EU: Gipfel-Beschluss auf Kosten des Rechtsstaats?
Auf ihrem Wiederaufbau-Gipfel haben die EU-Staaten auf einen Passus verzichtet, wonach die Zahlung von EU-Geldern künftig an die Rechtsstaatlichkeit gebunden werden sollte. Vor allem Ungarn hatte dagegen opponiert. Stattdessen soll nun der Ministerrat eine ähnliche Verordnung beschließen, doch die nötige Mehrheit gilt auch dort als unsicher. Vielen Kommentatoren ist das im Kampf gegen Korruption und Autoritarismus zu wenig.
Demokratie landet im Abseits
Der Gipfel hat die großen Hoffnungen nicht erfüllt, bedauert Sydsvenskan:
„Es geht um das Fundament der EU. ... Das Corona-Paket war eine große Chance, ganz konkret ein Gegengewicht zu den illiberalen Kräften zu schaffen, die in der Union um sich greifen. ... Die Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel behaupten, man habe dafür klare Bedingungen aufgestellt, die nun implementiert werden könnten. Inwieweit das zutrifft, ist aber unklar. Die EU schwankt unter der Last des Corona-Pakets. Nicht weil es so enorm viel kostet, sondern weil es nicht hinreichend deutlich ist.“
Europa à la carte
Der Diplomat Giampiero Massolo beklagt in La Stampa, dass die Rechtsstaatlichkeit egoistischen Interessen zum Opfer fällt:
„Es hat sich das Bild eines Integrationsprozesses à la carte herausgebildet. Mit viel Nachsicht für die 'kleinen Siege' jedes einzelnen, aber unter Missachtung der Tatsache, dass es sich dabei in Wirklichkeit um 'kleine Niederlagen' für die Kohärenz des Gesamtprojekts handelt. Vor allem hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit: Die offensichtlich instrumentelle Art und Weise, in der Premierminister Rutte und andere das Problem behandelt haben, hat dazu beigetragen, es zu trivialisieren und ein Thema, das erst gar nicht verhandelbar sein sollte, unter ferner liefen in der Verhandlungsmasse untergehen zu lassen.“
Tschechien sollte auf Strenge pochen
Es ist ein Trugschluss, im Verzicht auf härtere Rechtsstaatskriterien einen Vorteil für Tschechien zu sehen, erinnert Deník:
„Es ist eine Schande für die Tschechische Republik und ihren Premierminister, dass sie Polen und Ungarn in ihrer Opposition gegen die Rechtsstaatlichkeit stillschweigend, aber effektiv unterstützen. Dies zeugt davon, dass Premier Andrej Babiš entweder kein gutes Gewissen oder zwielichtige Absichten mit dem tschechischen Staat hat. Oder beides. Für uns Tschechen sollte die Rechtsstaatlichkeit im Gegenteil eine Bedingung für die Zahlung von EU-Geldern sein. Weil es schließlich auch unser Geld ist.“
Instrumente gegen Korruption sind da
Dass auf dem EU-Gipfel nichts für den Rechtsstaat getan wurde, muss nicht bedeuten, dass die EU beim Missbrauch ihrer Subventionen weiterhin hilflos zuschauen muss, stellt das Handelsblatt klar:
„Die EU-Kommission hat noch nicht alle ihr zur Verfügung stehenden Waffen gegen Korruption zum Einsatz gebracht. Sie könnte die jeweiligen Länder konsequenter als bisher mit Vertragsverletzungsverfahren überziehen und schneller als bislang üblich Vertragsstrafen verhängen. Auch die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf könnte viel aktiver werden in den Ländern, wo sich sogar Regierungsmitglieder und Premierminister mit europäischen Subventionen illegal bereichern. Darauf sollte das Europaparlament dringen. Dann wäre schon viel erreicht.“