Von der Leyens 'Green Deal': Wer muss leiden?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein Maßnahmenpaket vorgelegt, um Europa bis 2050 'klimaneutral' zu machen. Eine Billion Euro will sich die Union den 'Green Deal' bis 2030 kosten lassen, zu dem auch eine CO2-Steuer auf Importe gehört, die nicht gemäß den EU-Klimastandards produziert wurden. In Nord-, Ost-, und Mitteleuropa bangen Kommentatoren aus unterschiedlichen Gründen.
Kalte Dusche für Länder mit Atomstrom
Die Position, Atomkraft sei eine "grüne Energie", hat sich beim Ringen um einen Klimakompromiss nicht durchsetzen können, stellt Lidové noviny enttäuscht fest:
„Hätte der Ausstoß von CO2 eine so grundlegende Priorität, wie immer vorgegeben wird, wäre die Einordnung der emissionsfreien Kernenergie sinnvoll gewesen. Da es aber in der Praxis des Green Deals nicht nur um Emissionen geht, sondern auch um Abfälle und andere Dinge, wird die Kernenergie zwar nicht als schmutzig verboten, bekommt aber auch nicht den Aufkleber einer 'grünen Investition'. Für Tschechien, Frankreich und andere Länder, die mit der Kernenergie zur Klimaneutralität wollen, ist das eine kalte Dusche. Nach dem Motto: Baut nur weiter Atomkraftwerke, aber ohne Vorzugsbedingungen. Das riecht nach dem Versuch einer Umerziehung.“
Finnland muss um seine Forstwirtschaft bangen
Hoffentlich versteht man in Brüssel, dass man Wälder auch nachhaltig bewirtschaften kann, sorgt sich Kauppalehti:
„Ein für Finnland sensibles Thema ist die Frage, was die EU-Kommission in Bezug auf die Wälder plant. Finnland fragt sich, ob in der EU wirklich verstanden wird, dass die wirtschaftliche Nutzung des Waldes auch nachhaltig sein kann. In der EU werden Wälder vorwiegend im Hinblick auf die biologische Vielfalt und als Kohlenstoffsenken gesehen. Die von der EU angestrebte neue Forststrategie und die Modernisierung der Rechtsvorschriften führen dazu, dass sich der Forstsektor in fortwährender Unsicherheit befindet.“
Mitteleuropa will nicht doppelt blechen
Mitteleuropa sollte nicht für das Klimakonto des Westens zahlen müssen, moniert die regierungsnahe Magyar Nemzet:
„Wir sind es nicht, die 'den Himmel heizen': Der Großteil unserer Industrie - und damit auch der Großteil unseres Schadstoffausstoßes - ist aufgrund der zumindest umstrittenen Privatisierung der frühen 1990er Jahre verschwunden. Wir müssen hinzufügen: gerade im Interesse des Westens. ... Jetzt wollen wir nicht noch einmal bezahlen, wie ein Gelackmeierter, und auch nicht hinnehmen, dass der ungarische (oder polnische) Bauer, die Regionen und Dörfer weniger Förderung erhalten, weil die EU sich das schöne Ziel vorgenommen hat, der globalen Erwärmung entgegenzuwirken.“
Am Wachstum wird nicht gerüttelt
Das grundlegende Manko des Deals ist, dass das Paradigma des ewigen Wachstums nicht infrage gestellt wird, kritisiert die taz:
„Die Sache ist ganz einfach: Wir verbrauchen zu viel Energie und zu viele Rohstoffe, und wenn die Energie erneuerbar ist und die Rohstoffe recycelt sind, ist das immer noch so. Weil auch jedes Windrad Natur wegnimmt, jedes Elektroauto auf Asphalt fährt und auch recycelte Rohstoffe enorme Mengen Energie zur Herstellung verbrauchen. ... Würde die EU umsetzen, was sie selbstverliebt angekündigt hat, das Wachstum wäre dahin. Vielleicht weiß das Brüssel ja und sagt es nur niemandem. Eine schale Hoffnung.“
Nichtstun wäre teurer
Von der Leyen hat sich eine riesige Herausforderung auferlegt, analysiert NRC Handelsblad:
