gefeiert. Natürlich wurde eine offizielle Zeremonie organisiert. … In den Schlagzeilen konnte man das Ereignis allerdings nicht finden - zumal der sehr unfeministische Innenminister Horst Seehofer genau an diesem Tag seinen Rückzug als CSU-Vorsitzender ankündigte. … Das Frauenwahlrecht wurde in Deutschland eingeführt, als die Weimarer Republik ausgerufen wurde. 100 Jahre später scheint das Thema jedoch außer Acht gelassen und von der großen Gedenkprozession ausgeschlossen zu sein.“
Frankreich macht es vor
Der Tagesspiegel empfiehlt Deutschland den Blick ins Nachbarland:
„Vor allem die zu geringe Nominierung von und schlechte Listenplätze für Frauen sind verantwortlich für den geringen Anteil von Frauen in politischen Institutionen und Parlamenten; dies war schon 1919 nach der ersten Wahl eine ernüchternde Einsicht der Frauenbewegung. ... Der Frauenanteil im Deutschen Bundestag lag bis 1983 unter 10 Prozent, seitdem ist er stetig gestiegen, liegt aber immer noch deutlich um die 30 Prozent. Auf kommunaler Ebene liegt der Anteil durchschnittlich bei 25 Prozent. ... Ein Paritätsgesetz wie in Frankreich, 2000 zur Förderung des gleichen Zugangs von Frauen und Männern zu Wahlmandaten eingeführt, würde diesen Unrechtszustand endlich beenden.“
Polinnen kämpfen weiter
Unzufrieden mit dem Status quo ist auch Gazeta Wyborcza, mit Blick auf Polen:
„Polnische Frauen haben immer noch nicht alles, was sie verdient hätten. Sie verlangen mehr Gehalt, wie etwa 2007, als 3.000 Krankenschwestern vor der Kanzlei des Premiers ihr 'Weißes Städtchen' errichteten. Sie kämpfen gegen Diskriminierung in Unternehmen. Und das immer lauter, seit die Begriffe 'Diskriminierung' und 'sexuelle Belästigung' 2004 in das Arbeitsgesetz aufgenommen wurden. Sie beginnen, über Mobbing und Gewalt zu sprechen. Sie lehnen die Verschärfung des Anti-Abtreibungsgesetzes ab und organisieren Massenproteste.“