Kommt es zum Bruch zwischen Fidesz und EVP?
Bei der EVP stehen die Zeichen zunehmend auf Trennung von Orbáns Fidesz-Partei. Orbán verweigert eine von EVP-Fraktionschef Weber geforderte Entschuldigung für antieuropäische Äußerungen und eine Anti-Brüssel-Plakatkampagne. Am 20. März will die EVP über den Ausschluss entscheiden. Ungarische Kommentatoren diskutieren einen selbst gewählten Austritt aus der EVP.
Fidesz muss EVP verlassen
Statt Zugeständnisse an die EVP zu machen, sollte der Fidesz selbst die Fronten wechseln, fordert die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Nemzet:
„Die Volkspartei hat die Seite der Sozialisten und Liberalen gewählt. Ihren Ansprüchen will sie genügen. Dem Fidesz bleibt daher nur ein Weg: der zu neuen Verbündeten. Viktor Orbán und der Fidesz sollten aus der EVP austreten und sich mit Matteo Salvini, der österreichischen Freiheitspartei und der polnischen Regierungspartei verbünden! Das ist im Interesse Europas und der Ungarn. Es gibt keinen Grund, weiter zu warten, oder genauer, man darf auf keinen Fall länger warten. So, und nur so, kann man sich an die Spitze des Kampfes gegen die Einwanderung stellen und das Europa der Nationen sowie Ungarn schützen. Der ungarische Premier wird sich an die Spitze dieses Kampfes stellen müssen. Das folgt aus allem, was er bisher vertreten hat.“
Erstmal die Wahlen abwarten
Über einen Austritt aus der EVP sollte der Fidesz besser erst nach den EU-Wahlen entscheiden, rät das konservative Internetportal Mandiner:
„Stehen die Politik Matteo Salvinis, Jarosław Kaczyńskis und Heinz-Christian Straches der von Viktor Orbán näher, als der von Angela Merkel? Ja zweifellos, aber: Was die ungarische Regierung bisher vor noch schlimmeren Anfeindungen geschützt hat, war eben ihre Mitgliedschaft in der EVP und die Tatsache, dass sie dort stark war. Manchmal ist es sinnvoll, einen Status Quo zu sprengen, der inhaltlich leer geworden ist. Aber lohnt es sich gerade jetzt, für so eine gravierende Entscheidung die Verantwortung zu übernehmen, vor den Wahlen zum Europäischen Parlament? Wir wissen nicht, wie die Europäische Volkspartei abschneidet und auch nicht, wie die neue Rechte bei der Wahl ins Ziel kommt.“
Manfred Weber in schwieriger Lage
Die deutschen Unionsparteien werden eine sehr wichtige Rolle bei der Entscheidung der EVP spielen, betont Politis:
„CDU und CSU haben bisher versucht, die Kommunikationskanäle mit Viktor Orbán offen zu halten, und eine Frontalkollision mit ihm zu vermeiden. ... Der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber [ebenfalls CSU] befindet sich in einer besonders schwierigen Lage. Ein Ausschluss von Fidesz könnte die Kräfteverhältnisse im nächsten Europäischen Parlament zu seinem Nachteil verändern, da die EVP Sitze verliert, wenn Fidesz geht.“
Fidesz' Schicksal in der Hand der Polen
Ob die Europäische Volkspartei den Fidesz wirklich ausschließen wird, hängt auch zu einem Gutteil von der Haltung der Polen ab, analysiert das Onlineportal Azonnali:
„Zwar sind der Fidesz und die Bürgerplattform (PO) beide Mitglieder der EVP-Parteienfamilie, aber das bedeutet noch lange nicht, dass das Verhältnis zwischen den beiden Parteien eng ist. Viktor Orbáns wahrer Verbündeter in der polnischen Politik ist schon seit langem die derzeit regierende konservativ-nationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Mitglied der Parteienfamilie der Europäischen Konservativen und Reformer ist. Die PiS hat in den letzten Jahren - ähnlich wie der Fidesz - eine Reihe illiberaler Reformen durchgeführt.“
Haben Schwedens Moderate den Schuss nicht gehört?
