Covid-19: Entzauberung der Populisten?
Europas Populisten können sich zwar über geschlossene Grenzen freuen, in vielen Ländern sind ihre Stimmen seit Beginn der Corona-Krise aber deutlich schwächer zu vernehmen. Medien diskutieren, ob sich hier eine Trendwende abzeichnet.
Menschen sehnen sich nach seriöser Problemlösung
Diese Krise entzaubert die Populisten, freut sich die Berliner Zeitung:
„Ihnen ist der Stoff abhandengekommen, mit dem sie ihren Aufstieg der letzten Jahre untermauert haben, das Öl, das sie ins Feuer gesellschaftlicher Konflikte gegossen haben. Sie hatten die Verachtung des Staates und der Politiker des 'Systems', wie sie die Demokratie nennen, zu ihrem Programm gemacht ... . Dort aber, wo sie selbst das Sagen haben, wie Donald Trump in den USA, Boris Johnson in Großbritannien oder Jair Bolsonaro in Brasilien, zeigt sich ihr Versagen in aller Öffentlichkeit. ... Die Menschen sehnen sich nach einem ernsthaften, seriösen Umgang mit den Herausforderungen.“
Rückenwind für alle Staatschefs
In Krisensituationen verstummt Kritik an Regierungen jeglicher Couleur, analysiert The Guardian:
„Die Amerikaner haben einen Ausdruck für den Impuls von Menschen, sich in Notsituationen hinter ihre Führung zu stellen, besonders wenn die Bedrohung existenzieller Natur ist. Sie nennen es 'rallying round the flag' - sich um die Flagge scharen. ... Je schwerer der Notfall, desto vehementer die Rückendeckung für die Regierung. Ängstliche Menschen finden Trost darin, zu glauben, dass sie in Händen fähiger Führer sind. In harmlosen Zeiten ist es emotional einfach, Politiker als nichtsnutzige Schurken zu verurteilen. In einem Notfall wollen wir glauben, dass es kluge Leute an der Spitze gibt, die wissen, was sie tun. Dies geht einher mit dem Wunsch nach Solidarität.“
Rechte könnten mittelfristig profitieren
Wenn die EU nicht bald die richtigen Entscheidungen trifft, könnten Populisten Rückenwind bekommen, warnt hingegen Novi list:
„Die Pandemie wird eines Tages vorüber sein. Doch am Tage Null haben nicht alle Länder die gleiche Startposition. Wird das Minus zu groß, was riesige Arbeitslosigkeit mit sich bringt, dazu den Kollaps der Sozialhilfesysteme und sicherlich eine politische Krise, werden die EU und der Rest Europas nicht mehr dieselben sein. Vor allem im politischen Sinne. Es könnte leicht passieren, dass in Italien Matteo Salvini eine stabile Regierung bilden kann und Italien sich nicht nur aus der Eurozone, sondern gleich aus der EU zurückzieht. Sollte man die EU als weltfremde Bürokratie wahrnehmen, die vor allem der deutschen Wirtschaft dient, ist nicht ausgeschlossen, dass Marine Le Pen die nächste französische Wahl gewinnt. Etwas Ähnliches könnte auch in Spanien geschehen.“