Bringt Macron Bewegung in EU-Russland-Beziehungen?

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat in seiner Sommerresidenz Wladimir Putin empfangen. Dabei sprach er sich aus für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur, in die Russland eingebunden werden müsse. Zudem äußerte er den Wunsch, nach der Ukraine-Wahl das Normandie-Format neu zu beleben. Kommentatoren fragen sich, ob das Treffen einen Wendepunkt markieren könnte.

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Ria Nowosti (RU) /

Präsident weiß, was er für Europa will

Ria Nowosti gefällt es, dass Macron von einem "Europa von Lissabon bis Wladiwostok" gesprochen hat:

„Europa vor Russland schützen, eine undurchdringliche Wand von der Ostsee bis ans Schwarze Meer errichten - all diese geopolitischen Projekte, die Politikern von Riga über Warschau bis Kiew so lieb sind, passen nicht in dieses Paradigma. Aber das ist nur eine Hälfte des Problems. Die andere besteht in der politischen Konfiguration der EU, wo kleine Länder dem offiziellen Paris und dem offiziellen Berlin erklären, dass sie keinesfalls Recht haben. … Doch Macron ist ein stringenter Anhänger einer Zentralisierung der EU und der Schaffung echter Vereinigter Staaten Europas - und er mag es gar nicht, wenn man versucht, seinen außenpolitischen Kurs 'nachzujustieren'“

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NRC (NL) /

Annäherung in Trippelschritten

Bis zu einer echten Annäherung zwischen Russland und Europa ist es noch lange hin, analysiert NRC Handelsblad:

„Moralische Empörung, Sanktionen und Ausschluss haben den Kreml nicht auf andere Gedanken gebracht. Die Krim bleibt russisch. Assad ist dank der russischen Hilfe noch immer an der Macht. Die Ukraine leidet noch immer unter einem Konflikt. Dennoch wird nun wieder das Gespräch gesucht. ... Die Annäherung an Russland kann nur in sehr kleinen Schritten erfolgen. Der Widerstand gegen eine G7-Mitgliedschaft ist noch zu groß. Es würde die Annexion der Krim legitimieren, sagen die Gegner. ... Auch an der Côte d’Azur wurde deutlich, wie groß der Abstand zwischen Russland und dem Westen ist.“

Mediapart (FR) /

Macron verrät die Völker und den Frieden

Frankreichs Präsident spielt Putins schmutzigem Machtapparat in die Hände, empört sich Blogger Pierre Haffner in Mediapart:

„Dieses Treffen wird ein Rettungsanker für das wankende Regime, dessen Ende naht. Am 10. August hat die Opposition in Moskau 60.000 Personen versammelt - eine Zahl, die seit 1992 nicht mehr erreicht wurde. Die Bilder des Treffens von Macron und Putin werden von der Kreml-Propaganda ausgeschlachtet werden, um zu beweisen, dass man mit dem Diktator verkehren kann. Macron, der Banker, verrät die Völker und den Frieden für Geschäfte und Geld.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Pragmatismus muss nicht verkehrt sein

Wieder einmal zeigt sich Macrons Pragmatismus, kommentiert die Frankreich-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, Nadia Pantel:

„[Macron] wurde von einem Europa geprägt, das Weltkriege, Kolonialismus und den Kalten Krieg hinter sich gelassen hatte. In seiner Weltsicht gibt es wenige unüberbrückbare Differenzen, sondern letztlich immer die Möglichkeit, Probleme auszudiskutieren. Manchmal wirkt das unbedarft, manchmal mutig, manchmal übertrieben machtbewusst. Entscheidend muss für die Bewertung am Ende sein, wer davon profitiert, dass Macron sich die Rolle des Weltenvermittlers spielend zutraut. Im Fall Russlands bedeutet das: Macron kann seine ausführlichen Treffen mit Putin nur dann als Erfolge verbuchen, wenn dadurch wenigstens mittelfristig die Demokratie in Russland gestärkt wird.“

Adevărul (RO) /

Neue Machtbündnisse werden geschmiedet

Macron hat auf dem Treffen Zeichen der Annäherung ausgesandt, die zu einer großen Veränderung führen könnten, analysiert Cristian Unteanu auf seinem Blog bei Adevărul:

„Zuallererst wird der geographische Raum präzisiert, der für das große Abkommen der Zukunft gedacht ist: Die Formel von de Gaulle ist nicht mehr ganz aktuell, man spricht nicht mehr von einem 'Europa vom Atlantik bis zum Ural', sondern von einem 'Europa von Lissabon bis zum Ural'. … Entscheidend ist auch der Grund für Macrons Reise nach Moskau (Mai 2020): Es geht um eine neue Architektur der 'Sicherheit und des Vertrauens'. Das könnte eine Art 'game changer' werden, nicht nur in den EU-Russland-Beziehungen, sondern global. Es zwingt die großen Mächte zu einer umgehenden Neupositionierung in ihrer nationalen Politik, aber auch zu einem Umdenken in den Machtbündnissen, zu denen sie gehören.“