Während die EVP Anlauf nimmt, die Fidesz-Partei auszuschließen, versäumt die schwedische bürgerliche Partei der Moderaten die entsprechende Distanzierung von den Schwedendemokraten, bemerkt Aftonbladet:
„Gestern gab [Parteichef] Ulf Kristersson in einem großen Interview bekannt, dass er eine Machtübernahme zusammen mit [den rechtspopulistischen] Schwedendemokraten nicht ausschließe. ... Wir wissen noch nicht, ob Fidesz aus der EVP-Fraktion ausgeschlossen wird. In diesem Fall treten sie jedoch wahrscheinlich der gleichen Gruppe wie die Schwedendemokraten bei. Dies bedeutet, dass die Moderaten mit Viktor Orbán brechen, weil er 'gegen die Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verstößt', während sie mit der Unterstützung seiner schwedischen Schwesterpartei versuchen, die Regierung zu bilden.“
Orbán könnte besser wegkommen als EVP
Viktor Orbán provoziert absichtlich mit der Plakatkampagne, in der Kommissionschef Juncker und George Soros angegriffen werden, glaubt Le Soir:
„Bei seiner jüngsten Provokation, die der EVP-Spitze übel aufgestoßen ist, scheint es sich um eine entschlossene Initiative des ungarischen Premiers zu handeln, die seinen Ausschluss aus der mächtigsten politischen Familie Europas auslösen soll. ... Nach seinem Rauswurf wird er offen die Rolle spielen, nach der er strebt: Er wird sich der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer anschließen und diese beherrschen. Die früher euroskeptische EKR wird bald sicher auch Salvinis Lega aufnehmen und zu einer souveränistischen und fremdenfeindlichen Kraft werden. Der EVP bleibt indes nur übrig, für ihr eigenes, aber auch das Wohl Europas zu hoffen, dass sie in dem Abenteuer ihre Seele nicht endgültig verloren hat.“
So erbärmlich wie lächerlich
Schlimm, dass die EVP erst jetzt einen Grund sieht, gegen die Fidesz-Partei vorzugehen, findet das linke Onlineportal Mérce:
„Man kann schreiben, dass die Europäische Volkspartei Viktor Orbán jetzt in die Knie gezwungen hat, oder auch, dass Orbán die Kritik der Volkspartei bisher geschickt ausgedribbelt hat. Aber in Wahrheit ist nichts davon wichtig. Denn dass die Volkspartei sich ausgerechnet jetzt über die ungarischen Plakate aufregt und es fast zum Bruch mit Fidesz kommen lässt, ist so erbärmlich wie lächerlich. Die Europäische Volkspartei hat nicht damit ein Problem, dass diese Plakate Hass schüren, sondern damit, dass eines der wichtigsten Gesichter der Volkspartei auf ihnen zu sehen ist, der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker. Das regt sie so auf.“
Die EVP im Dilemma
Den Hauptgrund für das lange Zögern der EVP, sich womöglich von Fidesz zu trennen, benennt Pravda:
„Die EVP ist zwischen zwei Mühlsteine geraten. Zwar stellt sie momentan mit 218 Abgeordneten im Europaparlament die stärkste Fraktion. Sie ist aber in den vergangenen drei Wahlen immer schwächer geworden und befindet sich damit in einem großen Dilemma. Auf der einen Seite sind da die Werte, die sie vertritt. Auf der anderen Seite aber die Befürchtungen, dass sie nach einem Ausschluss von Fidesz potenziell zwölf Stimmen im Parlament verlieren könnte. Und das, wo möglicherweise jede einzelne Stimme entscheidend sein kann. Womöglich aber hat Orbán mit seinen Worten von den 'nützlichen Idioten' das Dilemma etwas verringert.“
Nicht auch noch Europaparlament spalten
Welche Gefahren ein Ausschluss birgt, skizziert auch Expressen:
„Wenn die Fidesz-Partei stattdessen mit der italienischen Lega und der polnischen Pis zusammengeht, erhöht sich das Risiko, dass Nationalisten und Rechtspopulisten wichtige Reformen im Europaparlament blockieren. In einer Union mit 28 Mitgliedsländern kann man nicht nur mit feinen Liberalen zusammenarbeiten. Die Frage ist, wie streng in den Fraktionen die Anforderungen an eine Unbeflecktheit gehen müssen. ... Wenn zu viele Parteien ausgeschlossen werden, besteht die Gefahr, dass die Parteigruppen ihre einende Kraft verlieren. Die Spaltung zwischen den Ländern in Ost und West ist bereits zu erahnen und würde wohl kaum nachlassen, wenn die Parteien sich im Europaparlament entlang der gleichen Konfliktlinien formieren.“
Westeuropa sollte vor der eigenen Haustür kehren
Mit dem Finger notorisch auf Osteuropa zu zeigen ist nicht mehr zeitgemäß, findet The Times:
