Ist die Pandemie gut für das Klima?
Weltweit haben Staaten und Privatpersonen diverse Maßnahmen ergriffen, um Sars-CoV-2 in den Griff zu bekommen: Es wird kaum noch gereist, weniger produziert und transportiert. Vielerorts sind Umweltbelastungen bereits spürbar zurückgegangen. Doch Kommentatoren glauben nicht, dass die Maßnahmen langfristig den Klimawandel aufhalten können.
Corona führt nicht zur Wende
Nun eine grundlegende Klimawende durch ein dauerhaft verändertes Konsumentenverhalten zu erwarten, wäre voreilig, warnt De Morgen:
„Gelingt uns das Prinzip 'weniger', wenn wir dadurch das Klima lebensfähig erhalten? Das klingt gut, aber eher wird das Gegenteil der Fall sein. Viele Menschen spüren jetzt am eigenen Leibe, wie sehr sie ihr Verhalten verändern müssen, um auch nur ein bisschen zu bewirken. Und viele werden [wenn es später um den Klimaschutz geht] entscheiden, dass sie nicht bereit sind, dieses Opfer zu bringen. ... Eine Strategie, die Lösung des Klimawandel-Problems nur von einer Verhaltensänderung der Menschen zu erwarten, ist zum Scheitern verurteilt. “
Die Krisen sind nicht vergleichbar
Ralf Fücks vom Thinktank Zentrum Liberale Moderne kritisiert in der Tageszeitung Die Welt die Vorstellung, die Maßnahmen könnten ein Modell für künftige Klimapolitik abgeben:
„Die Analogie zwischen Corona-Krise und Klimawandel ist ... in der Sache unhaltbar. Eine Virenpandemie ist monokausal. Dagegen ist der Klimawandel eine hochkomplexe Angelegenheit. ... Die Einschränkungen zur Bekämpfung der Virus-Pandemie sind temporär. Wir akzeptieren sie in der Hoffnung auf Rückkehr zur Normalität des modernen Lebens. Angewandt auf den Klimawandel müssten sie auf Dauer gestellt werden: nicht für Monate, sondern für immer. Wer das als mehrheitsfähige Vision verkaufen will, ist nicht von dieser Welt.“
Erderwärmung erfordert andere Aktionen
Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels müssen anders geartet sein als jene zur Bekämpfung der Pandemie, konstatieren François Gemenne, Mitglied des Weltklimarats, und die Gesundheitsexpertin Anneliese Depoux in Le Monde:
„Der Klimawandel verlangt von uns eine Solidarität, die über die Grenzen hinausgeht, nicht nur innerhalb davon: Man kann den Nutzen der Grenzschließungen zur Verlangsamung der Verbreitung des Virus anzweifeln. Gewiss ist jedoch, dass die Treibhausgase an den Grenzen keinen Halt machen werden. Und vor allem werden die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus durch die Notlage erzwungen: Wir haben sie nicht ausgesucht, wir erleiden sie. Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels müssen erwählt werden.“
Im Notfall darf Geld kein Argument sein
Unter der Bedrohung des Virus ist plötzlich möglich, was zuvor immer an den Finanzen scheiterte, kritisiert Phileleftheros:
„Bei jeder Initiative, jedem Projekt zur Eindämmung der globalen Erwärmung, denken wir normalerweise an die Kosten. Finanzielle Interessen überwiegen, die meisten debattieren darüber, wer die Rechnung bezahlen wird. Wir sind so weit gekommen, dass wir nichts unternehmen, trotzt aller Expertenwarnungen, so dass wir bald den Punkt erreichen, an dem die Situation möglicherweise nicht mehr umkehrbar ist. Um die Umwelt zu schonen, wird die Weltwirtschaft natürlich nicht gebremst. Aber die mörderische Epidemie hat uns gezeigt, dass der katastrophale Kurs, den wir bisher verfolgen, um jeden Preis gestoppt werden muss. Eine umweltfreundlichere Lebensweise, egal wie teuer sie sein wird, muss in die Praxis umgesetzt werden.“
Erderwärmung ist viel gefährlicher
Der Klimawandel ist nur scheinbar weniger akut als die Corona-Epidemie, schreibt Der Spiegel:
„Wir Menschen sind umso weniger bereit, unser Verhalten zu ändern, je weiter die vermuteten Konsequenzen des Nichthandelns entfernt scheinen, zeitlich wie räumlich. ... Unsere längst bekannten kognitiven Verzerrungen lassen also das eine bedrohlicher erscheinen als das andere. Obwohl es, global und menschheitsgeschichtlich betrachtet, genau umgekehrt ist: Klimakrise und Artensterben sind für die Menschheit weit bedrohlicher als eine zusätzliche Viruserkrankung, so bedrohlich und potenziell tödlich diese Erkrankung auch sein mag. ... Es wäre die Aufgabe der Politik, aus diesen Fakten die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Und auch gegen die Klimakrise endlich zu handeln.“
Das Virus schafft Tatsachen, wo Worte verhallen
Observador bemerkt, dass Sars-CoV-2 einen stärkeren Einfluss auf die Umwelt hat als der Klimaaktivismus der letzten Jahre:
„Wie lässt sich erklären, dass das Virus die chinesische Umweltverschmutzung bereits um 25 Prozent reduziert hat, auch ohne, dass eine Greta dafür eintritt? Obwohl gesagt wird, dass das Virus nur für wenige tödlich sein wird, haben die Menschen Angst; wenn aber gesagt wird, der Klimawandel sei das Ende der Welt, geht alles weiter wie bisher. ... Vielleicht scheint uns ein neues Virus in einer Welt, in der Gesundheit das höchste Gut ist, ein inakzeptables Risiko zu sein. Zudem kann unsere Zivilisation ihre eigene Begrenztheit schlecht akzeptieren: Wir möchten glauben, dass wir alles vom Klima bis zur Ausbreitung von Viren und Bakterien kontrollieren können. ... Wir vergessen aber, dass die menschliche Geschichte auch von der Natur geschrieben wird.“
Kapitalismus jetzt neu denken
Die Grenzen, die uns das Coronavirus setzt, können als Inspiration für eine nachhaltigere Welt dienen, meint Mérce:
„Wir können erfreut sein, dass die von der übertriebenen kapitalistischen Produktion verursachte Umwelt- und Luftverschmutzung als Nebenwirkung der Epidemie abnimmt. Diese Erfahrung kann als Inspiration dafür dienen, eine Welt zu verwirklichen, die auf einer gerechteren Aufteilung des Eigentums und der Güter basiert und sich zum Ziel setzt, den Lebensunterhalt der Bewohner unseres Planeten in einer nachhaltigen Art und Weise sicherzustellen.“