Was treibt Trump zum Vorgehen gegen den Iran?
Als Vergeltung für die Tötung des hochrangigen iranischen General Qassim Soleimani in Bagdad hat der Iran US-Stellungen im Irak mit Raketen angegriffen. Teheran sprach von einem Schlag ins Gesicht der USA, deren Präsident hingegen twitterte "alles ist gut". Was Trump zu dem Vorgehen gegen den Iran motiviert und was die Konsequenzen seines Handelns sein könnten, diskutiert Europas Presse.
Zu allem bereit
Der US-Präsident hat eine Spirale der Gewalt in Bewegung gesetzt, meint Jutarnji list:
„Trumps Tat war nicht rational, sondern übereilt und emotional. Selbst Präsident Bush junior, der keinen Krieg im Nahen Osten gescheut hat, traute sich nicht, Soleimani anzugreifen. ... Überzeugt von der eigenen Unfehlbarkeit drohte Trump gar offen mit Kriegsverbrechen und der Zerstörung von Kulturgütern, was, hoffen wir, das Pentagon nicht erlauben würde. Doch kann jemand einen Präsidenten stoppen, der immer nervöser wird, desto näher das Impeachment-Verfahren im Senat und die Wahlen rücken?“
Das Volk will den starken Mann
Hinter Trumps Politik steckt ein neues Souveränitätsverständnis, wonach das Staatsoberhaupt die Regeln der Demokratie nicht befolgen muss, analysiert Kolumnist Ezio Mauro in La Repubblica:
„In der öffentlichen Meinung stößt diese 'Befreiung' der Macht von Pflichten auf große Zustimmung, weil sie dem Zeitgefühl entspricht. Verunsichert, schlecht vertreten, misstrauisch, verängstigt durch unkontrollierte supranationale Phänomene misst der Bürger den Schutz, den ihm die Politik garantiert. Er fühlt sich entblößt und gibt den demokratischen Verfahren, den Regeln die Schuld. Er nimmt sie als Verpflichtungen wahr, deren Begründung er nicht mehr findet, als Einengung, deren Legitimität er nicht mehr anerkennt. In diesem Zusammenspiel von Unzufriedenheit und Vereinfachung entsteht der Ruf nach dem 'starken Mann'.“
USA müssen um ihre Stellung im Nahen Osten bangen
Die Aufforderung des irakischen Parlaments, ausländische Truppen sollten das Land verlassen, bringt Washington in eine vertrackte Situation, meint Wiktoria Wenk auf Strana.ua:
„Die Erklärung von Bagdad eröffnet vor allem dem Iran große Chancen. ... Und auch anderen geopolitischen Gegnern der USA. ... Das heißt, die Tötung Suleimanis hat Trumps Image und Amerikas Rolle in der Region nicht gestärkt, sondern die USA in eine sehr unangenehme Lage gebracht. ... Ohne die formelle Zustimmung des Irak ist die Präsenz amerikanischer Truppen eine direkte Aggression und eine unverhüllte Besetzung. ... Im Prinzip hat der Irak deutlich gemacht, dass ihm partnerschaftliche Beziehungen zum Iran wichtiger sind als die Gunst der Amerikaner.“
Stärkung für irakische Kurden
Milliyet richtet seinen Blick auf eine weitere mögliche Folge der Operation:
„Das Hauptziel der USA bei der Ermordung von Qassim Soleimani war nicht der Iran, sondern der Irak. Wenn das Ziel gewesen wäre, den Iran zu schwächen, hätte man Soleimani in seinem eigenen Land attackiert. ... Nun wird folgendes passieren: Die US-Soldaten im Irak werden sich in den Norden zurückziehen, also in die Region unter der Kontrolle der Regionalregierung Kurdistans. Das bedeutet, dass die autonome Region deutlich unter US-Einfluss gerät. ... Das ist eine neue Situation, die das Gleichgewicht in der Region stark beeinflussen wird. So wie sich die Kurden nach dem Ersten Golfkrieg im Nordirak ausbreiteten, festigten sich die autonomen Strukturen nach dem Zweiten Golfkrieg. Durch die jetzige 'Dritte Irakintervention' könnten die kurdischen Strukturen weiter erstarken.“
Teherans Schlagkraft wird überschätzt
Zu Vergeltungsmaßnahmen des Regimes im größeren Stil wird es nicht kommen, ist Masih Alinedschad, Kritikerin der iranischen Regierung, in La Stampa überzeugt:
