Montenegro: Kann die Opposition das Regieren wagen?

Bei der Parlamentswahl in Montenegro hat die regierende DPS von Präsident Milo Đukanović ihr schlechtestes Ergebnis seit 1991 erzielt. Sie bleibt mit rund 35 Prozent jedoch stärkste Kraft. Oppositionsführer Zdravko Krivokapić von der proserbischen Gruppierung Für die Zukunft Montenegros (32,5 Prozent) sieht sich als Sieger. Kommentatoren analysieren die Erfolgsaussichten einer Regierung aus den bisherigen Oppositionsparteien.

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Vijesti.me /

Lang ersehnte Chance voller Tücken

Eine neue Koalitionsregierung stünde auf wackeligen Beinen, erklärt das montenegrinische Portal Vijesti.me:

„Wie auch immer die neue Mannschaft aussehen wird, die neue Regierung wird mit Herausforderungen konfrontiert sein, um die sie nicht zu beneiden ist - und zwar auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene. So lange hat sich die bisherige Opposition nach einer Chance gesehnt, zu regieren, und nun wird sie vielleicht in der Lage sein, dies auch zu tun. Doch sie wird die kleinstmögliche parlamentarische Mehrheit haben und mit einer starken und gut organisierten Opposition konfrontiert sein, angeführt von der DPS. Und Đukanović wird, zumindest vorerst, Präsident bleiben.“

hvg (HU) /

Der Sieg riecht nach Vergänglichkeit

Đukanović wird die Niederlage nicht so leicht in Kauf nehmen, vermutet der Balkan-Experte und ehemalige ungarische Botschafter in Serbien, József Pandur, in hvg:

„Die Oppositionsparteien stehen für eine ganz unterschiedliche Politik. Die große Frage ist, ob die Anti-Đukanović-Stimmung ausreicht, um die Einheit und eine funktionsfähige Regierung zu garantieren. Außerdem bleibt festzuhalten, dass eine Mehrheit von einer Stimme sehr knapp ist. Wir haben auf dem Balkan bereits Beispiele dafür gesehen, dass so ein geringer Vorteil schnell verschwinden kann. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass an einem Ort, wo Abgeordnete gekauft und verkauft werden, und Politiker schon auch mal den einen oder anderen Unfall erleiden, Đukanović es nicht schafft, ein oder zwei Abgeordnete für sich zu gewinnen.“

Ukrajinska Prawda (UA) /

Außenpolitischer Kurs ist offen

Die Ankündigungen der Oppositionsparteien sind höchst widersprüchlich, bemerkt Ukrajinska Prawda:

„Zu den Siegern dieser Wahlen gehören die radikalen proserbischen Kräfte, die versprochen haben, die Mitgliedschaft Montenegros in der Nato und die Anerkennung des Kosovo rückgängig zu machen, die Sanktionen gegen Russland ablehnen und die dominierende Stellung der Serbisch-Orthodoxen Kirche beibehalten wollen. Gleichzeitig erklären die Wahlsieger, dass man am EU-Beitrittskurs festhalten werde. … Wahrscheinlich wird die neue Regierung nicht mit der Einleitung eines Nato-Austritts oder der Rücknahme der Anerkennung des Kosovo beginnen. Aber es kann sein, dass sie die Sanktionen gegen Russland innerhalb kürzester Zeit aufhebt und insgesamt einen softeren Russland-Kurs fahren wird.“

Delo (SI) /

Beziehungen zu Nachbarländern in Gefahr

Die Wahlen in Montenegro waren von Unsicherheit geprägt, deren Ende nicht abzusehen ist, meint Delo:

„Obwohl die Opposition den Sieg erklärt hat, wird der Weg zu einer neuen Regierung ein langer sein. Im Kampf um eine parlamentarische Mehrheit ist nicht auszuschließen, dass die Partei der Sozialisten von Milo Đukanović, die trotz ihres bislang schlechtesten Ergebnisses stärkste Kraft des Landes geblieben ist, die Regierung bilden wird. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der 'Vater der montenegrinischen Nation' nach drei Jahrzehnten der Herrschaft vor einer Niederlage steht. ... Ein Regierungswechsel kann auch die Situation der Minderheiten, der Bosniaken, Kroaten und Albaner, verschlechtern und folglich die Beziehungen zu Bosnien und Herzegowina, Kroatien, dem Kosovo und Albanien trüben.“

Corriere della Sera (IT) /

Nato- und EU-Bindung steht auf dem Spiel

Nach einem Regierungswechsel könnte Montenegro seine Verbundenheit mit dem Westen lockern, analysiert Corriere della Sera:

„Der letzte Soft-Autokrat in Westeuropa hat versucht, im Lukaschenka-Stil zu siegen. Er hat die von ihm kontrollierten Medien (also fast alle) mit Propaganda überschüttet und die Schuld an der vorhersehbaren Niederlage Putin und all denen gegeben, die ihm nie verziehen haben, [2017] der Nato beigetreten zu sein. Vergebliche Mühe. ... Diesem kleinen Stückchen des Balkans fällt wegen seiner strategischen Lage eine bedeutende Rolle im Spiel der Gleichgewichte zu. Die neue Mehrheit, überwiegend proserbisch und prorussisch, hat versprochen, dass sie der EU und der Nato verbunden bleiben wird. Doch es gibt einige Zweifel. Die Montenegriner beten wie die Serben und schreiben wie die Russen: Werden sie wie Nato-Verbündete und Europäer denken?“

