Österreicher wählen neuen Nationalrat
In letzten Umfragen vor der österreichischen Nationalratswahl am Sonntag liegt die konservative ÖVP von Ex-Kanzler Kurz deutlich vorn. Die alte Regierung aus ÖVP und FPÖ war an der Ibiza-Affäre um Ex-FPÖ-Chef Strache zerbrochen. Nun ist dieser zudem in einen Spesenskandal verwickelt. Nicht nur angesichts dessen sorgen sich Kommentatoren um Österreichs Politik.
Inhaltsleerer Wahlkampf zeigt Krise der Politik
Der Wahlkampf hat sich vor allem durch eine vollkommene Inhaltsleere ausgezeichnet, kritisiert Philosoph Konrad Paul Liessmann in der Neuen Zürcher Zeitung und erklärt das durch das
„Zusammenspiel von Parteien und Medien, die offenbar kein Interesse daran haben, sogenannte heisse Eisen anzugreifen oder mit politischen Ideen und Konzepten, die eine seriöse Auseinandersetzung verdient hätten, aufzuwarten. Viel einfacher ist es, auf die Skandalisierung noch der nebensächlichsten Dinge zu setzen, um Aufmerksamkeit und damit vielleicht Stimmen zu lukrieren. Unter dieser Oberfläche verbirgt sich allerdings eine fundamentale Krise der Politik. Es herrscht, wohl nicht nur in Österreich, verbreitet eine Stimmung, die signalisiert, dass man sich in den entscheidenden Fragen ohnehin irgendwie einig ist, sodass man sich eine Kontroverse sparen kann.“
Rechte Parteien attackieren Religionsfreiheit
Unmittelbar vor den Wahlen haben die konservativen Parteien, unter ihnen die (türkise) ÖVP von Ex-Kanzler Kurz und die (blaue) FPÖ, im Nationalrat Anträge gegen den "politischen Islam" beschlossen. Der Standard sieht darin einen Angriff auf die Religionsfreiheit:
„Wie sehr der vor allem von Blau und Türkis gefahrene muslimenkritische Kurs bei den Menschen angekommen ist, zeigen die repräsentativen Ergebnisse aus dem Sozialen Survey 2018: 70 Prozent stimmen der Aussage weitgehend oder ganz zu, dass der Islam nicht in die westliche Welt passt. 51 Prozent sind weitgehend oder gänzlich der Ansicht, dass die Glaubensausübung von Muslimen eingeschränkt werden solle. Letzteres ist ein besonderes Alarmsignal, denn es zeigt, dass es hierzulande eine Mehrheit gegen die Religionsfreiheit gibt, die, wie alle Menschenrechte, unteilbar ist.“
Kurz hat die Qual der Wahl
Ex-Kanzler Sebastian Kurz wird sich seine Koalitionspartner bequem aussuchen können, glaubt Mladá fronta dnes:
„Kurz kann sich nicht nur auf die Freiheitlichen von der FPÖ verlassen, deren Affäre 'Ibizagate' die vorzeitigen Wahlen erforderlich machte. ... Kurz hat mehr Alternativen. Er könnte auf die Grünen setzen, die in Umfragen auf 13 Prozent kommen. Aber auch mit den liberalen Neos könnte er eine verlässliche Mehrheit erringen. Mit diesen Koalitionspartnern würde Kurz den Glanz eines Modernisierers bekommen, was sein konservatives Image etwas ausgleichen könnte. Wie es aussieht, hat er die Qual der Wahl.“
FPÖ-Chef alles andere als liberal
Der Politologe Heorhij Kuchalejschwili setzt sich auf 112.ua mit der FPÖ und deren Vorsitzendem Hofer auseinander:
„Hofer war nie ein Liberaler. Er ist ein größerer Euroskeptiker als Orbán oder Salvini. ... Während des Präsidentschaftswahlkampfes 2016 lehnte er die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA ab und plädierte für ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft Österreichs im Falle einer Erweiterung der Befugnisse der Europäischen Kommission und anderer supranationaler Gremien. Hofer ist gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und den EU-Beitritt der Türkei, er unterstützt eine restriktive Migrationspolitik und die Abschiebung von Muslimen und er will das italienische Südtirol in Österreich integrieren.“
Spesenskandal stürzt FPÖ ins Dilemma
Laut Medienberichten hat Strache bis zu 10.000 EUR monatlich an Spesen abgerechnet. Auch ein Parteiausschluss Straches wird deshalb nun diskutiert. Was diese Affäre für die FPÖ mit Blick auf die anstehende Wahl bedeutet, beschreibt die Wiener Zeitung:
„Die FPÖ verwandelt sich damit ... in ein Pulverfass, das jederzeit in die Luft gehen kann (nicht muss). Aber ein offener Bruch mit Strache kann - jedenfalls aus heutiger Sicht - unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen: vom Waschen parteiinterner Schmutzwäsche vor den Augen der Öffentlichkeit bis hin zur Gründung einer neuen Partei. Diese Entwicklung wird sich unweigerlich auch auf die Regierungsbildung nach den Wahlen auswirken: Eine Neuauflage von Türkis-Blau ist nun noch unwahrscheinlicher geworden, als sie es nach der Ibiza-Affäre bereits war. Unwahrscheinlicher, nicht unmöglich.“
Geschwächte Freiheitliche könnten Kurz gefallen
Über die Folgen einer möglichen Spaltung der FPÖ spekuliert das Onlineportal Azonnali:
„Davon würde Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) profitieren. Kurz würde lieber mit dem geschwächten Rest der FPÖ kooperieren, die vom leicht umgänglichen Norbert Hofer geleitet wird, als mit einer FPÖ, die bei über 20 Prozent liegt, und in der Strache und Herbert Kickl noch immer eine bedeutende Rolle spielen. Hofer wurde beim Parteitag im September mit großer Mehrheit zum Parteichef gewählt, doch dieser Schein der Einheit trügt. Es geht eher um einen Waffenstillstand. Die Debatten werden nach den Wahlen wieder aufflammen, wenn ein Ausschluss von Strache wirklich Thema wird und Kickl nicht in eine neue Kurz-Regierung eintreten kann.“