Britischer Premier in der Klemme
Warum ein No-Deal-Brexit für den britischen Premier wahlstrategisch das Beste wäre, erklärt The Spectator:
„Das Problem ist, dass ein großer Teil der Pro-Brexit-Wähler jede Form eines Austrittsabkommens mit der EU strikt ablehnen. Wenn sich im Laufe der Zeit die grundlegenden Schwächen des Abkommens der breiteren Öffentlichkeit offenbaren, werden dafür vor allem die Konservativen verantwortlich gemacht werden. Die EU-Wahl im Mai hat gezeigt, wie verwundbar die Tories sind. Auf der einen Seite werden sie politisch von den [pro-europäischen] Liberaldemokraten bedrängt, auf der anderen von der Brexit Party. Deren Chef, Nigel Farage, kann sich gar nichts Besseres vorstellen, als unter diesen Umständen einen Wahlkampf zu führen. Der Ausgang wird für Boris Johnson vermutlich nicht gut sein.“
Johnsons Niederlage ist Macrons Sieg
Macron hatte im Frühjahr vehindert, dass der Brexit-Termin noch weiter nach hinten verschoben wurde. Die vergeblichen Versuche Johnsons, den drohenden ungeregelten Ausgangs als Druckmittel zu nutzen, kann Macron nun als Erfolg verbuchen, meint Ria Nowosti:
„Johnson spekuliert darauf, dass die EU angesichts der Londoner Forderungen im letzten Moment einknickt und sich bereit erklärt, auf die schon vereinbarten (und für Großbritannien äußerst nachteiligen) Bedingungen zu verzichten, die von Theresa May abgezeichnet wurden. Doch dies scheint bisher vergeblich. Es sieht so aus, als würde dieser Trick nicht ziehen, denn es gibt mindestens einen wichtigen europäischen Anführer, für den die britische Katastrophe zum persönlichen Sieg wird. Und je greller die britische Wirtschaft 'brennen' wird, umso bedeutender wird der Triumph Macrons.“
Merkel und Macron erhöhen den Druck
Die Besuche bei der Bundeskanzlerin und bei Frankreichs Präsident kann Johnson keinesfalls als Erfolg verbuchen, findet De Standaard:
„Eine Lösung zu finden, ist viel schwieriger. Auch diese Botschaft gaben Macron und Merkel Johnson mit auf den Weg. Er sollte absolut nicht auf den Gedanken kommen, dass die EU das Austrittsabkommen mit dem irischen Backstop wieder aufbrechen werde. ... Wenn es Johnson gelingt, eine machbare Alternative vorzulegen, wird Europa das seriös prüfen. Und der stets voluntaristische britische Premier will diese Herausforderung gerne angehen. ... Doch in europäischen Verhandlungskreisen herrscht Skepsis. ... Auch der ungeduldige Macron betonte, dass die Umrisse einer Lösung schnell deutlich werden müssten.“
Kanzlerin spielt Johnson in die Hände
Angela Merkel hat mit ihrer Ankündigung, es lasse sich vielleicht in 30 Tagen eine Lösung für den Backstop finden, einen Fauxpas begangen, meint hingegen Der Standard:
„Mit dieser Interpretation wird [Johnson] seine parlamentarischen Gegner, vor allem schwankende Tories, in Schach zu halten versuchen: Lasst mich bis 19. September in Ruhe arbeiten, die Kanzlerin hat es verlangt. Das Unterhaus tagt nach den Sommerferien lediglich zwei Wochen in der ersten Septemberhälfte, ehe es wegen der Parteitage erneut in den Urlaub verschwindet. In der zweiten Oktoberhälfte dürfte es für einen Misstrauensantrag und eine Verhinderung von No Deal zu spät sein. Das erneute Zusammentreffen beim G7-Gipfel in Biarritz am Wochenende bietet Merkel eine Gelegenheit, Johnsons gezielte Fehlinterpretation zu korrigieren.“
Die Science-Fiction-Ideen des britischen Premiers
Die "alternativen Arrangements", mit denen Johnson den Backstop verhindern will, sind für den Deutschlandfunk bloß ein Ablenkungsmanöver:
„Seit Jahr und Tag beteuert er, es gebe sie, diese mysteriöse Technik, mit der man Lkw-Ladungen voller Güter, die die innerirische Grenze passieren, kontrollieren kann, und zwar ohne Zollhäuschen und Grenzer. ... In der Tat, das wäre eine Sensation. Denn diese Technik würde den auf der Insel so verhassten Backstop überflüssig machen. Allein: Niemand hat jemals diese Technik in Augenschein nehmen können, niemand hat sie testen können. Aus einem einfachen Grund: Es gibt sie nicht. Bislang ist diese Technologie nichts als Science-Fiction. Und Boris Johnson weiß das natürlich. Ihm geht es aber auch gar nicht um eine Lösung im Streit um den Backstop. ... Er steuert auf einen No-Deal-Brexit und auf Neuwahlen zu.“
Backstop ist undemokratisch
Dass der Backstop in Großbritannien auf so viel Widerstand stößt, kann The Irish Independent nachvollziehen:
„Sollte der Backstop in seiner derzeitigen Form in Kraft treten, würden neue Gesetze, die viele Bereiche des täglichen Lebens der Menschen in Nordirland betreffen, von der EU gemacht werden. Und das, obwohl die Wähler Nordirlands keine Vertreter in jenes Parlament entsenden, das diese Gesetze macht, nämlich das EU-Parlament. Zu dieser Form der Entrechtung würde es kommen, weil Nordirland den britischen Markt verlässt, damit es in jenem der EU bleiben kann.“
Merkel weniger stur als Brüssel
Endlich hat eine führende EU-Politikerin eingeräumt, dass es Alternativen zum Backstop geben könnte, jubelt The Daily Telegraph:
„Angela Merkel hat Boris Johnson keineswegs zurückgewiesen. Sie hat anerkannt, dass die neue britische Regierung den Backstop ablehnt und es möglich sein könnte, in den kommenden 30 Tagen eine Alternative zu finden. Nun liegt es an Johnson, praktikable Vorschläge zur Frage der inneririschen Grenze vorzulegen, auf deren Basis laut Merkel ein Handelsabkommen geschlossen werden könnte, das beiden Seiten nützt. Merkels Zugang hob sich klar vom sturen Nein Brüssels ab - und das so sehr, dass Beobachter, die den ungewählten Bürokraten hörig sind, am falschen Fuß erwischt wurden und das Gehörte nicht akzeptieren konnten.“
Erpressung darf sich nicht lohnen
Die EU darf sich bloß nicht von Johnson spalten lassen, warnt Der Bund:
„Johnson spekuliert darauf, dass die Drohung eines ungeregelten Brexit die geschlossene Front sprengt und einzelne Regierungen Brüssel zu Kompromissen drängen. Tatsächlich haben manche Staaten und Branchen mehr zu verlieren als andere, wenn Zölle erhoben werden und Kontrollen an den Häfen zu Chaos führen. Mit am meisten Sorgen muss sich die deutsche Exportindustrie machen. Aber nachgeben verbietet sich, denn Erpressung darf sich nicht lohnen. Ansonsten würden Boris Johnson und die Anhänger eines harten Brexit in seiner Partei bloss noch mehr Zugeständnisse verlangen.“