Sollten Regierungen Medien unter die Arme greifen?
Medien erleben in der Corona-Krise ein Paradox: Während immer mehr Menschen sie nutzen, um sich über aktuelle Entwicklungen zur Pandemie zu informieren, leiden die Unternehmen massiv unter Einnahmeverlusten, weil ihnen Werbeanzeigen wegbrechen. Einige Regierungen planen Rettungsprogramme. Doch nicht überall sind Journalisten darüber begeistert.
Journalismus ist systemrelevant
Das Überleben der Medien zu sichern, muss größte Priorität haben, fordert Dominique Diserens, Zentralsekretärin des Schweizer Presse-Berufsverbands impressum, in Le Temps:
„Die Presse muss zunächst auf der Intensivstation behandelt werden, damit sie danach saniert werden kann. Bei dieser Nothilfe sollte es keine wirtschaftlich bedingten Entlassungen geben. Wir sollten auch die freien und/oder unabhängigen Journalisten nicht vergessen, die mit der Coronavirus-Krise zu kämpfen haben. Ein spezifischer Fonds wäre als Teil der Notfallmaßnahmen willkommen. ... Der Tourismus- oder Luftfahrtsektor wird vom Staat wegen seiner Bedeutung für die Gesellschaft massiv unterstützt. Warum sollte es für die Medien und den Journalismus, deren Service für unsere Demokratie von wesentlicher Bedeutung ist, anders sein? Wir müssen dringend helfen!“
Keine Millionen für Milliardäre
Die in Frankreich beschlossenen Staatshilfen für Medien sind ein Witz, kommentiert Contrepoints sarkastisch:
„Mit umsichtiger staatlicher Unterstützung kann endlich garantiert werden, dass alle Zeitungen, die dieses magische Geld befürworten, überleben werden, während die anderen sich nur auf ihre Leserschaft verlassen können. ... Das ist die Glorie Frankreichs, liebe Leser, die Vergewaltigung des Gewissens für eine nicht existierende Pressevielfalt und das Überleben journalistischer Wracks, im Besitz von Milliardären, die sie mit öffentlichen Geldern retten lassen. ... Dieser Rettungsschirm von 483 Millionen Euro kommt zu den 840 Millionen Euro jährlicher Hilfe in direkter und indirekter Form hinzu. ... Da wäre es wirklich schade, darauf zu verzichten, liebster Leser.“
Palliativmaßnahmen für die Presse
Die portugiesische Regierung versucht, der Medienkrise durch vorgezogene Werbekäufe im Wert von 15 Millionen Euro zu begegnen. Jornal Económico ist skeptisch, ob das was bringt:
„Was nützt institutionelle Werbung in Zeitungen, die sich nicht an den Kiosken verkaufen? Es wäre viel effektiver, auf Leser zu wetten und ihnen kostengünstige Abonnements und einen wettbewerbsfähigeren Preis anzubieten. Wir sind in das alte Gleichnis gefallen, den Fisch zu verschenken, anstatt zu lehren, wie man fischt. Am Ende werden Journalisten leiden, die keine Arbeit haben, und der Leser, der keine starke Presse haben wird. ... Geld von der Regierung zu erhalten, ist nur eine Palliativmaßnahme bei einem angekündigten Tod, in diesem Fall dem des Journalismus selbst.“
Finger weg von Staatsgeldern
Die rumänische Regierung will bis Ende August mit einer Informationskampagne gegen die Ausbreitung des Coronavirus vorgehen und damit als Werbepartner bei den Medien einspringen. Libertatea sieht die Pressefreiheit in Gefahr:
„Unsere Presse wird Geld zum Überleben bekommen, denn die Regierung von [Ludovic] Orban hat für die kommenden vier Monate eine Informationskampagne gebilligt, im Wert von 200 Millionen Lei [rund 40 Millionen Euro]. Als Hilfe für die Presse, deren Werbeeinnahmen weggebrochen sind. Angesichts dieser Lage ist schwer vorstellbar, dass diese Presse noch den Mut haben wird, Orban oder [Präsident Klaus] Iohannis oder einen Minister zu kritisieren. ... Früher oder später wird die Pandemie vorbei sein, dann folgen Lokal- und Parlamentswahlen und eine solche Hilfe wird die Presse nicht vergessen. “
Zweifel an Unabhängigkeit darf nicht entstehen
In Tallinn hat die Regierung beschlossen, die Auslieferung der Zeitungen in der Corona-Krise zu unterstützen - was der rechtsradikale Innenminister Mart Helme scharf kritisierte. Einige Medienfirmen fordern außerdem, dass die Regierung bis Ende des Jahres monatlich für eine Million Euro Werbeflächen kauft. Nachdem der Zeitung Postimees vorgeworfen wurde, zu milde mit der Regierung umzugehen, distanziert sie sich nun von diesem Anliegen:
„Postimees hat weder Mart Helme noch irgendjemand anderem etwas versprochen. Wohl aber haben wir angesichts der Aussagen von ihm und manchen anderen eine wichtige Entscheidung getroffen: Postimees beteiligt sich nicht an der Forderung der Medienunternehmen nach Sonderunterstützung, sondern wir nutzen nur die allgemeinen staatlichen Maßnahmen. Wir wünschen nicht, dass unsere journalistische Unabhängigkeit dadurch in Zweifel gerät. Wir wollen das Geld nicht.“