Wieso verschärft Alabama Abtreibungsverbot?
In Alabama gibt es künftig nur noch einen Fall, in dem eine Abtreibung erlaubt ist: Das Leben der Schwangeren ist akut gefährdet. In dem republikanisch regierten, tief religiösen Bundesstaat wird das restriktivste Abtreibungsgesetz der USA eingeführt, selbst nach Vergewaltigungen sind Abbrüche dort künftig verboten. Journalisten sind entsetzt und spekulieren über die Hintergründe der Gesetzesnovelle.
Volle Kraft rückwärts
So sieht gesellschaftlicher Rückschritt aus, urteilt der Tages-Anzeiger:
„[D]ie Stellung der Frau [verschlechtert sich] auf eine Weise, die man im Jahr 2019 nicht mehr für möglich hält. Frauen wird, erneut, die Selbstbestimmung über ihren Körper abgesprochen. Dabei sehen die gleichen Kreise, die bei der Abtreibung die Garanten des Lebens geben, kein Problem darin, dass Mütter und Kinder in prekären Verhältnissen zu Opfern eines kaputten Gesundheitssystems werden. Alabama bekenne sich zum Leben, freuen sich die Abtreibungsgegner. Und werden ob so viel Heuchelei nicht einmal rot.“
Es geht gar nicht ums Baby
Die Argumente für eine radikale Verschärfung des Abtreibungsgesetzes in Alabama sind verlogen, findet The Guardian:
„Niemand kann ernsthaft glauben, dass in der aktuellen Abtreibungsdebatte in den USA der Fötus im Zentrum steht. Es geht nicht um den Fötus, es geht um die Frau. Ein Abtreibungsverbot, das so radikal ist, wie jenes, für das in Alabama gestimmt wurde, möchte Frauen - besonders arme Frauen - als Gefahr für die existierende gesellschaftliche Ordnung ausschalten. Es soll sicherstellen, dass die Armen auch arm und die Frauen zu Hause bleiben. ... In einem Staat wie Alabama ist es schwer genug, den Mut zu haben, eine Abtreibungsklinik aufzusuchen. Aber weite Reisen zu machen, um eine beängstigende Prozedur über sich ergehen zu lassen, die zu Hause illegal ist, wird für viele einfach zu viel sein.“
Laizität wichtiger denn je
Die in der französischen Gesellschaft fest verankerte Trennung von Staat und Kirche wird auf internationaler Ebene wieder ganz aktuell, beobachtet Chefredakteur Laurent Joffrin in Libération:
„Im Umfeld von Donald Trump, im obersten US-Gericht, im Kongress und in den republikanischen Regierungen vieler US-Staaten versuchen die Evangelikalen und Pfingstgemeinden ihre archaischen Glaubensvorstellungen im Gesetz zu verankern. Und es gelingt ihnen oft. Das Gleiche geschieht in vielen Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens. Diese dogmatische Invasion beschneidet die Rechte der Frau, verstärkt die Diskriminierung von Homosexuellen und drängt Vernunft und Wissen zurück. Der Kampf für die Laizität, die allzu oft für ein simples Erbe gehalten wird, erweist sich auf internationaler Ebene von höchster Aktualität.“
Männer vereint gegen Frauenrechte
Die Entscheidung Alabamas ist ein fundamentaler Angriff auf die Frauenrechte, kritisiert Večernji list:
„Befürworter der legalen Abtreibung sowie Politiker der Demokratischen Partei bezeichnen das, was in Alabama geschehen ist, als 'schwarzen Tag für alle Frauen' in Alabama und dem Rest der USA. Interessant ist, dass alle Abgeordneten des Senats, die für das Gesetz gestimmt haben, Männer sind - was viele für einen weiteren Angriff der Männer auf die Frauenrechte halten. ... Abtreibungsgegner bekamen Aufwind, als Donald Trump die Präsidentschaftswahl für sich entschied, da er sich schon während des Wahlkampfes als Gegner des Rechtes auf Abtreibung bezeichnete.“
Es geht um die Freiheit und Gesundheit von Frauen
Skandalös findet auch Aftonbladet die neue Abtreibungsgesetzgebung in Alabama:
„In den USA wollen Feministinnen jetzt einen Sexstreik als Antwort durchsetzen. Die Schauspielerin Allyssa Milano, die die MeToo-Kampagne vorantrieb, ist eine derjenigen, die meinen, dass Frauen Männern den Sex verweigern sollten, wenn Männer (und Frauen) Frauen ihre selbstverständlichen Rechte versagen. ... Die sexuelle Befreiung von Frauen war ein wesentlicher Teil des Kampfes der Frauen. Frauen sollten auf die gleiche selbstverständliche Weise wie Männer ohne Nachteile Sex genießen können. ... Der Kampf um die Abtreibung muss sowohl an der Basis als auch in der Politik geführt werden, es macht entschieden etwas aus, wie wir wählen. Es geht um die Gesundheit und Freiheit von Frauen, denn das Abtreibungsgesetz rettet Leben.“
Warmlaufen für den Wahlkampf
Warum die Republikaner das Thema Abtreibung jetzt auf die Agenda setzen, erläutert Polityka:
„Die Anti-Abtreibungsgesetze werden von den Republikanern mit Blick auf die Wahl im Jahr 2020 verabschiedet. Es geht um die Wiedereinführung der Abtreibungsagenda - ein Thema, das in politischen Kampagnen bisher keine große Rolle gespielt hat, das aber immer noch heiß ist. Ziel ist es, die Wählerschaft zu mobilisieren, für die dies ein wichtiges oder das wichtigste Thema ist. Das schließt auch die konservativen Wähler aus den ländlichen Arbeiterstaaten des Mittleren Westens ein - bei der Wahl 2016 war dies eine Schlüsselregion, weil sie Trump den entscheidenden Vorteil brachte. Aber zwei Jahre später, wie die Kongresswahl im vergangenen Jahr zeigte, scheint er sie zu verlieren.“