Großeinkauf von Remdesivir: Gehen die USA zu weit?
Die US-Regierung hat sich einen Großteil der Produktion des Medikaments Remdesivir für die kommenden drei Monate gesichert. Das Medikament gilt derzeit als eines der aussichtsreichsten Mittel gegen schwere Corona-Symptome. Einige Kommentatoren schäumen vor Wut und werfen Washington Egoismus vor. Andere raten Europa, sich für den Kampf um Medikamente zu rüsten.
Gesundheitskrieg verhindern
Man darf nicht dulden, dass der US-Präsident einen Krieg um Medikamente entfacht, warnt El País:
„Trumps Schachzug erfordert eine Antwort der internationalen Staatengemeinschaft, denn er gibt einen Ausblick darauf, zu welch gnadenlosem Konkurrenzkampf er bereit ist, sobald ein Impfstoff oder ein wirksames Medikament gefunden werden. ... Trump vereinbarte bereits mit dem französischen Pharmaunternehmen Sanofi, dass er in einen Impfstoff investiert, wenn er im Gegenzug Vorrang bei der Versorgung erhält, sollte sich die Impfung als sicher und wirksam erweisen. Es besteht die Gefahr, dass ein schonungsloser nationalistischer Krieg ausbricht, der einen großen Teil der Menschheit vom Nutzen einer Impfung oder potenzieller Behandlungen ausschließen könnte.“
Raubzug in Wildwest-Manier
Richtig sauer auf die USA ist Duma:
„Amerika spielt sich als Leitstern der Zivilisation auf, ein Modell für Leben und Fortschritt für andere Nationen. Aber im Remdesivir-Fall bricht sich der primitive Instinkt des Banditen aus dem Wilden Westen Bahn, der in das Haus einer armen Familie eindringt und ihr letztes Erspartes stiehlt. Dutzende von Ländern, die planten, Dosen des Heilmittels zu kaufen, fühlen sich jetzt ausgeraubt und ihre schwerkranken Patienten sind zum Sterben verurteilt. ... Nur weil die USA vor einem halben Jahr die Gefahr ignorierten, beziehungsweise nicht über die Ressourcen und Kapazitäten verfügten, um sie zu bekämpfen oder einzudämmen, muss der Rest der Welt nun für Trumps Inkompetenz und sein 'America first' zahlen.“
Egoismus nützt niemandem
Ein gemeinsames und abgestimmtes internationales Vorgehen gegen die Pandemie wäre auch im Interesse der USA, mahnt The Times:
„Eine 'Amerika zuerst'-Politik beim Erwerb von Arzneimitteln führt dazu, dass Patienten, die von einem Medikament profitieren könnten, dieses nicht erhalten. ... Die Verbündeten der USA müssen deutlich machen, dass dieser Ansatz in niemandes Interesse ist. Selbst wenn die USA genug antivirale Mittel oder Impfstoffe kaufen würden, um jeden ihrer Patienten zu behandeln, würden die Auswirkungen einer Pandemie auf das wirtschaftliche Wachstum und die Sicherheit auch das eigene Land bedrohen. Medikamente müssen mit anderen geteilt werden - nicht nur aus Gründen der Menschlichkeit, sondern auch, weil es Leiden insgesamt verringert. “
Europa hinkt mal wieder hinterher
Die EU muss sich für die Verteilungskämpfe der Zukunft wappnen, fordert Die Presse:
„Wir befinden uns also wieder einmal in einem globalen Kampf um Ressourcen. Vor 50 Jahren gaben jene den Ton an, die die Hand am Ölhahn hatten. Dann eroberten die Internetgiganten die Wirtschaftswelt. Und nun besitzen offenkundig die Pharma- und Biotech-Konzerne den Schlüssel zum Wohlstand. Europa, so hat man das Gefühl, hinkt in dieser Entwicklung wieder hinterher, weil das Thema nationale Sicherheit bisher wirtschafts- und sozialpolitisch völlig unterbelichtet war. ... Europa braucht also rasch eine neue strategische Ausrichtung: eine europäische Sicherheitspolitik über die militärischen Agenden hinaus. Eine, die auch wirtschafts- und sozialpolitische Aspekte einbezieht.“