Taugen Dänemarks Sozialdemokraten zum Vorbild?
Dänemark steht vor einem Regierungswechsel: Die Sozialdemokraten unter Mette Frederiksen wurden mit minimalen Verlusten stärkste Kraft. Die Dänische Volkspartei halbierte hingegen ihren Stimmenanteil. Dies liegt wohl auch daran, dass Frederiksen die Migrationspolitik der Rechtspopulisten kopierte. Diesen Strategiewechsel diskutieren nun Europas Kommentatoren.
Erfolg pragmatischer Realpolitik
Mette Frederiksen hat gezeigt, dass Sozialdemokraten Wahlen gewinnen können, wenn sie für klare Ziele stehen, meint das Handelsblatt:
„[W]as wollte Dänemark? Mehr Sozialstaat und Geld für Bildung und Gesundheit, weniger Einwanderung sowie ein klares Bekenntnis, sich dem Klimawandel entgegenzustemmen. All das hat Frederiksen beherzigt - und wurde dafür belohnt. ... Und doch warnten Kommentatoren schon in der Wahlnacht vor 'einem gefährlichen Rechtsschwenk' oder gar der Aufgabe klassisch linker Positionen. Nur: Frederiksen verteidigt durchaus den sehr modernen dänischen Sozialstaat gegen Extremismus jeder Art. Ihr Sieg ist keine 'Niederlage für die Menschlichkeit', sondern ein Erfolg pragmatischer Realpolitik, die sich von lieb gewonnenen Illusionen endgültig verabschiedet.“
Verrat sozialdemokratischer Werte
Ganz anders sieht das Der Standard:
„Für den Stimmenfang nimmt Frederiksen in Kauf, dass das rechtspopulistische Narrativ von den Zuwanderern, die schuld am Sozialabbau sind, sozialdemokratisches Programm wird. Ist ein Sündenbock erstmal ausfindig gemacht, kann man getrost global operierende Konzerne machen lassen, die mit legalen Buchungstricks Steuerzahlungen in Milliardenhöhe vermeiden. Frederiksen verrät damit sozialdemokratische Grundwerte. Das kann auf Dauer auch nicht gutgehen.“
Sieg mit rechtspopulistischen Mitteln
Offenbar siegt die Linke nur mehr dann, wenn sie bei einem aktuellen Thema den Rechtsextremen nacheifert, analysiert Kolumnist Federico Rampini in La Repubblica:
„Die sozialdemokratische Führung hat bei der Einwanderung eine harte Linie eingeschlagen. Ihr klassisches 'soziales', linkes Programm - mehr öffentliche Ausgaben, mehr Steuern für die Reichen - ergänzte sie mit einer restriktiven Einwanderungspolitik, um einen der großzügigsten Wohlfahrtsstaaten der Welt zu garantieren. Die schwedische Lektion wurde gelernt. Im Nachbarland hatten die Wähler die extreme Rechte belohnt. Das war die Reaktion auf einen unkontrollierten Zustrom von Ausländern (ihr Anteil in Schweden hat sich verdreifacht), die nach ihrer Einwanderung bis vor kurzem alle sozialen Rechte erwarben, für die die Schweden sich seit Generationen hoch besteuern.“
Schweden darf Dänemark nicht folgen
In Wahrheit hat die rechtspopulistische Dänische Volkspartei die Wahl gewonnen, weil die Sozialdemokraten ihre Agenda übernommen haben, findet Sydsvenskan und ist deshalb sehr beunruhigt:
„Dänemarks Entwicklung ist bemerkenswert. Und abschreckend. Die Rechtspopulisten hätten von den Wählern eine Ohrfeige bekommen müssen. Aber in diesem Fall war es ein Schlag in die Luft. Intoleranz hat sich in einer weiteren Wahl durchgesetzt. Die Verantwortlichen in Schweden müssen sich dagegen stemmen. Abstand halten. Und auf das Gleichgewicht achten.“
Ausländerpolitik wird zum Dilemma
Nun kommen harte Koalitionsverhandlungen auf Mette Frederiksen zu, erläutert Jydske Vestkysten:
„Die [rot-grüne] Einheitsliste will eine lockere Wirtschaftspolitik und entschiedene Lockerungen in der Ausländerpolitik, die Volkssozialisten SF wollen mehr Lehrer und vieles anderes, aber Frederiksens größte Herausforderung wird es werden, Morten Østergaard [Chef der linksliberalen Radikale Venstre] zufriedenzustellen. Er hat ultimativ Lockerungen in der Ausländerpolitik gefordert, während er im ökonomischen Bereich zum bürgerlichen Lager gehört. ... Eine weichere Ausländerpolitik ist jedoch für Frederiksen komplett unmöglich, wenn sie nicht den Albtraum der gebrochenen Versprechen aus der Periode von Thorning [frühere sozialdemokratische Regierungschefin] wiederbeleben und in großer Zahl Wähler verlieren will.“
Rechtspopulisten haben trotzdem gewonnen
Das Rezept, mit dem die etablierten Parteien die Rechtspopulisten gestutzt haben, mag effektiv sein, ist aber auch gefährlich, warnt die Süddeutsche Zeitung:
„Sie machen die Rechten überflüssig, indem sie in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik selbst weit nach rechts rücken. Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei hat also die Politik und die Gesellschaft im Land in den letzten zwei Jahrzehnten verändert, ohne jemals an der Regierung gewesen zu sein. ... Und so ist die Niederlage der Rechtspopulisten am heutigen Mittwoch eigentlich ihr Triumph: Mit ihrer stets engstirnigen, manchmal absurden und immer öfter auch unmenschlichen Agenda haben sie alle anderen Politiker angesteckt und Dänemark ein Stück weit nach ihrem Bilde geformt.“
Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht
Auch für Aftonbladet hat die Dänische Volkspartei es geschafft, sich durchzusetzen:
„Um mit dem Autor Carsten Jensen zu sprechen, hat sie 'die Seelen der Parteien in der Mitte gekapert'. Am äußeren rechten Rand wachsen Stram Kurs [die nicht ins Parlament kam] und die Partei Neue Bürgerliche durch das Versprechen, alle Leistungen für Einwanderer zu streichen und ein Verbot des Islam auszusprechen. In dänischen Wahldebatten sprach Stram-Kurs-Chef Rasmus Paludan darüber, wie Dänemark ethnisch am effektivsten gereinigt werden sollte. ... Die Frage ist, ob wir wirklich schon das Ende der Fahnenstange gesehen haben.“