Muss der Brexit-Deal nachverhandelt werden?

Am heutigen Donnerstag stimmt das Unterhaus über den Antrag von Premierministerin May ab, der ihr mehr Zeit für Nachverhandlungen mit der EU über den Brexit-Deal geben soll. EU-Ratspräsident Tusk hatte von London konkrete Vorschläge gefordert, um die Blockade aufzubrechen. Kommentatoren glauben, dass das Schlimmste noch verhindert werden kann.

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Wiener Zeitung (AT) /

Der Wahnsinn könnte Methode haben

Weil alle Seiten irgendetwas zu verlieren haben, könnte es letztlich doch zu einem geordneten Brexit kommen, analysiert die Politologin Melanie Sully in der Wiener Zeitung:

„Die nordirische Democratic Unionist Party will kein Referendum über ein vereintes Irland als mögliche Konsequenz eines 'No Deal'-Brexit. Der radikale Tory-Flügel will den Brexit und ein Handelsabkommen, das nur danach möglich ist. Labour sucht einen Ausweg ohne Gesichtsverlust, denn eine Brexit-Absage könnte in den Arbeiterbezirken negativ gesehen werden. ... Ein Brexit-Abschluss wäre eine Befreiung aus der Lose-Lose-Situation. Die EU will keinen 'No Deal'-Brexit und hat viel Gehirnschmalz in das Abkommen investiert. Jetzt geht es darum, eine Floskel herauszuarbeiten, die im Unterhaus mehrheitsfähig ist. Dafür muss man die sakrosankten Grundsätze der EU nicht opfern.“

Daily Sabah (TR) /

Schaden für die Bürger begrenzen

Von nun an sollten May und das Parlament an der Schadensbegrenzung arbeiten, meint Daily Sabah:

„Was auch immer in den zwei Wochen geschieht, bevor May entweder mit einem neuen Deal oder überhaupt keinem Deal ins Parlament zurückkehrt, es ist offensichtlich, dass der Brexit weiterhin ein Zeichen der Unsicherheit für beide, die EU und Großbritannien, bleiben wird. An diesem Punkt müssen verantwortungsbewusste Politiker die Rolle übernehmen, die dauerhaften Schäden für die Leben derer, die davon betroffen sind, zu minimieren, und den Menschen zu erlauben, mit ihrem Leben weiterzumachen.“

tagesschau.de (DE) /

Jetzt einen Schlussstrich ziehen

Mays Spiel mit der Zeit ist verantwortungslos, meint tagesschau.de:

„Sie schwächt jetzt schon die Wirtschaft ihres Landes, treibt Unternehmer in den Wahnsinn und internationale Firmen dazu, sich für andere Standorte und Märkte zu entscheiden. Ein harter Brexit wäre für die Briten katastrophal, in nahezu allen Bereichen. ... [Die] Risiken sind für Zockereien bis zur letzten Minute zu hoch. May muss jetzt einen Strich unter die Verhandlungen ziehen und das britische Unterhaus mit der Wahrheit konfrontieren, statt ihre bislang leeren Versprechen immer wieder zu erneuern. Wenn May nicht will, muss das Parlament sie dazu zwingen - bevor es zu spät ist und noch weiterer Schaden entsteht.“

Adevărul (RO) /

May muss sich selbst oder das Land opfern

Labour-Chef Corbyn hatte May angeboten, eine Mehrheit im Parlament für einen Brexit-Deal zu beschaffen. Als Bedingung nannte er den Verbleib Großbritanniens in der Zollunion. May steht vor einem Dilemma, erläutert Marius Chivu in seinem Blog bei Adevărul:

„Die Variante eines weichen Brexits mit Hilfe der Labour-Abgeordneten bereitet der Regierung May große Existenzschwierigkeiten. Der Verlust der konservativen Mehrheit würde die Debatte über die Absetzung Mays wiedereröffnen. ... Ein harter Brexit sichert hingegen das Überleben der aktuellen Regierung mit Hilfe der Konservativen. ... Somit steht die Premierministerin vor einer schwierigen Wahl: sich entweder verantwortungsbewusst mit einem weichen Brexit und mithilfe der Labour-Abgeordneten ein eigenes Ende zu setzen und die Regierungsmacht zu verlieren oder die Mehrheit zu halten, um nach einem harten Brexit das Desaster zu verwalten.“

The Spectator (GB) /

Gerade Frankreich kann sich No Deal nicht leisten

Frankreichs Präsident Macron sollte in den Brexit-Verhandlungen einen versöhnlicheren Kurs gegenüber London einschlagen, rät The Spectator:

„Frankreich droht beim Exportvolumen 2019 eine Einbuße in Höhe von drei Milliarden Euro, sollte es nach dem Brexit zu einem ernsthaften Bruch kommen. Damit wäre es das am meisten betroffene EU-Land nach Deutschland und den Niederlanden, wie aus einem Bericht des in Frankreich ansässigen Kreditversicherers Euler Hermes hervorgeht. Der Brexit könnte außerdem den größten Handelsbilanzüberschuss Frankreichs mit einem anderen Staat - in diesem Fall Großbritannien - in Mitleidenschaft ziehen. ... Angesichts des dramatischen Abschwungs der französischen Wirtschaft sollte sich Macron dazu entscheiden, einen versöhnlicheren Kurs in den Brexit-Verhandlungen einzuschlagen. Ein solcher würde sowohl seinem Land als auch dem Herkunftsland seines Urgroßvaters nützen.“