„Für die Umsetzung bleibt die Union in hohem Maße abhängig von den Mitgliedsstaaten. Wie schwierig es ist, die Bürger, besser gesagt die Wähler, für Klima-Maßnahmen zu gewinnen, wurde vergangenes Jahr in den Niederlanden deutlich. Und da ging es nur um die Ankündigung eines ersten Maßnahmenpakets. Der Widerstand ist in anderen EU-Ländern nicht kleiner. Und dann sind da auch noch die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten. ... Der Green Deal zeigt nach allen Seiten, dass es Europa ernst ist. Zurzeit geht es noch um Makropolitik. Aber auf der Mikroebene werden die Maßnahmen tief einschneiden. Die Kosten sind in jeder Hinsicht hoch. Aber, wie Ursula von der Leyen zu Recht sagte: Die Kosten des Nichtstuns wären noch höher.“
Endlich kommt die CO2-Importabgabe
Europas Wirtschaft wird ausreichend geschützt, freut sich Die Presse:
„Klar, wenn die [österreichische Stahlfirma] Voest für ihren Stahl teure CO2-Zertifikate bezahlen muss, hat sie gegenüber dem Stahlwerk in der Ukraine, das das nicht muss, einen Nachteil. Und es hilft dem globalen Klima nichts, wenn wir solche Industrien aus Europa vertreiben. Dieser Punkt wird nun im 'Green New Deal' aufgegriffen. Und zwar in Form einer CO2-Importabgabe. Diese von Experten schon seit Langem geforderte Abgabe fungiert wie ein Zoll anteilig auf den CO2-Ausstoß von Produkten, die aus Drittstaaten in die EU importiert werden. Und auch wenn Zölle grundsätzlich abzulehnen sind, ist es die einzige Möglichkeit, eine zukunftsorientierte Klimapolitik zu betreiben, ohne die eigene Wirtschaft zugrunde zu richten.“
Geld wird in den Taschen von Schlawinern enden
Die geplante großzügige Finanzierung der Vorhaben zur Klimarettung sieht Atomkraftverfechter Michel Gay in Contrepoints skeptisch:
„Aus diesem Segen öffentlicher Gelder, die von allen Europäern in Form von Einkommens- und Verbrauchsteuern (Kraftstoffe, Elektrizität, Verkehrsmittel …) gezahlt werden, werden gerissene Geschäftsleute Profit schlagen: die, welche am glaubhaftesten behaupten, ihre Dienste zum Erreichen der 'CO2-Neutralität 2050' seien unerlässlich. … Wird dieses 1000-Milliarden-Euro-Programm wirklich dem europäischen Wachstum dienen? Oder wird es Kumpane und Schlawiner diskret mit Milliardenzahlungen versorgen, wie es bei den Windrädern geschieht? … Die Schulden in Milliardenhöhe belasten die Zukunft unserer Kinder zusätzlich, denn sie zahlen die Rechnung für diese 'Klimarettung', deren Finanzierung vielleicht bald zum Skandal des Jahrhunderts wird.“
Europas Förderpolitik ökologisieren
Der Fokus sollte auf jene Unternehmen gerichtet werden, die aktiv mitwirken, das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, fordert Financial Times:
„Von der Leyens Forderung, Investitionen auf den Green Deal auszurichten, bedeutet, dass sich die Industrie- und Innovationspolitik nicht auf bestimmte Unternehmen oder Wirtschaftszweige konzentrieren sollte. Vielmehr sollten Unternehmen in allen Bereichen unterstützt werden, die bereit sind, durch Innovation und Transformation in einer Form zu wachsen, die zur Ökologisierung beiträgt. Dies bedeutet, dass sich der Denkansatz grundlegend ändern muss: Es sollte nicht mehr darum gehen, die 'Sieger' auszuwählen, sondern die 'Willigen'. Ironischerweise war Großbritannien in dieser Frage führend und nutzte einen solchen Ansatz für seine Industriestrategie - bevor das Land vom Brexit verzehrt wurde.“
