Was tun mit den Kindern der IS-Kämpfer?
Syrischen Kurden haben vor rund einer Woche insgesamt knapp 30 Kinder früherer IS-Kämpfer an Frankreich und die Niederlande übergeben. Ob man Kinder von getöteten oder inhaftierten Kämpfern der IS-Terrormiliz in die Heimat ihrer Eltern zurückführen sollte, beschäftigt derzeit die Kommentatoren in mehreren europäischen Ländern.
Westen darf sich nicht verteufeln lassen
Auch Schweden hat Kinder in den IS-Gefangenenlagern. Sieben davon wurden bereits nach Göteborg gebracht. Über rund 20 weitere besteht Ungewissheit. Dass sie Nachkommen von radikalisierten IS-Kämpfern sind, spielt für Dagens Nyheter keine Rolle:
„Auf der einen Seite ist der Westen der Teufel, auf der anderen Seite erwarten die Islamisten einen erstklassigen Service und Mitmenschlichkeit. Fast jeder hat Selbstmitleid und kann nicht verstehen, wie das Heimatland, das man im Stich gelassen hat, jetzt einen selbst im Stich lässt. Das Risiko ist hoch, dass sie diese Werte jetzt auf ihre Kinder übertragen. Aber das ist doch ein weiterer Grund dafür, die Kinder nach Hause zu bringen. Denn jeder Tag, den sie im Lager zubringen, ist ein Tag mit Erwachsenen, die schädlich für sie sind.“
Die Kinder tragen keine Schuld
Der finnische Staat muss für seine Bürger und insbesondere für seine Kinder sorgen - unabhängig davon, ob deren Eltern Verbrecher sind oder nicht, betont Hämeen Sanomat:
„Die Schuld für Verbrechen gegen die Menschlichkeit kann nicht auf Kinder geschoben werden. Falls diese Kinder die finnische Staatsbürgerschaft haben, sollte sich überhaupt nicht die Frage stellen, ob man sich um sie kümmern muss. Zum Glück handelt es sich nicht um eine große Gruppe. Es sollte daher nicht unmöglich sein, jeden Fall einzeln genau zu untersuchen. Das internationale Recht muss die für Gräueltaten Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Finnlands erste Aufgabe besteht nicht darin zu urteilen, sondern seinen in Not geratenen Bürgern zu helfen.“
Lieber kontrolliert heimholen
Der bisherige Staatssekretär für Asyl, Theo Francken von der flämischen rechten N-VA, hat die Rückkehr von Kindern von IS-Kämpfern kritisiert und vor einem Sicherheitsrisiko gewarnt. De Morgen wirft ihm Zynismus vor:
„Wir wüssten schließlich nicht, ob so ein sterbendes Kind wirklich ein Belgier ist. Als ob es sich das Kind leisten könnte, die hundertprozentige Gewissheit über seine Nationalität abzuwarten. Wir müssten uns fragen, ob diese Kinder deradikalisiert werden können, so Theo Francken. ... Es ist eine Art von Dehumanisierung bedrohter Kinder, sagt Heidi De Pauw, Direktorin von Child Focus. Ein schmutziges Spiel also, obwohl es ihrer Ansicht nach einfach ist: Entweder holen wir die Kinder von IS-Kämpfern hierher und beobachten und begleiten sie. ... Oder wir warten, bis die Kurden die Tore öffnen und die IS-Witwen heimlich hierherkommen. Ohne Beobachtung und Begleitung.“
Extremismus mit Menschlichkeit besiegen
Rund 50 Kinder von belgischen IS-Kämpfern sitzen gefangen in Lagern im Irak oder in Syrien. De Morgen fordert, dass sie so schnell wie möglich zurückgeholt werden und verweist auf Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg:
„Unser Land sollte auch seine Lektion gelernt haben aus den Fehlern der Kollaboration und Repression nach dem Zweiten Weltkrieg. Kinder von (mitunter ehemaligen) IS-Mitgliedern sind Opfer der gewalttätigen Sekte, die ihre Eltern einverleibte. Genau so wie die Kinder von Flamen oder Wallonen, die einst mit der mordenden Waffen-SS an der Ostfront kämpften, Opfer waren. Wenn wir diese Kinder nun im Stich lassen, wird das noch jahrzehntelang für Unfrieden sorgen. Wenn wir jetzt unsere Menschlichkeit zeigen, besiegen wir den Extremismus.“
Der Fokus stört
Auch Schriftsteller Håkan Boström zieht in Göteborgs-Posten den historischen Vergleich und beschreibt mit einem Gedankenspiel sein Unbehagen:
„Stellen wir uns einmal vor, es ist Sommer 1945 und die schwedischen Zeitungen sind voller Reportagen über die Kinder schwedischer SS-Freiwilliger, die an der Ostfront geblieben sind. Leitartikel fordern, der schwedische Staat müsse diese Kinder heimholen, und letztlich auch deren Eltern. ... Wird diesen SS-Kindern mehr Platz eingeräumt als den jüdischen Opfern der Nazis, von denen viele just Kinder waren, läge der Schluss nahe, die schwedische Öffentlichkeit oder zumindest ihre Repräsentanten wären gefühlskalte Deutschen-freundliche Mitläufer. Sicher, ihr habt Recht mit euren Einwänden. Wir können unsere Abscheu gegenüber den Nazis nicht auf deren Kinder übertragen. ... Ich habe keine Antwort. Dennoch gibt es da etwas, das stört. Irgendetwas stört an diesem Fokus auf die SS-Kinder.“