Večernji list (HR) /

Vorsicht vor Vučićs langem Arm

Večernji list warnt vor einem zu großen Einfluss durch Serbien und dessen Präsidenten in Montenegro:

Vučić tut nur so, als ob er Europäer wäre und missbraucht dies als Mittel zum Zweck, während sein Ziel ein ganz anderes ist. ... Und es wäre schlecht, zuzulassen, dass solch ein serbisches Regime den europäischen Weg eines Nachbarlandes kapert, nachdem es schon den des eigenen Landes verbaut hat. Allgemein wäre es für die Stabilität dieser Region schlecht, falls Serbien, Präsident Vučić und die Serbisch-Orthodoxe Kirche der Meinung bleiben, dass sie ungestört eine hegemoniale Position auf dem Balkan aufbauen können. Denn das können sie nicht.“

Delowaja Stoliza (UA) /

Das alte Gespenst ist wieder da

Journalistin Natalja Ischtschenko zeigt sich in Delowaya Stoliza ebenfalls besorgt:

„Die größte Gefahr besteht darin, dass der Geist eines Großserbiens aktiviert wird, der in den vergangenen 20 Jahren, seit den Nato-Bombardierungen Jugoslawiens, verschwunden schien. … Bei allem Euro- und auch nur einfachem Optimismus muss man zugeben: Wenn ein Sieg (eine Revanche?) der 'serbischen Welt' in Montenegro wirklich Realität werden sollte, wird nicht nur dieses kleine Land eine Zone der Instabilität werden. Die ganze Region wird in eine neue Ära geopolitischer Turbulenzen mit schwer vorhersehbaren Folgen eintreten.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Moskau muss Demokratie nicht immer fürchten

Mit einem Seitenblick auf Belarus konstatiert Radio Kommersant FM, dass freie, demokratische Wahlen in anderen Ländern durchaus Moskau-freundliche Resultate hervorbringen können:

„In Ländern, in denen keine verfestigte antirussische Stimmung herrscht, können durch freie Wahlen durchaus Kräfte an die Macht kommen, die bereit sind, gegenüber Moskau eine wohlwollendere, loyalere Politik zu führen als ihre Vorgänger. Die dann keine Intrigen spinnen und nicht versuchen, Konflikte zwischen Russland und dem Westen zu schüren oder Russen der Vorbereitung eines Staatsstreichs zu beschuldigen, wie das vor vier Jahren Đukanović tat - und ganz vor kurzem sein belarusischer Kollege. Es mag paradox scheinen, aber manchmal gilt: Je mehr Demokratie, desto besser für Moskau.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Die Opposition hat es in der Hand

Der sich abzeichnende Machtwechsel ist für die Frankfurter Rundschau längst überfällig:

„Korruption, Mafia-Machenschaften, manipulierte Wahlen und Machtmissbrauch prägten die jahrzehntelange Ära des Milo Djukanovic. Auch wenn der Strippenzieher noch auf etwaige Nachwahlmirakel bei der Stimmauszählung oder im Koalitionspoker hofft, lässt das Ergebnis des Urnengangs keine Zweifel zu: Die Mehrheit der Montenegrinerinnen und Montenegriner hat von ihrem langjährigen Vormann genug. ... Ob der keineswegs homogenen Opposition mitten in einer schweren Wirtschaftskrise tatsächlich der Aufbruch in demokratischere und bessere Zeiten gelingt, wird in erster Linie von ihr selbst und ihrem Kooperations- und Kommunikationsvermögen abhängen.“

Népszava (HU) /

Das Verhältnis zur EU wird unsicherer

Dass eine neue Regierung unter Krivokapić das Vertrauen des Westens erlangt, bezweifelt Népszava:

„Die Regierung Đukanović ebnete den Weg in Richtung EU, das Land wurde 2017 Nato-Mitglied. ... Die Oppositionskoalition ist hingegen unberechenbar. In seiner Siegesrede schwieg Krivokapić zu seinen Plänen bezüglich der westlichen Integration. Das war wohl kein Zufall: Seine Koalition wird ausschließlich von der Anti-Đukanović-Stimmung zusammengehalten; einer der Flügel ist äußerst prowestlich, grün und liberal, der andere ist aber rechtsnationalistisch, auf Belgrad fokussiert und explizit gegen den Westen und die Nato. So kann Krivokapić wohl kaum mit einer reibungslosen Regierungszeit rechnen.“

La Repubblica (IT) /

Kirche mischt mächtig mit

Die Rolle der mächtigen serbisch-orthodoxen Kirche, die im Land mit den Montenegrinisch-Orthodoxen konkurriert und Oppositionsführer Zdravko Krivokapić unterstützt, analysiert La Repubblica:

„Gerade die religiöse Frage war das Hauptthema des Wahlkampfes, nachdem das Parlament im vergangenen Dezember ein Gesetz verabschiedet hatte, das es dem Staat erlaubt, Klöster und Kirchen zu konfiszieren, sofern sie den Eigentumsstatus von Gebäuden und Immobilien nicht darlegen können. Ein Gesetz, das, so die Gegner, genau gegen die einflussreiche serbisch-orthodoxe Kirche gerichtet ist, die nach dem Ersten Weltkrieg fast alle Besitztümer der kleinen montenegrinisch-orthodoxen Kirche in Besitz genommen hatte.“