Protektionismus mit grünem Anstrich
In Corriere della Sera erklärt Wirtschaftsexperte Federico Fubini, warum der Green Deal der Industrie Angst macht:
„Die EU, die Ursula von der Leyen die Kommission anvertraut hat, ist auf dem Weg zum Postliberalismus. Sie stellt sich immer weniger gegen Interventionismus, ist offener für protektionistische Mittel, die sie als edle Absichten tarnt, und zunehmend bereit, die Konzentrationen der sogenannten 'europäischen Champions' zu tolerieren. ... Das ist zum Teil der ökologischen Berufung geschuldet, die mit dem Aufstieg der grünen Parteien (fast 10 Prozent im neuen Europäischen Parlament) in Brüssel Fuß fasst. … Der grüne Faktor definiert eine neue Gleichung: Nicht nur wird die exportierende Industrie anfangs weniger wettbewerbsfähig sein, sie wird auch mehr Investitionen benötigen. Aus diesem Grund erwachen protektionistische Instinkte.“
EU kann sich keinen weiteren Fehlschlag erlauben
Mit den Plänen für den Green Deal geht die EU-Kommission auch ein Risiko ein, mahnt De Volkskrant:
„Das Thema Klima kann Europa neue Legitimation verleihen. Gemeinsam können die Mitgliedsstaaten weltweiten Problemen effektiver die Stirn bieten als jeder für sich. ... Das Klima-Thema mobilisiert stärker als frühere Großprojekte der EU wie die Strategie von Lissabon. ... Die Ziele des 'Green Deal' sind auch deutlich greifbarer als die von Lissabon. Aber die Europäische Kommission hat sich nun selbst auch zum Erfolg verpflichtet. Nicht nur, weil der Klimawandel dies zwingend erfordert, sondern auch, weil sie sich nach der Strategie von Lissabon nicht noch einen Fehlschlag erlauben kann. In dieser Hinsicht ist der Green Deal sowohl unausweichlich als auch riskant.“
Durch Handel zur grünen Macht
Wie die EU wirksam zum Klimaschutz beitragen kann, erklärt eine Gruppe hochrangiger französischer Politiker rund um Umweltministerin Elisabeth Borne in Le Monde:
„Damit Europas Green Deal auch jenseits unserer Grenzen Resonanz findet, muss die Handelspolitik in den Dienst des Klimas gestellt werden. ... Europa ist die größte Handelsmacht der Welt. Ergreifen wir diese Gelegenheit und beschließen wir, dass alle neuen Handelsabkommen nunmehr die Einhaltung der Pariser Klimakonvention sowie rechtlich bindende Nachhaltigkeitsklauseln umfassen müssen. Wir haben alle Lösungen in der Hand, um Europa in eine grüne Macht zu verwandeln. In eine Macht, die eine Botschaft der Hoffnung sendet an die COP25, aber vor allem auch an die für das Klima mobilisierte Jugend und all diejenigen, die in Europa und im Rest der Welt bereits unter den Folgen der Erderwärmung leiden.“
Warum das Klima den Rechten ein Dorn im Auge ist
Rechtspopulisten nehmen die Klimafrage als Gefahr für die nationale Souveränität wahr, bemerkt Index unter Verweis auf eine Studie des Thinktanks adelphi:
„Der Klimawandel ist zwar eine wissenschaftlich nachgewiesene Tatsache, doch die Rechtspopulisten betrachten die daraus resultierende moralisch-politische Verantwortung - ähnlich wie bei der Verpflichtung, die Menschenrechte einzuhalten - als Diktat von außen: Wissenschaftliche Gremien und internationale Organisationen erklären uns, wie wir unsere Konsumgewohnheiten, unseren Lebensstil und unser Denken, also unsere Identität, verändern sollen. ... Hinzu kommt, dass aufgrund des globalen Charakters der Krise der nationale Horizont der rechtspopulistischen Parteien an Bedeutung verliert.“