Brexit: EU gewährt Nachspielzeit
Die EU 27 haben eine Verschiebung des Brexit genehmigt. Allerdings nicht um drei Monate, wie Theresa May erbeten hatte, sondern nur um zwei Wochen. Kommende Woche soll das britische Parlament ein drittes Mal über das Austrittsabkommen entscheiden. Nimmt es dieses an, will die EU weiteren Aufschub bis zu den Europawahlen gewähren. Die Presse-Kommentare zeigen deutlich: Es geht nun um alles oder nichts.
Besser Mays Deal als gar kein Brexit
Die Brexit-Hardliner setzen den Austritt aufs Spiel, warnt Kolumnist Rod Liddle in The Sun:
„Einige EU-Gegner im Parlament glauben, dass wir auch ohne Abkommen aus der EU rauskommen, und dass in einem solchen Fall die Regeln der Welthandelsorganisation WTO zur Anwendung kommen würden. Ich glaube, da machen sie sich etwas vor. Zwei Drittel der Unterhausabgeordneten sind GEGEN einen Austritt aus der EU. Sie werden das also schlicht nicht zulassen. Die EU wiederum will mit allen Mitteln Großbritannien als Exportmarkt für ihre Güter erhalten. Sie wird ebenfalls sicherstellen, dass es nicht zu einem No-Deal-Brexit kommt. Unsere EU-Kritiker haben schon Recht, Mays Deal ist schrecklich. Doch wenn es zu einer weiteren Abstimmung im Unterhaus kommt, sollten sie sich die Nase zuhalten und dafür stimmen.“
Dann lieber ein Ende mit Schrecken
Die EU darf sich auf keinen Fall vom britischen Chaos anstecken lassen, warnt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Denn noch schlimmer als ein ungeregelter Brexit wäre es, wenn der Versuch, doch noch zu einer einvernehmlichen Trennung zu kommen, in einer Lähmung der Institutionen und einer Handlungsunfähigkeit der EU endete. Sie hat schon zu lange zu viele andere Fragen von großer politischer Bedeutung vernachlässigt, London übrigens auch. Wenn das britische Parlament weder einen ungeregelten Austritt will noch einen geregelten Austritt auf der Grundlage des ausgehandelten Vertrags, dann sollte London die Austrittserklärung zurücknehmen und noch einmal das Volk befragen. ... Für die EU aber muss in jedem Fall die alte Devise gelten: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“
Irland sollte nicht auf Backstop beharren
Dublin sollte notfalls auf die Auffanglösung zur Verhinderung einer inneririschen Grenze verzichten, um die Zustimmung des Unterhauses zu einem geordneten Brexit sicherzustellen, rät The Irish Independent:
„Im Falle eines No-Deal-Brexit wird Irland in wirtschaftlicher Hinsicht höchstwahrscheinlich noch mehr Einbußen erleiden als Großbritannien, weil es noch viel stärker vom Handel sowohl mit Großbritannien als auch mit dem Kontinent über die britische 'Landbrücke' abhängt. Ein No-Deal-Brexit würde überdies augenblicklich eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland und eine entsprechende Krise schaffen. Doch genau das sollte der Backstop ja für alle Zeit ausschließen. ... Weiter auf einer Position zu beharren, die zu etwas führt, das eigentlich verhindert werden sollte, ergibt keinen Sinn.“
Brüssel hat von Mays Spielchen die Nase voll
Dass Donald Tusk einen kurzen Aufschub des Brexit an die Bedingung geknüpft hat, dass das Unterhaus den Brexit-Deal Theresa Mays kommende Woche annimmt, kann The Guardian nachvollziehen:
„Aus dem Ultimatum spricht der Frust, den May in den europäischen Hauptstädten erzeugt hat. Die politischen Führer der EU können die britische Innenpolitik medial mitverfolgen. Sie sehen, dass die Regierungschefin keine Kontrolle über ihre Partei hat. Sie wissen, dass Zugeständnisse an sie sinnlos sind, weil sie diese an das unersättliche Monster der paranoiden Euroskepsis verfüttert und dann zurückkommt und um noch mehr bettelt. Die EU hat klar gemacht, dass May einen Brexit-Aufschub nicht dazu nutzen sollte, sich weiter im Kreis zu drehen. Doch genau das verspricht ihr briefliches Ansuchen um Aufschub. May bittet in dem Brief um Erlaubnis darum, ein Spiel weiterspielen zu dürfen, das sie bereits verloren hat.“
Fatales Dribbling mit der Brexit-Zeitbombe
Bei der Verschiebung des Brexit spielt die britische Premierministerin Theresa May weiterhin ein gefährliches Spiel auf Zeit, warnt Die Presse:
„[D]ie Briten können nicht länger als bis Ende Juni in der EU verbleiben, ohne Europaabgeordnete zu stellen. Und sollte die EU Mays Ansuchen um Aufschub eine Absage erteilen, wäre die Premierministerin ebenfalls im Vorteil - und das Unterhaus mit demselben Dilemma konfrontiert. Denn die Brexit-Zeitbombe muss vor dem 29. März entschärft werden, damit Großbritannien nicht mit einem lauten Knall aus der EU fliegt. Mit dem Rücken zur Wand werde eine knappe Mehrheit für das vorliegende Abkommen stimmen, lautet Theresa Mays Kalkül. Dass die Brexit-Ultras mit dem Plan gut leben können, macht deutlich, wie brandgefährlich diese Strategie ist. Denn anders als May kalkulieren die Europagegner mit einer knappen Abstimmungsniederlage.“
1604 gab es die EU doch noch nicht mal
Fast schon amüsiert ist Público angesichts dessen, dass Unterhaus-Sprecher Bercow mit einer Regel aus dem Jahr 1604 ein drittes Brexit-Votum zu blockieren versucht:
„Der Brexit hat die Meisterleistung vollbracht, ein Land in eine Verfassungskrise zu stürzen, das nicht einmal eine schriftliche Verfassung hat. ... Nun stellt sich die Frage: Warum sollte die EU zur Lösung dieser Krise beitragen, wenn bereits bekannt ist, dass die Reaktion auf der anderen Seite des Ärmelkanals nur die sein wird, die EU in irgendeiner Weise zu beschuldigen? ... Für die Euroskeptiker besteht die EU aus Dummköpfen und Inkompetenten, die entweder keine Ahnung haben - oder eine machiavellistische und clevere Strategie verfolgen. ... Doch der EU kann man nun wirklich nicht vorwerfen, in die Bücher des britischen Parlaments eine Regel geschrieben zu haben, die bereits 388 Jahre vor der Gründung der EU bestand.“