Italien: Wird Salvini jetzt der Prozess gemacht?
Der Weg zur Anklage von Italiens Ex-Innenminister Matteo Salvini ist frei: Der Senat in Rom hob am Mittwoch seine Immunität auf. Dem Chef der rechtsradikalen Lega werden Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Er hatte dem Schiff Gregoretti mit 116 Flüchtlingen an Bord im Juli 2019 tagelang das Anlegen verweigert. Kommentatoren fürchten, dass der Prozess Salvini eher nützt als schadet.
Schwache Gegner klammern sich an Justiz
Die Regierung hat Salvini politisch wenig entgegenzusetzen, erklärt Kolumnist Marcello Sorgi in La Stampa:
„Die Richter werden zu entscheiden haben, ob das mit 116 Migranten beladene italienische Schiff Gregoretti auf See zu halten und es tagelang am Anlegen im Hafen zu hindern, eine Entführung darstellt - oder ob es nicht die logische politische Prämisse der Arbeit war, die der Premierminister Conte zur gleichen Zeit verrichtete, um ein taubes Europa dazu zu bringen, die Notwendigkeit einer kontinentalen Umverteilung der Schiffbrüchigen zu erhören. ... [Die Regierung] hofft nun, dass Salvini schwer angeschlagen aus der Sache herauskommt. Da sie einen so furchterregenden Gegner, der seine Stimmen in einem Jahr verdoppelt hat, politisch nicht loswerden können, glauben sie, dass sie dies auf gerichtlichem Wege schaffen werden. Es ist möglich, aber es ist der Ehrgeiz einer schwachen Politik.“
Lega-Chef wird in Opferrolle aufblühen
Der Gerichtsprozess wird dem Ex-Innenminister politisch nützen, ist BBC News überzeugt:
„Matteo Salvini hat seinen politischen Erfolg auf einer harten Anti-Zuwanderungspolitik aufgebaut. Die Entscheidung, ihn anzuklagen, weil er Migranten von Italien ferngehalten hatte, stärkt das Image eines Verteidigers der italienischen Nation, das er sich selbst verpasst hat. Italiens Chef-Populist wird sich über den Schritt [des Senats] freuen, der den Mann des Volkes als Opfer des Establishments darstellt. Und obwohl eine eventuelle Verurteilung Salvinis politische Karriere beenden könnte, wird er vorerst nicht allzu besorgt sein. In Italien drehen sich die Räder der Justiz langsam. Selbst im Falle einer Verurteilung hätte er das Recht auf zwei Berufungen, die Jahre dauern können.“
Allerorten Heuchelei
Empörung verdient nicht nur Salvini, betont die Süddeutsche Zeitung:
„Eine heuchlerische Show ist ... auch, was einige Politiker der Fünf Sterne vorführen. Der frühere Regierungspartner hat den teils unmenschlichen Kurs gegen Flüchtlinge lange mitgetragen. Nun sucht er Distanz mit Verweis auf geänderte Gesetze, die den fraglichen Fall von anderen unterscheiden. Und Fünf-Sterne-Vertreter rühmen sich, dass der harte Kurs mehr Kooperation anderer EU-Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen bewirkt habe. Die EU wiederum ist auch ein Stück weit heuchlerisch. Sie fördert die von Salvini gepriesene Kooperation mit Libyens höchst fragwürdiger Küstenwache, die der benutzte, um Rettungsorganisationen zu vertreiben. Viele sollten sich in dieser Sache schämen.“