Technik nicht verteufeln
Was uns Greta Thunberg lehrt, fragt sich Kolumnist Massimo Sideri in Corriere della Sera:
„Die 21-tägige Reise enthält die technologische, wirtschaftliche und soziale Gleichung, mit der die 196 Länder der Welt bei der COP25 konfrontiert sein werden und die die Menschheit schnell lösen muss: Greta brauchte 20 Tage, um den Atlantik mit einem Katamaran zu überqueren, eine Nacht, um mit dem Zug von Lissabon aus anzureisen und wenige Minuten, um die letzte Meile bis zur Madrider Klimakonferenz mit dem Elektroauto zurückzulegen. ... Die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschheit wieder 20 Tage für die Überquerung des Atlantiks benötigen wird, ist gleich Null. ... Was wir tun können und müssen, ist, die Greta-Gleichung zu lösen, indem wir umweltfreundliche Technologien wie das E-Auto entwickeln und den Protest nicht in eine nutzlose, wenn nicht sogar schädliche Antitechnologiebewegung abgleiten lassen.“
Eine Gretchenfrage
Das Gerede über Greta Thunbergs Medienpräsenz lenkt von den wahren Problemen ab, ärgert sich Schriftstellerin Almudena Grandes in El País:
„Es geht nicht um die Rolle eines Mädchens, das nicht auf solch eine Last vorbereitet ist. Es geht darum, dass, während wir über Greta reden, niemand von Jair Bolsonaro spricht, dem Brandstifter in den Amazonas-Urwäldern, oder von Donald Trump, der in Zeiten der globalen Erderwärmung Witze über die Kälte reißt, oder von Xi Jinping, dem chinesischen Präsidenten, der weiter verschmutzen will, indem er armen Ländern Emissionsrechte abkauft. ... Wenn in dieser Situation jemand von Greta redet und ihr Erscheinungsbild, ihre Wortwahl und Gestik kritisiert, dann ist das nichts als eine Technik, um sie zu entschärfen und damit die wahren Feinde zu schützen - die Feinde der Bewegung und der gesamten Menschheit.“
Wissen, nicht Scham verändert das Verhalten
Sydsvenskan vermeldet eine gute Nachricht zum Klimagipfel:
„Laut einer Studie, die die Technologie-Historikerin Nina Wormbs gemeinsam mit der Rhetorikforscherin Maria Wolrath Söderberg umgesetzt hat, lässt nicht Scham die Menschen ihr Verhalten hin zu mehr Klimafreundlichkeit ändern. 900 Menschen, die zur Reduzierung von Emissionen aufgehört haben, zu fliegen, wurden nach ihren Gründen befragt. Scham ist dabei kein hervorstechendes Argument. Häufiger genannt werden vermehrte Kenntnisse über den Klimawandel und Einblicke in die Folgen für künftige Generationen. Das ist eine gute Nachricht für die Politiker, die am UN-Klimagipfel COP25 in Madrid teilnehmen. Sie müssen ihre Wähler nicht überreden, sich in Sack und Asche zu kleiden. Fakten über den Treibhauseffekt und darüber, wie er verlangsamt werden kann, können einen großen Beitrag zu einer wirksamen Klimapolitik leisten.“
CO2-neutrale Wirtschaft ist ein gutes Geschäft
Warum der Klimawandel als ökonomische Chance begriffen werden sollte, erläutert Die Presse:
„[W]ie die Digitalisierung dazu führte, dass die Tech-Konzerne des Silicon Valley die Industrie-Schwergewichte abgelöst haben, wird die CO2-neutrale Wirtschaft neue Spieler bringen und heute als unsinkbar geltende Konzerne über den Abgrund stoßen. So mag der US-Elektroauto-Pionier Tesla gehypt und Firmenchef Elon Musk ein Grenzgänger sein - das erst 2003 gegründete Unternehmen ist technologisch inzwischen die Benchmark für alle globalen Autohersteller. Es ist kein Zufall, dass China in seiner 2025er-Strategie viele 'grüne' Technologien forciert. Europa und vor allem Österreich sind hierbei ebenfalls noch gut im Rennen, dürfen aber nicht den Anschluss verlieren. Und für den globalen Klimaschutz ist dieser Wettstreit vielleicht die beste Chance.“
Wenn das Klima eine Bank wäre
Eine grünere Wirtschaft allein kann den Klimawandel nicht aufhalten, entgegnet Mariana Mortágua, Abgeordnete des linken Parteienbündnisses Bloco de Esquerda in Jornal de Notícias:
„Einige meinen, dass das gegenwärtige Wirtschaftssystem in der Lage sei, das Problem zu lösen. Befürworter des 'grünen Kapitalismus' setzen auf das Geschäft mit erneuerbaren Energien und Elektroautos und individuelle Verhaltensänderungen. ... Solange alle Aspekte unserer Gesellschaft dem Schutz von Finanzen und Großunternehmen, ihren Gewinnen und einem erfreulichen Haushaltsüberschuss unterliegen, wird es keine Veränderungen geben. Klima muss Vorrang haben, nicht Bankenschutz: Wenn das Klima eine Bank wäre, wäre es schon längst gerettet worden. “
Schwere Zeiten für Fleischesser und Autoliebhaber
Für Ria Nowosti sind die anstehenden ökonomischen Umwälzungen hingegen ein Schreckensszenario:
„In der neuen 'grünen Wirtschaft', die man jetzt in Europa aufbaut, gibt es keinen Platz mehr für Atom- und Ölarbeiter. ... Automechaniker und Bauern werden es schwer haben. Es gibt so gut wie keinen Platz für traditionelle Werte und Fleischesser. Dafür wird es in so einer pseudoökologischen Wirtschaft privilegierte Plätze für illegale Migranten, Kämpfer für Vorrechte diverser Minderheiten und allerlei Subventionsempfänger geben. ... Wenn es so weiter geht, wird ein wunderlicher Touristenstrom gen Russland (und China, aber wir sind näher dran) ziehen: Nur hier kann man noch in Ruhe natürliches Fleisch (und kein Soja) essen und mit einem röhrenden Benzin-Sportwagen herumfahren.“
Besser vorankommen ohne Trump
Kolumnist Gianni Riotta sieht in La Stampa eine Chance für den Gipfel, gerade weil US-Präsident Trump nicht an ihm teilnimmt:
„Indien und China leiden unter den dramatischen Auswirkungen des Klimas mit Überschwemmungen, Dürren, Epidemien. ... Der chinesische Sonderbeauftragte für Klimawandel, der einflussreiche Xie Zhenhua, hat daher von Präsident Xi Jinping die Aufgabe bekommen, den Amerikanern die Führungsrolle als Retter des Planeten abzunehmen. Da Trump fehlt, hat Europa die Möglichkeit, mit Peking um diesen moralischen Titel im Namen der Demokratien zu wetteifern und sich beim Cop 25 als Partner in gutem Glauben und als Innovationsführer beim Übergang zu umweltfreundlicher Energie, Industrie und Arbeit zu präsentieren.“