Ölpreis unter Null: Händler bieten Abnehmern Geld
Inmitten der Coronavirus-Pandemie war der Erdölpreis an der New Yorker Börse erstmals in seiner Geschichte tief ins Negative gerutscht. Der Preis der US-Referenzsorte WTI (West Texas Intermediate) zur Lieferung im Mai lag zum Börsenschluss am Montag bei minus 37,63 Dollar pro Barrel. Läutet die Pandemie das Ende des Erdölzeitalters ein?
Ein zweischneidiges Schwert
Ein niedriger Ölpreis bringt nicht nur Vorteile, gibt Turun Sanomat zu bedenken:
„Einige Experten haben bereits davor gewarnt, dass das billige Öl zu seltenen wirtschaftlichen Turbulenzen führen könnte, zu einem allgemeinen Rückgang des Preisniveaus, also zur Deflation. Das dürfte kaum passieren, denn vermutlich wird die Corona-Krise vorher überwunden sein. Vorher wird das billige Öl zur Erholung der Wirtschaft beitragen. Im Hinblick auf das Klima führt dies jedoch zu zwei gegenteiligen Effekten. Die Corona-Epidemie hat die Emissionen stärker reduziert als irgendwelche Beschränkungen. Durch den Ölpreis werden andererseits althergebrachte Energielösungen erhalten, denn derzeit lohnt es sich nicht, in umweltfreundlichere Lösungen zu investieren.“
Rohstoffriesen müssen auf Alternativen setzen
Die Corona-Krise beschleunigt die massiven Veränderungen, mit denen die Energiewirtschaft konfrontiert ist, analysiert Financial Times:
„Der Preisverfall verdeutlicht in vielerlei Hinsicht, welche Entwicklungen der Energiewirtschaft bevorstehen. Die Ölriesen waren wegen ihrer Rolle beim Klimawandel bei Investoren und der Öffentlichkeit bereits in Ungnade gefallen. Die globale Ölnachfrage könnte früher als bisher erwartet ihren Höhepunkt erreichen. Der aktuelle Rückschlag bedeutet, dass betroffene Unternehmen ihre Pläne zur Umstrukturierung beschleunigen müssen. Lange Zeit übliche und begehrte Dividendenzahlungen müssen möglicherweise gekürzt werden. Die Superriesen, darunter BP und ExxonMobil, werden ihre Investitionen in alternative Energieformen steigern müssen.“
Gas und Kohle werden folgen
Rzeczpospolita sagt gar das Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe voraus:
„Wie spektakulär ist der Fall des Rohstoffs, für den Kriege und geopolitische Kämpfe geführt wurden. Am Montagabend mussten die Produzenten des schwarzen Goldes zahlen, um Öl aus den USA loszuwerden. Die Mächtigen der Ölländer kann vielleicht noch trösten, dass das aus dem Nordseeboden gewonnene Öl nur wenige Prozent verliert. Aber schon am Dienstag hätte im Kreml echte Panik ausbrechen können, weil auch bei den Notierungen des russischen Öls negative Preise aufgetreten sind. Eine Ära ist vorbei. ... Die Minuspreise, die wir im Mai auf dem Ölmarkt sehen, werden bald auch andere fossile Rohstoffe betreffen. In einigen Monaten werden die Gas- und dann die Kohlepreise deutlich fallen.“
Irgendwann geht der Preis wieder hoch
Der Wirtschaftsberater Andrej Mowtschan hingegen sieht in einem von newsru.com übernommenen Facebook-Post Licht am Ende eines sehr langen Tunnels:
„Wie geht es weiter? Weiter werden wir warten und leiden. Und wohl die Förderung noch weiter kürzen - nicht mehr im Rahmen des Deals [mit der Opec], sondern weil niemand das Öl kauft. Und dann enden die Quarantänen - und der Bedarf an Öl wächst wieder. … Zunächst frisst er die Vorräte auf (der Preis bleibt gleich), dann wird er durch Angebote flexibler Produzenten (vor allem von Schieferöl) gedeckt; und dann zeigt sich, dass es schwierig und zäh ist, die Ölquellen zu rekonservieren und die Nachfrage ist schon gut gewachsen - dann geht der Preis hoch. ... Und Brent kostet wieder 50 oder mehr Dollar fürs Barrel. Aber das passiert nicht heute und nicht morgen. Der Ölwinter wird lang.“
Nachfrage nicht nur wegen Lockdown gesunken
Ein klarer Pandemie-Effekt, erläutert Wirtschaftsexperte Mario Deaglio in La Stampa:
„Der am stärksten betroffene Teil der Wirtschaft ist der Verkehrssektor. Insbesondere der Luft- und der Straßenverkehr, beides große Verbraucher von erdölbasiertem Treibstoff: Heute ist der Himmel über allen industrialisierten Ländern fast leer, ebenso die Autobahnen. ... Hinzu kommt, dass der Winter recht mild war, die großen Fabriken geschlossen sind oder nur noch wenig produzieren und die Tanks der Stromerzeuger oft noch halb voll sind. Im Wesentlichen ist die Ölnachfrage in der Realwirtschaft in den letzten Wochen viel schneller zurückgegangen, als das BIP gesunken ist. All dies bereitet den Exportländern große Schwierigkeiten.“
Nur ein Krieg kann den Ölmarkt noch retten
Der Blogger Alexander Gorny befürchtet auf Echo Moskwy das Schlimmste:
„Das Öl stürzt ab und die letzten Nachrichten von der Börse, wo WTI mit Lieferung im Mai minus 39,44 Dollar erreichte (!!!!), bieten keinen Grund zum Optimismus. In der Folge werden auch die Sorten Brent und Urals abstürzen, und dann ist für uns endgültig Sense. Die Öllager sind überfüllt und der völlige Kollaps des Ölmarkts ist keine Frage von Monaten mehr, sondern von Tagen oder Stunden. Ich sage jetzt etwas Schreckliches - aber den Ölmarkt rettet jetzt nur noch ein Krieg in Ölförderregionen. Sind wir bereit, diesen Preis zu zahlen?“