Gretas Wutrede auf der UN-Klimakonferenz

Auf der UN-Klimakonferenz in New York wirft Greta Thunberg den Staats- und Regierungschefs vor, die junge Generation im Stich zu lassen. "Alles, woran Ihr denken könnt, sind Geld und Märchen von ewigem Wachstum", so die 16-Jährige. Kommentatoren beschäftigen sich mit der Symbolik, die von Greta Thunberg ausgeht.

Alle Zitate öffnen/schließen
Le Temps (CH) /

Plötzlich stehen wir der Idee leibhaftig gegenüber

Greta erfüllt unser Bedürfnis nach Bildhaftem, erläutert Autorin Sylviane Dupuis in Le Temps:

„Die zwangsläufig aufrichtige Greta Thunberg wurde zur Ikone, wie sie jedes Anliegen (sei es religiös oder politisch) benötigt, um leibhaftig zu werden. Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder solche Verkörperungen, von Jesus bis Jeanne d'Arc. … So stark ist unser Bedürfnis nach Bildern: Eine Idee existiert für uns Menschen nicht, solange sie keine körperliche Gestalt annimmt. Greta Thunberg ist das Gesicht einer Idee, die wir seit Langem wie eine aufdringliche Fliege jagen und die uns plötzlich gegenübersteht: Unser Königreich ist nur von dieser Welt und wir haben (selbst wenn einige davon träumen) keinen Planeten B. Die Erde liegt im Sterben, wird jedoch mit der Zeit einen Weg des Weiterlebens finden; wir hingegen…“

Latvijas Avīze (LV) /

Kein Ohr für etablierte Politiker

Viele Menschen vertrauen immer weniger den etablierten Politikern, konstatiert Latvijas avize:

„Weltweit hören viele Menschen heutzutage lieber auf Aktivisten und die junge Generation. ... Und der hellste Stern am Himmel heißt Greta Thunberg. ... Dies hat zur Folge, dass viele Menschen bereit sind, einen grünen Lebensstil zu führen, Wasser aus dem Wasserhahn zu trinken, Müll zu sortieren, ohne Auto zu leben oder keine Plastiktüten zu verwenden. Zugleich beschimpfen sie die Politiker, die nichts tun, um die Treibhausgase zu verringern, und die darauf pfeifen, dass der Klimawandel die Erde bedroht.“

Dagens Nyheter (SE) /

Boulevardisierung entwaffnet Greta

Der Umgang der Journalisten mit Greta Thunberg ist erbärmlich, kommentiert der Kolumnist Erik Helmerson in Dagens Nyheter:

„Was Thunberg zustande gebracht hat, ist beispiellos. ... Doch worüber haben wir berichtet? Über Gretas Blick und Gretas Tränen und Gretas Wutausbruch. Manchmal scheint es, als sei der Nutzen, den sie Luft und Meeren bringt, in seinem Umfang nur noch vergleichbar mit dem Schaden, den sie dem journalistischen Klima zugefügt hat. Das Hauptproblem der Boulevardisierung von Greta ist nicht, dass uns das alles ein bisschen dümmer macht, sondern dass sie dadurch entwaffnet wird. ... Man macht sie zu einer Serienfigur statt zu einer Aktivistin, die uns ernsthaft herausfordert. Zu einer Vogelscheuche, die machtlos dasteht und zusieht, wie die Krähen sich die Kirschen holen und auf den Baum scheißen.“

Tygodnik Powszechny (PL) /

Proteste müssen das Unmögliche fordern

Die Proteste müssen radikal sein, meint Tygodnik Powszechny:

„Wenn die Klimaproteste Sinn machen sollen, müssen sie zum Slogan von 1968 zurückkehren: 'Fordere das Unmögliche!' Auch von dir selbst. Wir können jetzt nicht mehr warten, bis sich die Politiker, die von Wählern und von Lobbyisten eingeschränkt werden, dazu entscheiden, Kohlekraftwerke in einem Vierteljahrhundert abzuschalten. Wenn wir hinter der Wissenschaft stehen, müssen wir anfangen so zu leben, als gäbe es diese Kohlekraftwerke nicht mehr. ... Die Klimaproteste werden als 'jung' bezeichnet, aber in ihnen steckt heute der Kern der Politik.“

Les Echos (FR) /

"Degrowth" funktioniert nicht

Greta hat nicht in allen Punkten Recht, gibt Les Echos zu bedenken:

„Man kann nicht wirklich sagen, dass nichts geschieht und dass die Menschheit angesichts dieser historischen Herausforderung völlig inaktiv ist. Die Revolution, die etwa die Automobilbranche gerade erlebt, kostet Dutzende Milliarden Euro und führt zu massiven Arbeitsplatzverlusten. Auch der Aufschwung der erneuerbaren Energien in vielen Ländern ist beeindruckend. Zu wenig, zu spät, aber nicht nichts. Außerdem ist 'Degrowth', das Gegenteil von Wachstum, auch nicht die Lösung, die den Planeten retten wird. Sicher, der Rückgang der fossilen Brennstoffe für Heizung, Mobilität und Produktion ist wichtig. Aber ein Rückgang der Ausgaben für Gesundheit, Renten und Solidarität mit den Ärmsten?“

