Und wenn Merkel nach Brüssel ginge?
Ein Interview Angela Merkels hat Spekulationen befeuert, dass sie nach Brüssel gehen könnte - und dies womöglich noch vor dem Ende ihrer Amtszeit als Kanzlerin. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sprach Merkel von einem Gefühl der Verantwortung für Europa. Gleichzeitig bekräftigte sie ihre Entscheidung, sich 2021 aus der Politik zurückzuziehen. Europas Medien wollen das Thema trotzdem diskutieren.
Kanzlerin als Rentnerin schwer vorstellbar
Ein Wechsel Merkels nach Brüssel wäre gut für ihre Nachfolgerin an der CDU-Spitze, überlegt Népszava:
„Es wäre im Interesse von Annegret Kramp-Karrenbauer, sich so bald wie möglich von Angela Merkel zu befreien: Kramp-Karrenbauers Beliebtheitswerte sinken und ihr bleibt nur die innenpolitische Bühne, während sich die Kanzlerin - wegen der Arbeitsteilung - mit der Außenpolitik und der Reform der EU beschäftigt und dabei keine unpopulären Entscheidungen treffen muss. Es ist auch schwer, sich Merkel als Rentnerin vorzustellen, wenn 2021 ihr Mandat abläuft. … Selbst wenn Merkel sich später entscheidet, nach Brüssel zu gehen, dürfte man auch dann eine besondere Position für sie finden.“
Die EU braucht frische Politiker
Der Vorstellung, dass Merkel ein EU-Spitzenamt bekommt, kann die Kolumnistin Xenia Tourki in Phileleftheros wenig abgewinnen:
„Es ist wirklich tragisch und zeigt gleichzeitig, dass es der EU offenbar an fähigem Personal mangelt. So gut Angela Merkel auch sein mag, so unersetzlich kann sie gar nicht sein. Es kann doch nicht angehen, dass, wenn Probleme auftauchen und man Lösungen anbieten muss, die EU immer den gleichen Weg geht. Es gibt auch andere fähige, begabte und leidenschaftliche Persönlichkeiten. Die Union braucht junge Menschen, die bereit sind, für sie zu kämpfen. Die EU muss ihnen einen Platz bieten und aufhören, immer die Vergangenheit wiederzukäuen.“
Jetzt geht es erstmal um Weber
Gazeta Polska Codziennie analysiert, warum Merkel ihr Karriereende schon jetzt auf die Agenda bringt:
„Erstens, um ihre Kritiker zu beruhigen, die sich sorgen, dass sie zum fünften Mal antreten wird. Zweitens, um zu zeigen, dass sie die Situation in Berlin kontrolliert, weil sie vorhat, bis einschließlich Herbst 2021 zu regieren. Drittens ist es ein klares Signal, dass sie sich nicht um die Position des Präsidenten des Europäischen Rats bemühen wird, die der unglückliche Donald Tusk bis Spätherbst 2019 innehält. Das stärkt indirekt die Chancen von Manfred Weber - ihr Landsmann, Zögling und Vorsitzender der EVP-Fraktion - auf den Posten als Kommissionspräsident. Wenn er gewinnt, ist das auch ein persönlicher Erfolg für die für ihn werbende Merkel.“