Erdoğan und Tsipras: Ein Zweckbündnis?
Griechenlands Premier Alexis Tsipras hat den türkischen Präsidenten Erdoğan besucht. Trotz vieler Streitthemen wie Zypern, Erdgasvorkommen im Mittelmeer und die Auslieferung türkischer Soldaten aus Griechenland, bemühten sich beide Staatsmänner äußerlich um Harmonie. Grund zum Jubeln sieht die Presse dennoch wenig.
Besuch ohne Folgen
Es ist klar, dass derzeit wenig Spielraum für Verbesserungen der bilateralen Beziehungen besteht, schreibt To Vima Online:
„Da sich Griechenland und die Türkei kurz vor Wahlen befinden, ist es fast sicher, dass in den kommenden Monaten keine wichtigen Entscheidungen zur Annäherung erwartet werden können. Es ist auch klar, dass der geopolitische Tumult in der breiten Region des südöstlichen Mittelmeerraums vorerst keine bedeutenden bilateralen Initiativen zulässt. Der Besuch hatte diesmal möglicherweise keine dramatischen Folgen, aber über die sozialen Segnungen hinaus und die Vereinbarung, dass ein ständiger Dialog erforderlich ist, hat er die griechisch-türkischen Beziehungen nicht einen einzigen Schritt vorwärts gebracht.“
Pragmatismus ist der beste Weg
Der Besuch von Tsipras beweist erneut, dass man in den griechisch-türkischen Beziehungen besser auf Kooperation als auf alte Feindschaften setzt, findet Hürriyet Daily News:
„Für die nationalen Interessen Griechenlands war es das Klügste, die Aufnahme der Türkei in die EU zu unterstützen. Denn eine Türkei, die versucht, sich an EU-Normen und -Standards sowie gute Nachbarschaft zu halten, ist besser, als ein feindliches Beziehungsgeflecht zwischen sich und der Türkei zu haben. Doch die Griechen sind sich ebenso sicher, dass es für die Türkei keine Möglichkeit gibt, einen vollständigen EU-Beitritt zu erreichen, solange die heutige Ein-Mann-Herrschaft und die Kultur der Konfrontation nicht durch eine funktionierende Demokratie und Versöhnungskultur ersetzt werden. “
Mutiger Tsipras
Griechenlands Premier ließ sich trotz scharfer Kritik aus der griechischen Presse nicht von seinem Treffen mit Erdoğan abhalten, lobt Kolumnistin Nagehan Alçı in Habertürk:
„Das wichtigste Thema war für ihn Zypern. Tsipras will bei kritischen Themen insbesondere bezüglich der Nutzung von Erdgasquellen mit der Türkei einen Dialogkanal eröffnen. Es scheint, dass bei dem Treffen mit Erdoğan bei diesem Thema Fortschritte erzielt wurden. ... Ich muss zugeben, beim Thema Tsipras lag ich falsch. Als er an die Macht kam, ließ ich mich von seiner populistischen Rhetorik täuschen. ... Seine Sprache mag populistisch sein, seine Handlungen jedoch sind vernünftig, klug und rational. ... Er verschließt seine Ohren vor den radikalen Nationalisten ebenso wie vor den radikalen Linken, nimmt Risiken in Kauf und wird dadurch vor allem in der Außenpolitik täglich immer stärker.“