Wie ernst gemeint ist Nasarbajews Rückzug?
Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew hat nach fast 30 Jahren an der Spitze der Ex-Sowjetrepublik sein Amt niedergelegt. Bis zur Neuwahl 2020 übernimmt Parlamentschef Kasym-Schomart Tokajew das Amt. Kommentatoren ziehen Bilanz über seine Regierungszeit und analysieren seine Rückzugspläne.
Vater des modernen Kasachstans
Neatkarīgā findet viele lobende Worte für Nasarbajew:
„Er war ein charismatischer Führer, der im richtigen Moment immer am richtigen Ort war. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wirtschaftskrise gelang es ihm, aus seinem Land den modernsten Staat Zentralasiens zu machen. Auch wenn Nasarbajew autoritär war im Bereich der demokratischen Freiheit und bei der Einhaltung der Menschenrechte, bleibt Kasachstan doch ein Vorbild für alle anderen zentralasiatischen Staaten. ... Dank seiner Initiative wurde Kasachstan zum Platz, an dem die größten Religionen der Welt in einen Dialog treten können. Sein Hauptverdienst war eine ausgewogene Außenpolitik und stabile Partnerschaften mit Russland, China, der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten.“
Der Staat bin ich - und mein Clan
Der von Echo Moskwy übernommene anonyme linke Telegram-Blog SerpomPo empört sich angesichts des kasachischen Beispiels über die Usurpation in vielen ex-sowjetischen Republiken:
„Nasarbajews 'Rücktritt' erinnert in seiner Unverschämtheit nur an die Rochade Putin-Medwedew-Putin oder die Krönung des Khans Alijew junior anstelle von Alijew senior in Aserbaidschan. Überall, wo nach dem Zerfall der UdSSR 'Souveränität', 'traditionelle Werte', der 'eigene Weg' und die Ablehnung der westlichen liberalen Demokratie herrschen, ist ein und dasselbe zu beobachten: ein rechtloses, von Propaganda zugedröhntes, armseliges und gespaltenes Volk und eine zu Reichtum gelangte, unaustauschbare Spitze, die die Macht von einer befreundeten oder verwandten Hand in die andere jongliert.“
Das könnte den Kremlführer inspirieren
Nasarbajews langsamer Machtverzicht könnte Putin als Vorbild dienen, meint Helsingin Sanomat:
„Nasarbajew zeigt jetzt ähnlichen Führern, wie das Präsidentenamt auch abgegeben werden kann. Diese Woche gab er seinen Rücktritt bekannt, für den er gesundheitliche Gründe anführte. Bei einem 78-jährigen Staatsmann kann dies durchaus stimmen. Der Rücktritt ist jedoch gut vorbereitet. Und Nasarbajew gibt auch nicht alle Macht ab. Er bleibt beispielsweise weiterhin Vorsitzender des Sicherheitsrates. Nasarbajews Tochter Dariga Nasarbajewa wird diese Woche Vorsitzende des Oberhauses. Falls Nasarbajews Modell funktioniert, könnte es zum Beispiel auch für den russischen Präsidenten Wladimir Putin interessant sein.“
Korrupte Seilschaften sind robust
Ob der Rückzug des "lebenslangen Führers" Nasarbajew aus dem Präsidentenamt Kasachstan wirklich hilft, bezweifelt die Neue Zürcher Zeitung:
„Die Übergabe des Präsidentenamts an einen erfahrenen Staatsmann, den 65-jährigen früheren Ministerpräsidenten, Aussenminister und Parlamentsvorsitzenden Kasym-Schomart Tokajew, bietet Gewähr für Kontinuität. Zugleich behält sich Nasarbajew als Leiter des Sicherheitsrates und dank seinem lebenslänglichen Status als 'Führer der Nation' ein Vetorecht in allen wichtigen Fragen vor. Ob diese Konstruktion einen gangbaren Weg aus dem kasachischen Machtdilemma weist, ist ungewiss. Die Gefahr einer Verknöcherung des Regimes in Astana und einer Bewahrung korrupter Seilschaften bleibt bestehen. “
Der Wechsel ist nur Dekoration
Auch für Polityka ändert der Rücktritt Nasarbajews wenig:
„Nasarbajew hat auf seinen langjährigen engen Kollegen Kasym-Schomart Tokajew als potenziellen Nachfolger verwiesen. ... Der scheidende Präsident sagte, er sei die richtige Person, um das Land zu regieren. Übrigens fügte er hinzu, dass er selbst in der Nähe bleibt. Er bleibt Vorsitzender des Sicherheitsrats und Anführer der Partei. Experten meinen, es ändert sich wenig in Kasachstan. Die Ernennung Tokajews zum Präsidenten kann nur Dekoration sein. Nasarbajew schwächte kürzlich die Befugnisse des Präsidenten, indem er einige davon an das Parlament abgab. Daher kommt die Hypothese, dass er weiterherrschen will, nach dem Modell von Deng Xiaoping, ehemaliger Anführer der Volksrepublik China, der die volle Kontrolle hatte, aber offiziell nur der Leiter des Sportverbandes war.“
Nasarbajew immer vorbildlich gegenüber Russen
Radio Kommersant FM würdigt Nasarbajew vor allem für seine ausgleichende Politik im Fall der großen russischen Minderheit:
„Nasarbajew bekam immer 'Unterstützung' durch junge Nationalpatrioten, die Flausen im Kopf haben. Da wurden absolut verantwortungslose Forderungen nach der Verdrängung der russischen Sprache und dem Kampf gegen den angeblich zu starken Einfluss Russlands laut. Man muss Nasarbajew lassen, er hat sich dagegen immer gewehrt. Kasachstan ist in Sachen innerethnischer Beziehungen beinahe vorbildlich im postsowjetischen Raum. ... Doch die Zeit arbeitet in diesem Fall nicht für uns, weil Astana zum Westen immer engere Beziehungen aufbaut und sich auch immer weiter China annähert. ... Dabei hat Astana geopolitisch gesehen gar keine andere Wahl, als enge korrekte Beziehungen zu Moskau zu pflegen.“