Ist Mays Abgang tragisch?

Großbritanniens Premierministerin May gibt am 7. Juni ihr Amt als Parteichefin ab. Damit sind wohl auch ihre Tage als Premierministerin gezählt. Zuvor hatte sie erneut keine Unterstützung für ihren Brexit-Deal erhalten. Bei der Europawahl erzielte ihre konservative Partei ein schlechtes Ergebnis. Wie viel Schuld May an all dem hat, diskutiert Europas Presse.

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tagesschau.de (DE) /

Wie ein fehlerhafter Roboter

Für das sebst verschuldete Scheitern verdient May kein Mitleid, findet die London-Korrespondentin Annette Dittert auf tagesschau.de:

„Ja, sie stand von Beginn an vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Aber die Art und Weise, wie May diese Aufgabe angegangen ist, hat die Situation Großbritanniens dramatisch verschlimmert. Spätestens seit dem spektakulären Scheitern ihres Deals im Dezember war ihr Festhalten daran nur noch ein sinnloses Spiel auf Zeit, ohne Vision und Richtung. ... Zeiten wie diese brauchen politische Führer, die mit Demut, Charme und Überzeugungskraft ihr Land einen können. May besaß keine dieser Eigenschaften. Stattdessen wiederholte sie nur immer wieder ihr ewig gleiches Mantra, wie ein fehlerhafter Roboter, bis am Ende ihre Partei den Strom abstellte.“

Keskisuomalainen (FI) /

May hat auch nur ihren Job gemacht

Etwas mehr Menschlichkeit hätte der Kämpferin May gut gestanden, glaubt Keskisuomalainen:

„Der EU-Austritt hat nicht geklappt und dafür ist May sicherlich nicht alleine verantwortlich. … May wurde unfreiwillig zur Premierministerin, deren Aufgabe es war, Großbritannien aus der EU zu führen. May hat zäh, manchmal bis zur Dickköpfigkeit, versucht, ihren Job zu machen. Die in Tränen endende Rede hat Mays gefühlvolle Seite hervorgebracht. Viele hätten sich von der britisch-reservierten May gewünscht, dass sie diese menschliche und emotionale Seite schon viel früher hervorgebracht hätte.“

The Observer (GB) /

Nachfolger wird es nicht leichter haben

Mays Abtritt wird wohl kaum den erhofften Durchbruch beim Brexit-Prozess bringen, meint The Observer:

„Wer auch immer May nachfolgt, wird den EU-Austritt vollziehen müssen, ohne dafür einen persönlichen Auftrag vom Wahlvolk erhalten zu haben. Die Alternative einer vorgezogenen Neuwahl wäre eine höchst riskante Strategie, denn sie könnte die Regentschaft zur kürzesten der jüngeren Geschichte machen. Selbst wenn der- oder diejenige der EU Neuverhandlungen zum Brexit abringen könnte - und das ist höchst fraglich -, würde er oder sie nicht etwas eindeutig Besseres herausholen als May. Das würde die Erwartungen der Parteimitglieder der Konservativen enttäuschen. ... Nach drei Jahren chaotischer Eskalation und nationaler Erniedrigung unter Theresa May scheinen viele Tories überzeugt, dass jeder oder jede andere besser sein müsse. Doch das ist nur eine weitere große Selbsttäuschung.“

The Economist (GB) /

Johnson könnte neuen Schwung bringen

Dem deklarierten EU-Gegner Boris Johnson ist zuzutrauen, den festgefahrenen Brexit-Prozess wieder in Gang zu bringen, sollte er May als Regierungschef nachfolgen, meint The Economist:

„May hat keine Trümpfe mehr in der Hand. Ein neuer politischer Führer könnte den Gesprächen in Westminister neuen Schwung verleihen. Diese sind ja in den vergangenen Wochen ins Stocken geraten, obwohl die EU an Großbritannien appelliert hatte, dranzubleiben. Boris Johnson gilt unter den Parteimitgliedern der Konservativen als Favorit. Mit ihm würde das Land ein großes Risiko eingehen. Und doch könnte es sein, dass er mehr politische und ideologische Flexibilität beweist als Theresa May. Genau das wird es brauchen, um Großbritannien aus der Falle zu befreien, in die das Land selbst getappt ist.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Brexit-Story ist noch lange nicht vorbei

Die Regierungschefin ist nicht an allem schuld, betont die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Man kann May vieles vorwerfen ... Aber das Grund­di­lem­ma hat sie nicht zu ver­ant­wor­ten. Das liegt dar­in, dass im Re­fe­ren­dum 2016 ei­ne Mehr­heit der Wäh­ler für den Aus­tritt aus der EU stimm­te, im Un­ter­haus aber ei­ne statt­li­che Mehr­heit für den Ver­bleib ist. Die­ser Ge­gen­satz führ­te zu der Pa­ra­ly­se, die May nicht über­win­den konn­te. Soll­te ihr Bo­ris John­son, die Ga­li­ons­fi­gur der Brex­i­teers, als Vor­sit­zen­der der Kon­ser­va­ti­ven und als Re­gie­rungs­chef nach­fol­gen, wird er kei­ne an­de­re Wirk­lich­keit vor­fin­den. Für die Eu­ro­pä­er be­deu­tet die Re­gie­rungs­kri­se in Lon­don vor al­lem ei­nes: Die Ge­schich­te des Brex­its ist noch lan­ge nicht zu En­de.“

