Wie politisch ist der Eurovision Song Contest?
In dieser Woche findet in Tel Aviv der Eurovision Song Contest unter dem Motto "Dare to Dream" statt. Bereits seit Monaten rufen pro-palästinensische Aktivisten und Unterstützer der Anti-Israel-Kampagne BDS zum Boykott auf. Für Kommentatoren ein Anlass, sich die politischen Hintergründe des Gesangswettbewerbs anzuschauen.
Israel will von seinen Verbrechen ablenken
Warum sie findet, dass der diesjährige ESC boykottiert werden sollte, erläutert die Pro-Palästina-Aktivistin Zoë Lawlor in TheJournal.ie:
„Trotz der Beteuerungen, der Song Contest sei irgendwie 'unpolitisch', setzt Israel das Thema Kultur schon lange für Propagandazwecke ein. Der rechtsextreme Regierungschef Benjamin Netanjahu bezeichnete die Song-Contest-Siegerin vom Vorjahr, Netta Barzilai, als 'Israels größte Botschafterin'. Illegale Siedlungen werden weiter gefördert. Und man scheut nicht davor zurück, Millionen für einen Auftritt Madonnas auszugeben. Das alles zeigt klar und deutlich, dass Israel die Veranstaltung als einmalige Gelegenheit sieht, seine Verbrechen gegen das palästinensische Volk weiß und rosa zu waschen. Wobei ich mit 'rosa waschen' Israels zynische Bemühungen meine, mit dem Einsatz für die Rechte Homosexueller von seiner Kolonialisierung durch Siedler abzulenken.“
Politik, nicht Qualität entscheidet
Eine politische Dimension hat der ESC nicht erst seit diesem Jahr, erinnert Echo 24:
„Die Politik hat beim Contest schon immer eine Rolle gespielt, schon allein wegen des Abstimmungssystems. Häufig entschied nicht die Qualität eines Interpreten, wichtiger waren immer schon politische Bündnisse. Die Skandinavier, die Balkanländer und die postsowjetischen Staaten halten jeweils zusammen. Auch der 'imperiale' Block Großbritannien, Irland und Malta funktioniert, die Türkei wiederum kann sich auf ihre Diaspora in Deutschland verlassen. 2016 gewann die Ukraine - als Reaktion auf die Okkupation der Krim. Und wenn Europa mal kein politisches Problem hat, gewinnen bizarre Gestalten wie 2014 die bärtige Conchita Wurst.“
ESC führt zusammen
Der ESC besitzt ein starkes verbindendes Element, lobt Helsingin Sanomat:
„Der Eurovision Song Contest ist Teil der in den 1950er Jahren begonnenen geistigen Integration Westeuropas. Auch wenn der ESC kein staatliches Projekt ist, so hat der Wettbewerb doch immer auch die aktuelle politische Lage reflektiert. Der große Wendepunkt war der Fall der Mauer inmitten Europas. Danach ließ sich beobachten, wie sich Russland dem Westen annäherte oder wie sich seine Beziehungen zu den Nachbarländern verschlechterten. … Derzeit reißen viele Kräfte die Staaten Europas auseinander. Aber auch wenn die Kontroversen in den Liedern deutlich wurden, so führt der Wettbewerb die Länder weiterhin zusammen.“