Eskalation in Hongkong: Wie wird China reagieren?

Die Proteste in Hongkong haben eine neue Eskalationsstufe erreicht: In einer Universität verschanzte Aktivisten wehrten sich mit Brandsätzen gegen die Belagerung der Polizei. Dienstag früh verließen einige hundert das Gebäude, es gab viele Festnahmen. Kommentatoren überlegen, welche Strategie Peking langfristig verfolgen wird.

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La Stampa (IT) /

China will Neue Seidenstraße nicht gefährden

China hütet sich bisher davor einzugreifen, weil es an dem Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" von Deng Xiaoping festhalten will, erörtert Chefredakteur Maurizio Molinari in La Stampa:

„Wenn die Eskalation der Gewalt weitergehen und das chinesische Militär in Hongkong dazu eingesetzt werden sollte, die 'Hoheitsgewalt wiederherzustellen', würde das bedeuten, das Erbe von Deng zu schwächen. Und damit würden auch die Grundlagen geschwächt, auf denen seine Nachfolger China zu einem der mächtigsten Protagonisten der Globalisierung gemacht haben. ... [Die Entscheidung zum Militäreinsatz] könnte gar das Projekt der 'Neuen Seidenstraße' gefährden, mit der Xi den Fernen Osten mit Europa verbinden will. So soll ein imposantes Netz von Land- und Meeresinfrastrukturen geschaffen werden, um dem Mutterland die für das nationale Wachstum notwendigen Ressourcen zu sichern“

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Financial Times (GB) /

Xis Lebenswerk droht zu scheitern

Die Situation in Hongkong ist ein schwerer Schlag für Pekings expansionistische Pläne, meint Financial Times:

„Der derzeitige Aufstand wirft nicht nur Fragen zum Umgang Präsident Xis mit Hongkong auf, sondern auch zu seinem gesamten politischen Projekt. Das Mantra des Präsidenten ist 'die große Verjüngung des chinesischen Volkes'. Dabei ist die Wiederherstellung der nationalen territorialen Integrität von zentraler Bedeutung. Auf Hongkong sollte in einem nächsten Schritt Taiwan folgen. Die chinesische Regierung hat wiederholt mit einer Invasion Taiwans gedroht, falls die selbstverwaltete Insel formell ihre Unabhängigkeit erklären sollte. Wenn Peking jedoch nicht in der Lage ist, die Straßen Hongkongs zu kontrollieren, erscheint die Vorstellung, dass Festland-China erfolgreich Taiwan erobern könnte, undenkbar.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Radikale Demonstranten spielen Peking in die Hände

Die Regierung in China versucht, die Grundlage für ein noch viel härteres Vorgehen zu legen, vermutet die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Jahrelang hat die chinesische Führung versucht, Hongkong unter Kontrolle zu bekommen. Sie wollte 'Vaterlandsverrat' unter Strafe stellen und die Jugend mit patriotischer Erziehung auf Linie bringen. All das scheiterte bisher am Widerstand der Bevölkerung. ... Womöglich setzt die Führung deshalb darauf, dass in Hongkong die Zustimmung zu drastischen Maßnahmen steigt und ausländische Kritik daran schwindet, wenn die Lage erst verzweifelt genug ist. ... Die Lage in Hongkong fügt sich nahtlos ein in das Herrschaftsnarrativ der Kommunistischen Partei, die sich als einziger Garant für Stabilität und Wohlstand präsentiert.“

La Croix (FR) /

Kampf um Freiheit verdient Unterstützung

Trotz der sich zuspitzenden Lage in Hongkong ist Hoffnung angebracht, schreibt La Croix:

„30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer kann man sich auf die Geschichte stützen, um zu behaupten, dass die Zukunft nicht vorherbestimmt ist, und Hoffnungszeichen ausmachen. In den vergangenen Jahren hat die Hongkonger Bevölkerung deutlich gemacht, dass ihnen an den individuellen Freiheiten und am Rechtsstaat gelegen ist. Sie hat gezeigt, dass dieses Streben keine westliche Marotte ist, sondern ein universelles Ziel, das auch innerhalb der chinesischen Zivilisation aufkeimen kann. Entsprechend benötigen sie die Unterstützung der europäischen Zivilgesellschaft. Ihr Bekenntnis zu diesen Werten muss durch geduldige Austauschnetzwerke gefördert werden. Ein Teil unserer Freiheit steht dort auf dem Spiel.“