Demokracija (SI) /

Heilige Kuh des globalen Ökosozialismus

Greta Thunberg ist keineswegs die moralische Autorität als die sie dargestellt wird, findet Demokracija:

„Greta ist ein Symptom für den Irrweg des Ökosozialismus. All ihre Paten [in der Politik] missbrauchen sie als Kanonenfutter. ... Es ist kein Geheimnis, dass der Ökosozialismus, der sich hinter dem Syntagma Klimagerechtigkeit̍ versteckt, tatsächlich eine gewinnbringende Marktnische ist. Diese Marktnische basiert nicht auf freien wirtschaftlichen Prinzipien, sondern auf sozialistischen Fundamenten: aus einer Kombination aus Gehirnwäsche mit Mythen, die nicht viel mit der Wissenschaft zu tun haben, und der Steuererhebung für eine saubere Umwelt.“

Azonnali (HU) /

Junge Aktivistin braucht Kurswechsel

Thunberg sollte sich nicht länger an Politiker wenden, fordert Azonnali:

„Sie geißelt die Korruption der politischen Eliten vergeblich, wenn sie sich noch immer ihnen zuwendet (und Lösungen von ihnen erwartet). Sie sollte sich stattdessen den Bürgern zuwenden, deren Interessen die vorherrschende Politik nicht mehr vertritt. Wenn alles, was sie ihnen vorwirft, wahr ist (und es ist wahr), dann hätte Greta Thunberg ihnen schon lange den Rücken kehren und die Bürger direkt mobilisieren müssen, um einen ganz anderen Ausweg zu suchen. Mit so einem Kurswechsel würde sie allerdings völlig aus ihrer Rolle fallen: Wütende Vorwürfe würden nicht mehr ausreichen, stattdessen müsste sie mit konkreten Lösungsvorschlägen kommen.“

La Stampa (IT) /

Die Zahlen der Wahrheit

Zu den Worten von Greta empfiehlt Kolumnist Gianni Riotta in La Stampa die Lektüre des Buches Growth: From Microorganisms to Megacities von Václav Smil:

„Wussten Sie, dass China seit 2003 alle drei Jahre mehr Zement verbraucht hat als die Vereinigten Staaten im gesamten 20. Jahrhundert? Und dass, legte man auf eine Waagschale alle Menschen von heute mit ihren Nutztieren und auf die andere die noch frei lebenden Wildtiere, wir mit Kühen, Schafen, Schweinen mehr wiegen würden als die Elefanten, Wale, Tiger, Vögel des Himmels und Fische des Meeres, die übrig geblieben sind? Das sind die Zahlen der Wahrheit der neuen Studie des Wissenschaftlers Václav Smil. ... Entweder werden unsere Volkswirtschaften in dieser Generation wirklich 'grün' oder der Planet Erde, der dem Homo Sapiens von Gott oder von der Evolution anvertraut wurde, wird verloren gehen“

Journal 21 (CH) /

Aufstand gegen die Alten hat erst begonnen

Der Generationenkonflikt, der mit den Fridays for Future zutage tritt, könnte sich weiter zuspitzen, mutmaßt Journal 21:

„Die Alten machen Schulden über Schulden. Sie leben nicht nur auf Kosten der Natur und des Klimas, nicht nur auf Kosten der Ressourcen dieser Erde, sondern sie leben auch auf Kosten der nachfolgenden Generationen. Für die Jungen bleibt immer weniger übrig. ... Zudem müssen sie für die Alten immer mehr zahlen, damit die ihre auskömmliche Rente, medizinische Versorgung und Pflege bekommen. Und das, nachdem sie sich einen Lebensstil leisten konnten, an den sich die Jungen nur noch aus ihren Kindheitstagen erinnern.“

Mérce (HU) /

Das Wirtschaftssystem muss sich ändern

Sogar wenn die Länder ihren Selbstverpflichtungen nachkämen, würde das alleine wahrscheinlich nicht ausreichen, befürchtet Mérce:

„Länder, die große Verschmutzter sind und deren Regierungen vom Gipfel ferngeblieben sind, werden ihre Politik wahrscheinlich nicht ändern, da die Empfehlungen der Weltorganisation nicht verbindlich sind. ... Außerdem ist der Auslöser der Klimakatastrophe der globale Kapitalismus mit seinem ständigen Wachstumszwang. ... Eine andere Lösung als die umfassende Reform des globalen Wirtschaftsystems scheint es dafür nicht zu geben.“

newsru.com (RU) /

Etwas sehr Seltsames geht vor sich

Dass Greta Thunberg vor der Uno sprechen darf und alle Staatenlenker ihr zuhören, verwundert den Journalisten Vladimir Guriev. Seinen Facebook-Post hat Newsru.com übernommen:

„Also, Entschuldigung, warum zum Geier hört die ganze Welt einem kleinen Mädchen ohne Mittelschulabschluss zu? Woher kommt plötzlich das Gefühl, dass ihre Meinung zu dieser Frage überhaupt irgendeinen Wert hat? Wodurch unterscheidet sich ihre Meinung von der irgendeines Taxifahrers? Ich glaube an Zufälle, aber nicht an solche. Nicht an Zufälle, wenn die ganze Welt sich plötzlich abgesprochen hat, nicht zu bemerken, dass etwas sehr Seltsames vor sich geht. “