Ölpreis im Sturzflug: Warum gerade jetzt?
Der Preis für Öl ist am Montag um rund 30 Prozent gesunken - so stark wie seit 1991 nicht mehr. Neben der Rezession durch das Coronavirus ist daran vor allem ein Streit zwischen Saudi-Arabien und Russland Schuld, die sich beim Treffen der erdölfördernden Länder (Opec+) nicht auf eine Drosselung der Fördermengen einigen konnten. Europas Presse fragt sich, wie opportun ein Preiskrieg in Krisenzeiten ist.
Die Rechnung wurde ohne das Virus gemacht
Der Ölpreiskrieg wird nicht so rasch zu überwinden sein, erklärt Anton Ussow, Fachmann für die Öl- und Gasbranche bei der Unternehmensberatung KPMG, in Wedomosti:
„Auf den Märkten herrscht Panik. Auf dem Ölmarkt sorgen dafür konkret drei Faktoren: Der fehlende Konsens über die Zukunft von Kohlenwasserstoffen als Energieträger auf lange Sicht, der kurzfristige Nachfragerückgang aufgrund des Coronavirus und das Scheitern der Opec+. … Mir scheint, die Verhandlungsstrategien waren offenbar ohne großes Verständnis für den Einfluss des Virus ausgearbeitet worden. Meiner Meinung nach ist Krieg ausgebrochen, doch Sieger wird es dabei unter den ölproduzierenden Ländern nicht geben. Man muss wohl zurück an den Verhandlungstisch und alles dafür tun, dass sich der Markt stabilisiert - obwohl dies kurzfristig kaum gelingen wird.“
Saudi-Arabien hat genug von Russlands Alleingang
Die Saudis versuchen mit ihrer drastischen Drohung, dem wortbrüchigen Ex-Partner Einhalt zu gebieten, erklärt die Frankfurter Rundschau:
„Lange haben die Hauptkontrahenten Saudi-Arabien und Russland einigermaßen an einem Strang gezogen und mit Förderbeschränkungen den Ölpreis stabilisiert. Die Saudis drosselten gar stärker, als sie mussten. Russland aber pumpte zuletzt mehr als vereinbart auf den Weltmarkt - Präsident Wladimir Putin braucht das Geld, um unter anderem seinen Großmachtambitionen nachzugehen. Nun reicht es den Saudis. Sie drohen, das Angebot deutlich zu erhöhen, und haben damit den Preiscrash ausgelöst. Das zeigt auch, wie fragil das Geschäft mit dem wichtigsten Rohstoff der Welt geworden ist. Die Nachfrage wird in den nächsten Jahren kontinuierlich zurückgehen.“
Putin schert sich nicht um die Araber
Putin will durch einen Ölpreisverfall vor allem die US-Schieferölproduktion treffen, die dank der geringeren Förderkosten von der Coronavirus-Epidemie profitieren dürfte, analysiert Ökonom Michel Santi in La Tribune:
„Das fleißige Russland kann sich dies erlauben, denn es verfügt dank eines gut bestückten nationalen Fonds über beachtliche Reserven, da seine Öl- und Gasverkäufe nur noch 55 Prozent seiner Exporte ausmachen und der Haushalt des Landes nur noch zu einem Drittel durch Öl- und Gaseinnahmen finanziert wird. Staatsräson und die Interessen seines Landes haben natürlich Vorrang für Putin, der (logischerweise) keine Rücksicht das saudische Königreich nimmt, das völlig von seinen Ölexporten abhängt und für das ein unkontrollierter Fall der Ölpreise existenzbedrohend ist. … Die regionalen Auswirkungen werden zwangsläufig dramatisch sein und dies umso mehr, als die saudische Reaktion auf das russische Manöver fast selbstmörderisch ist.“
Verantwortungslosigkeit verstärkt die Krise
Das teilweise halsbrecherische Taktieren der Förderländer bekommt vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Corona-Krise einen negativen Beigeschmack, schreibt die Neue Zürcher Zeitung:
„Der Streit zwischen Saudiarabien und Russland zeigt auch den kläglichen Zustand weltweiter Koordinierung. Beide Länder sind Mitglieder der G-20, des Klubs der wichtigsten Staaten, der die weltweiten Belange lenken will. Verantwortungsvolles Verhalten sieht aber anders aus. Auch hier zeigt sich, dass nicht unbedingt das Virus die schlimmsten Folgen mit sich bringt, sondern die panikartigen Gegenmassnahmen.“