Die Presse (AT) /

Die Revolution frisst ihre Kinder

Der Brexit war, ist und bleibt Eigentum der Tories, betont Die Presse:

„Die Liste seiner Paten ist lang: David Cameron, Michael Gove, Boris Johnson, Jacob Rees-Mogg - der einzige (Brand-)Stifter des Brexit, der kein Konservativer ist, heißt Nigel Farage. Und selbst er hat bei den Tories sein politisches Handwerk gelernt. Es war die Europa-Obsession der Konservativen, die sie dazu veranlasst hat, alle Grundsätze des Konservatismus über Bord zu werfen und eine Revolution anzuzetteln. Und Revolutionen, das wissen wir aus der Geschichte, lassen sich erstens nicht koalitionär verwalten und fressen zweitens ihre Kinder. Nach David Cameron ist Theresa May der zweite Appetithappen. Weitere werden folgen.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Der Deal ist tot

Theresa May muss abtreten, fordert der Tages-Anzeiger:

„[May versuchte] im Unterhaus erneut einen Deal zu verkaufen, den sie in ihrer Rede am Dienstag als 'New Deal' bezeichnet hatte. Wissend, dass dieser Deal tot war, tot ist und tot bleibt. ... [Es] ist fraglich, ob dieses Abkommen, dieser Brexit, angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament, der unterschiedlichen Strömungen bei Tories und Labour und der zwei verfeindeten Lager im Land jemals eine Chance auf Umsetzung hatte. Man kann May viel vorwerfen, nicht aber, dass sie nicht gekämpft habe. Nun muss sie gehen, und ihre Partei, die massgeblich zu ihrem Scheitern beigetragen hat, sich selbst überlassen.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Premierministerin kann nur verlieren

Die britische Premierministerin steckt in einem Dilemma, kommentiert Helsingin Sanomat:

„Die wesentlichen Punkte des Brexit-Abkommens können nicht geändert werden. Das ist in den Verhandlungen mit der EU vereinbart worden. Laut Union ist dies das Beste, was zu bekommen ist. Das Produkt kann für den Verkauf nur aufgehübscht werden. Aber sobald man einer Gruppe entgegenkommt, wird die andere ärgerlich. Mays Angebot vom Dienstag wurde sofort abgelehnt. Wegen des Versprechens für ein neues Referendum stimmten einige Konservative dagegen, die in früheren Abstimmungen für das Abkommen votiert hatten. Die Labour Party wiederum will May bei ihren Bemühungen nicht unterstützen, egal, was sie anbietet. Es hat sich also nichts geändert.“

Svenska Dagbladet (SE) /

Eine ausweglose Situation

Die britische Politik steckt in der Sackgasse, konstatiert Svenska Dagbladet:

„Für May ist es eine Option, über ein zweites Referendum zu diskutieren, doch das ist kaum glaubwürdig. Und die Wut in ihrer eigenen Partei - allein schon beim Gedanken daran - ist enorm. Auch Neuwahlen scheinen unrealistisch, selbst wenn sie den Weg zu einem Kompromiss mit Labour ebnen könnten. ... Aktuell scheint also keiner der Beteiligten eine Exit-Strategie zu haben. Großbritannien kann die EU nicht verlassen, Theresa May scheint nicht in der Lage zu sein, zurückzutreten und die Opposition wagt es nicht, sich von ihrem Linkspopulismus zu verabschieden. ... Man kann sich gut vorstellen, wie Königin Victoria die Lage kommentiert hätte: 'We are not amused'.“

Financial Times (GB) /

Hardlinern nicht das Feld überlassen

Warum eine parteiübergreifende Allianz gegen einen ungeregelten EU-Austritt nun besonders wichtig ist, erläutert Financial Times:

„Es wird erwartet, dass Nigel Farages Brexit Party mit ihrem schrillen Ruf nach einem ungeregelten, harten EU-Austritt die britische EU-Wahl gewinnt. Das könnte viele Abgeordnete und Parteimitglieder der Tories davon überzeugen, dass die Wahl eines Brexit-Hardliners zum neuen Parteichef die beste Möglichkeit darstellt, wieder in die Erfolgsspur zu kommen. ... Bisher ist es gemäßigten Abgeordneten auf allen Seiten nicht gelungen, einen Kompromiss zu finden. Doch letztlich wird es an ihnen liegen, Vernunft zu bewahren. Sie müssen sicherstellen, dass die Mehrheit im Parlament gegen einen No-Deal-Brexit erhalten bleibt. Und sie müssen bereit sein, einen neuen Regierungschef der Tories, der ein Hardliner ist, davon abzuhalten, das Land in den Abgrund zu stürzen.“