Impeachment gegen Trump: cui bono?
Das vor Kurzem beschlossene Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Trump löst bei der europäischen Presse weiterhin zwiespältige Gefühle aus. Zuletzt gab Trump bekannt, sich so bald wie möglich dem Verfahren im Senat stellen zu wollen, in dem entschieden wird, ob der Präsident wegen Machtmissbrauchs und Behinderung des Kongresses gehen muss.
Das könnte weltweit Unruhe auslösen
Der Zeitpunkt für das Verfahren gegen Trump ist denkbar ungünstig, findet Jyllands-Posten:
„Ein Impeachment gegen Präsident Trump ist in etwa das Letzte, was die USA jetzt brauchen. Die abgrundtiefe Spaltung der Gesellschaft wird nur noch tiefer werden. Ein Impeachment wird der Nation schaden, zumal in einem Wahljahr, was freilich nicht bedeutet, dass es juristisch nicht vollkommen berechtigt sein kann. ... Das Impeachment wird in der nächsten Zeit die gesamte internationale Gemeinschaft in Atem halten. Es ist nicht nur eine amerikanische Angelegenheit. Trump kann sich gedrängt fühlen, außenpolitisch zu handeln, weil er sich innenpolitisch unter Druck fühlt. Das macht die ganze Sache nicht weniger unglücklich.“
Verfahren hält Trump von Manövern ab
Die gegenteilige Hoffnung hegt Turun Sanomat:
„Verteidiger der US-Rechtspraxis sagen, dass Trumps Image infolge der Anklageerhebung zumindest befleckt wird. In Zukunft wird man ihn mit dem Amtsenthebungsverfahren in Verbindung bringen. Trump schert sich aber wohl kaum um sein Image, solange er bei den nächsten Wahlen für eine weitere Amtszeit gewählt wird. Die Anklage könnte ihm sogar zum Wahlerfolg helfen. Wenn man darin trotzdem etwas Gutes sehen will, dann, dass die Anklage Trump dennoch Zeit kostet. Das könnte ihn davon abhalten, einige aus Sicht der internationalen Gemeinschaft schädliche Entscheidungen zu treffen.“
Debatte komplett entmenschlicht
Angesichts der Schärfe der Auseinandersetzung sieht Ria Nowosti die Wege zur politischen Kompromissfindung in den USA dauerhaft verstellt:
„Von vorübergehenden Ausnahmen abgesehen konnte das Elektorat beider Parteien bislang davon ausgehen, dass Demokraten und Republikaner politische Konflikte ungeachtet aller Differenzen nach Fairness-Regeln ausfechten, die noch von den Gründervätern stammen. ... Dieses System ist nun zerstört, da Anhänger beider Seiten von der physischen Liquidierung ihrer Opponenten träumen, die für sie nicht mehr nur 'keine Freunde oder Mitbürger' sind, sondern 'Unmenschen'. Das sind Zeichen einer totalen Enthumanisierung, die unmöglich gut enden kann.“
Verfahren vereint Konservative hinter Trump
Das Impeachment wird dem US-Präsidenten zur Wiederwahl verhelfen, erwartet Die Presse:
„[D]ass es unter knapp 200 republikanischen Abgeordneten keinen einzigen Ausreißer gab, ist bemerkenswert — ebenso wie die Tatsache, dass ihn zwei Demokraten des Machtmissbrauchs und drei der Justizbehinderung freisprachen. Tatsächlich interessiert es viele Menschen ... nur bedingt, ob Trump die Ukraine zu Ermittlungen gegen Joe Biden und dessen Sohn Hunter aufgefordert hat. Schwerer wiegt für viele Wähler die gut laufende Wirtschaft und Trumps vermeintlicher Kampf gegen das Establishment in Washington. Vielleicht hätten manche Konservative zweimal überlegt, ... wenn die Liberalen nicht im Alleingang ein fragwürdiges Impeachment durchgeboxt hätten. Nun aber werden es die Demokraten verdammt schwer haben, Trump nach seinem Freispruch im Senat bei den Wahlen im November zu besiegen.“
Lästiges Pflichtprogramm für die Demokraten
Die Opposition um Nancy Pelosi beschädigt das Impeachment-Verfahren, kritisiert die Neue Zürcher Zeitung:
„Nie zuvor erfolgte das Impeachment eines Präsidenten mit Zustimmung ausschliesslich einer Partei. Vom breiten Konsens, den Pelosi selbst noch im Frühling als Voraussetzung genannt hatte, kann keine Rede sein. Dies macht das Verfahren zwar nicht illegitim, aber angreifbar. Die Demokraten sind sich dessen bewusst und spulten die einzelnen Schritte deshalb wie ein lästiges Pflichtprogramm ab. Es entsteht der Eindruck, als wollten sie das Impeachment als Spektakel für die eigene Basis rasch hinter sich bringen, auf dass es das Wahljahr nicht zu sehr überschatte. Das mag taktisch die beste mehrerer schlechter Optionen gewesen sein. Aber es wird dem Instrument des Impeachments nicht gerecht.“
Ausgang völlig offen
Positiver bewertet La Vanguardia die Einleitung des Amtsentebungsverfahrens:
„Die aktuelle Situation zeigt uns auch, dass das System in den USA funktioniert. Trumps Vorhaben, als Präsident zu tun und zu lassen, was ihm gefällt, trifft auf legale Grenzen. ... Doch ist es schwer vorherzusagen, was aus dem Prozess wird. Die Senatsmehrheit macht eine Amtsenthebung unwahrscheinlich. Es gibt sogar Stimmen, die glauben, Trump könnte daraus gestärkt in den Wahlkampf 2020 gehen. Aber man sollte bedenken, dass im Lauf der nächsten Monate weitere Skandale des Präsidenten ans Tageslicht kommen könnten - in Anbetracht des bisherigen Handelns des Präsidenten ist das gar nicht so unwahrscheinlich. Und neue Beweise könnten Republikaner dazu bewegen, auf Distanz zu gehen.“