„Autoritäre Politiker, Betrüger und Populisten sind [in Osteuropa] nicht deshalb erfolgreich, weil ihre Botschaft so gut ankommt, sondern weil die gemäßigte politische Konkurrenz so schwach ist. Generell ist jedoch eines zu beobachten: Die alte Ost-West-Trennung Europas wird immer unbedeutender. Eine Demokratie, die tatsächlich in Gefahr zu sein scheint, ist die italienische. Dort wurde kürzlich bekannt, dass die Lega, die Partei von Vizepremier Matteo Salvini, von Russland finanziert wurde. Frankreichs aggressive Gelbwesten suchen in den früheren kommunistischen Staaten ihresgleichen. Auch die britischen Europa-Neurosen werden [in Osteuropa] kaum verstanden. Viele Länder fechten Kämpfe mit Brüssel aus. Doch niemand hat so reagiert wie wir Briten.“
Juncker geht zu weit
Für gefährlich hält Der Standard Junckers Forderung:
„Der Christdemokrat fordert seine Parteienfamilie, die EVP, dazu auf, Orbáns Fidesz auszuschließen. Das mag persönlich verständlich, sogar sympathisch sein. Aber Juncker ist Präsident der Kommission, kein Parteipolitiker. Er sollte über Parteien stehen, sich nicht in Wahlkämpfe werfen. Das schwächt nur die unabhängige Rolle der Kommission. Wenn Juncker glaubt, dass Orbán und Co gegen die EU-Charta verstoßen, könnte er sofort ein Verfahren einleiten. Für die EVP wäre ein Ausschluss Orbáns strategisch jedenfalls heikel. Laut Prognosen wird sie im Mai deutlich an Stimmen verlieren - so wie die Sozialdemokraten auch. Die Fraktion der radikal Rechten im EU-Parlament würde durch die Aufnahme von Fidesz deutlich gestärkt werden.“
Nicht rauswerfen, sondern ächten
Ein Ausschluss der Fidesz-Partei aus der EVP würde nicht helfen, glaubt Zeit Online:
„[D]ie Gelegenheit, sich zum gesamteuropäischen Märtyrer zu stilisieren, sollte man Orbán nicht geben. ... Wer ihn bekämpfen will, der hat eine Vielzahl anderer Möglichkeiten. Das gilt für die Europäische Union, das gilt für die EVP, das gilt für die Mitgliedsstaaten der Union. Sie alle können Orbán auf unterschiedlichen Ebenen zusetzen. Man ... kann ihn finanziell an die kürzere Leine nehmen, man kann ihm die große Bühne verwehren, man kann auch ohne ihn zu den Ungarn sprechen, man kann diesen Mann also auf eine ebenso stille wie effiziente Weise ächten.“
Mit dieser Partei gibt es keinen Dialog
Die EVP schadet sich selbst und dem europäischen Parlamentarismus, indem sie die Fidesz-Partei in ihren Reihen behält, kritisiert Sega:
„Anfangs konnte man zwar schwer erkennen, dass Orbán von Natur aus ein Nazi ist. Doch die Züge eines Diktators waren bereits unverkennbar. Die EVP tat dies als vorübergehende Laune ab und sah darin nichts, was die EU in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückwerfen könnte. Ohne Aufsicht und Kontrolle gelassen, machte Orbán jedoch weiter. Dennoch gibt es in der EVP immer noch Politiker, die glauben, dass es besser wäre, wenn Orbáns Partei Fidesz in den Reihen der EVP bleibt, damit der Dialog nicht abbricht. … Das Problem ist jedoch, dass es gar keinen Dialog gibt.“
Jetzt reicht es sogar der Union
Mit der Distanzierung sogar von CDU/CSU hätte der ungarische Regierungschef wohl nicht gerechnet, glaubt Gazeta Wyborcza:
„Für Orbán ist die Reaktion sicherlich ein Schock. Mit Angela Merkel verband ihn eine raue Freundschaft. Der ungarische Premier kritisierte die deutsche Kanzlerin gnadenlos für ihre Entscheidung vom September 2015, als Deutschland beschloss, alle Flüchtlinge der Balkanroute aufzunehmen. Laut Orbán brachte Merkel auf diese Weise eine Katastrophe nach Europa. Tatsächlich hat Merkel Ungarn vor einer humanitären Katastrophe gerettet. … Merkel nahm Orbáns Angriffe mit stoischer Ruhe auf. Sie traf ihn danach weiterhin sehr oft.“
Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns
Die Regierung Orbán sieht in allem und jedem einen Feind, erklärt Népszava:
„Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, genauer: gegen das Land. Diese Haltung offenbart sich in einer nicht enden wollenden Dauerkampagne. Belehrungen und Kritik aus dem Ausland, wie jene Junckers, werden als ungarnfeindliche Weltverschwörung wahrgenommen, hinter der selbstredend der böswillige George Soros steht. Jeglicher Korruptionsverdacht, der vonseiten der Medien gegenüber der Regierung geäußert wird, wird ebenfalls als Teil dieser großen Verschwörung abgetan. Mithin ist es vollkommen selbstverständlich, dass die Regierung sich im Interesse des Landes verteidigt. Hierzu gehört eben auch ihre permanente 'Aufklärungskampagne'. Auf Großplakaten, im Fernsehen und in den immer zahlreicher werdenden regierungstreuen Medien.“