„ Es gibt sicherlich keinen Mangel an US-Zielen in der Region, aber die alarmistischen Spekulationen über einen Dritten Weltkrieg sind einfach nur dumm. Selbst ein räumlich begrenzter Krieg ist unwahrscheinlich. Die Islamische Republik hat 40 Jahre lang überlebt, weil die religiöse Führung nur eine strategische Mission hat: das Überleben. ... Das Hauptziel des Regimes ist die Konsolidierung seiner Basis an der heimischen Front. Trotz der Bilder von Menschenmengen, die auf staatlich kontrollierten Fernsehkanälen den 'Tod für Amerika' fordern, ist das Regime wackelig. Anstatt einen Krieg mit den Vereinigten Staaten zu riskieren, wird die Islamische Republik die Antwort der Hisbollah anvertrauen.“
Iran wird sich auf symbolische Handlungen beschränken
Ein Krieg wäre nicht im Interesse Teherans, schreibt Matas Maldeikis, bis vor Kurzem Ständiger Vertreter Litauens bei der EU, auf Lrt:
„Im Iran ist man sich längst darüber im Klaren, dass die USA sich bald aus dem Nahen Osten zurückziehen werden. ... Schon in sehr naher Zukunft wird die Schiefergasrevolution die Stellung der USA im Markt der Energieressourcen grundsätzlich verändern, und sie werden vom weltgrößten Energieimporteur zum Energieverkäufer. Die USA haben deshalb kein ernsthaftes geopolitisches Interesse mehr, in dieser Region zu bleiben. Und dies bedeutet, dass eine sehr scharfe Reaktion Irans, die den Rückzug der USA nur verzögern würde, vor allem für den Iran selbst nicht nützlich wäre. Wahrscheinlich werden wir also nur symbolische Handlungen erleben, die dazu dienen sollen, die eigene Bevölkerung zu beruhigen und zu zeigen, dass die Führung Irans den Kampf 'mit den USA und dem zionistischen Imperialismus' aufnimmt. “
Ohne Sinneswandel führt nur Krieg aus dem Patt
Ilta-Sanomat befürchtet, dass die USA und der Iran in eine direkte militärische Auseinandersetzung schlittern könnten:
„Der Iran ist eine der stärksten Kriegsmächte im Nahen Osten, aber nicht stark genug, um direkt gegen die US-Streitkräfte vorzugehen. Deswegen wird er vermutlich versuchen, sich indirekt zu rächen. Den USA wiederum fehlt der Mut, eine Bodenoffensive zu starten, welche der einzige Weg wäre, die Regierung in Teheran zu stürzen. Diese Pattsituation gibt es schon lange. Um sie zu beenden, wäre entweder ein Sinneswandel von einer der beiden Seiten nötig oder ein Krieg, bei dem keine Rücksicht auf die Folgen genommen wird. Nach dem Tod Soleimans zeichnet sich letzteres leider immer stärker ab.“
Berechnende Provokation aus dem Westen
Der Iran muss auf die Tötung Soleimanis reagieren – und spielt damit Washington und Tel Aviv in die Karten, analysiert Gazete Duvar:
„Für Teheran und die Schiiten hätte es keine größere Beleidigung geben können als die Ermordung von Soleimani und Abu Mahdi al-Muhandis [Milizenführer im Irak]. ... Sie zeigt, dass beide Länder [USA und Israel] beim Thema Krieg nicht geblufft haben. Sie wollen aber nicht der erste Angreifer sein. ... Sie rempeln den Iran bei jeder Gelegenheit an und warten, dass er reagiert. Klar ist: Die USA und Israel sind sehr entspannt. Sie haben nämlich nichts zu verlieren. Die USA vertrauen auf ihre überragende Militärmacht. ... Das bedeutet nicht, dass morgen ein Krieg ausbricht, sondern im Gegenteil: Sie glauben, dass das den Iran davon abhält, in einen Krieg einzutreten.“
Wahlkampf der gefährlichsten Sorte
Die Hinrichtung des iranischen Generals hat die Situation in Nahost nach Ansicht von Dagens Nyheter extrem verschärft:
„Jetzt haben die Vereinigten Staaten einen der populärsten iranischen Männer getötet, den General, der die Nation vor dem IS geschützt hat und als möglicher zukünftiger Präsident gehandelt wurde. Es ist einleuchtend, dass sich die Iraner jetzt hinter ihrem Regime versammeln. ... Es ist schwer, den Angriff als etwas anderes zu sehen, denn als Möglichkeit für Trump, Wähler zu gewinnen, indem er am Rande eines großen Nahost-Krieges balanciert. Das ist umso ironischer, wenn man Trumps wiederholte Tweets vor acht Jahren betrachtet, wonach Präsident Obama den Iran angreifen würde, um gewählt zu werden. ... Stattdessen ist es jetzt Trump, der elf Monate vor den Wahlen die gefährlichste Präsidentschaftskampagne der Welt führt. “
Bevölkerung steht nicht klar hinter Regime
Analyst Alexandru Lazescu hegt im Blog von Contributors starke Zweifel, ob die Empörung der iranischen Bevölkerung sich nun primär gegen die USA richtet:
„In den Ausschnitten, die internationale Nachrichtensender von der Gedenkveranstaltung für Soleimani ausgestrahlt haben, kann man Gesichter sehen, die einen mehr an große Massenaufläufe zu Zeiten von Ceaușescu erinnern; mit Leuten, die relativ apathisch sind. In der iranischen Bevölkerung herrscht viel Unzufriedenheit über die allgegenwärtige Korruption im Land. ... Es ist überhaupt nicht sicher, ob der Tod von Soleimani jenseits der offiziellen Propaganda im Iran eine große Welle von Geschlossenheit und Patriotismus auslösen wird. Man sollte nicht vergessen, dass die von Soleimani kommandierten Truppen genau jene sind, die die Demonstrationen gegen das Regime [im November] blutig niederschlugen.“
Drei Fliegen mit einer Klappe
Trump hat mit dieser Operation gleich mehrfach gepunktet, staunt Ethnos:
„Unberechenbar par excellence, zerstörte er unerwartet drei schiitische Säulen: die libanesische Hisbollah, die irakische Haschd-asch-Scha'bi-Miliz und die iranischen Al-Quds-Brigaden. Soleimani war verantwortlich für die Bildung der schiitischen Achse von Teheran nach Beirut und der Pionier der Siege des Irans auf den Schlachtfeldern in Syrien, im Irak und im Jemen. Was hat Trump erreicht? Drei Dinge gleichzeitig: Den Applaus seiner innenpolitischen Verbündeten für eine dynamische Reaktion auf den aggressiven Iran. Die Wiederherstellung des US-Prestiges nach der Ungeheuerlichkeit der 'Operation Friedensquelle' [als sich Trump den Vorwurf gefallen lassen musste, bei Erdoğans Offensive in Nordsyrien die Kurden im Stich gelassen zu haben]. Und zudem stärkt er sein Führungsprofil mitten im Amtsenthebungsverfahren.“
Chance auf einen neuen Iran
Die Tötung Soleimanis könnte die Islamische Republik auch zum Besseren verändern, hofft die SonntagsZeitung:
„Unzweifelhaft war Soleimanis Exekution riskant. Trump griff zu diesem Mittel, obwohl zwei seiner Vorgänger wegen der schwer abschätzbaren Folgen davor zurückschreckten. Doch unter den möglichen Folgen sind auch positive: Es könnte sein, dass Soleimanis Tod ein Element des Widerstands beseitigt und sich jetzt neue Türen zu einer Verständigung öffnen. Es lügt, wer zu wissen vorgibt, was jetzt geschehen wird. Wenn sich die Gemüter kühlen, könnte langfristig sogar ein neuer Iran entstehen. Dann weint am Ende auch in Teheran niemand Qassim Soleimani eine Träne nach.“
Irak in Schutz nehmen
Die internationale Gemeinschaft muss aufpassen, dass der fragile Irak nicht mit weiteren Stellvertreterkonflikten überlastet wird, warnt Hürriyet Daily News:
„Einer der wichtigsten Punkte rund um diese Eskalation ist die Tatsache, dass der Konflikt auf irakischem Territorium stattfindet. Es ist sehr schwer für die irakische Regierung, die Kontrolle über die Nachwirkungen des Mordanschlags zu übernehmen und potentielle neue Massenproteste auseinanderzutreiben, da sie bereits damit zu kämpfen hat, den wachsenden wirtschaftlichen Problemen und dem Chaos im Land gerecht zu werden. Deshalb sollten Länder wie die Türkei und andere verantwortungsbewusste Mitglieder der internationalen Gemeinschaft den Iran und die USA dazu anhalten, die delikate Situation im Irak nicht weiter zu gefährden.“