Gasstreit: EU bereitet Sanktionen gegen Türkei vor
Die EU erarbeitet zurzeit eine Liste mit möglichen Sanktionen gegen die Türkei, um diese dazu zu bewegen, ihre Gas-Bohrungen im Mittelmeer auf eigene Hoheitsgewässer zu beschränken. Athen und Nikosia wollen Strafmaßnahmen gegen Belarus auf dem EU-Gipfel am 24. September nur zustimmen, wenn auch Sanktionen gegen Ankara verhängt werden. Warum werden der Türkei nicht mit mehr Nachdruck Grenzen gesetzt?
Situation gleicht einem Pulverfass
Die Anwältin Paula Teixeira da Cruz betont in Público, dass Europa Erdoğans Aggression im Mittelmeerraum nicht teilnahmslos beobachten darf:
„Mit der für einen populistischen Diktator typischen Arroganz hat Erdoğan kein Problem damit, in einer grotesken Kampfansage an Griechenland und die EU zu erklären, dass die Türkei ihre angriffslustige Position durchsetzen wird, weil sie keine Probleme habe, 'Märtyrer zu opfern'. Die fehlende Kraft einer strukturierten europäischen Reaktion zur Verhängung von Sanktionen gegen die Türkei macht den islamisch-faschistischen Diktator zu einer Herausforderung. ... Es kann jederzeit zu einem Zwischenfall kommen, der zu einem Krieg führt, den die Europäische Union nicht ruhig und gelassen beobachten kann, wenn zwei ihrer Mitgliedstaaten (Griechenland und Zypern) von der Türkei angegriffen werden.“
Deutschland schlägt sich immer auf dieselbe Seite
Berlin wird Sanktionen gegen Ankara aus mehreren Gründen nicht erlauben, glaubt Kolumnistin Xenia Tourki in Phileleftheros:
„Einerseits ist es die große türkische Minderheit im Land, andererseits sind es die wirtschaftlichen Interessen in der Türkei. ... Zusammen mit der Drohung von Erdoğan, die 'Kanüle' für Millionen von Einwanderern und Flüchtlingen zu öffnen, bringt all dies Merkel dazu, die Interessen eines Drittlandes über die zweier Mitgliedstaaten zu stellen. Die deutsch-türkischen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen reichen bis zum Deutschen und Osmanischen Reich zurück. ... Die beiden Länder haben enge geopolitische Beziehungen, und dies wird immer dann bekräftigt, wenn Deutschland sich für eine Seite entscheiden muss - und sich stets auf die der Türkei stellt.“
Die Türkei soll bestraft werden
Der Westen sieht die fortschrittliche Türkei als einen Störfaktor im ansonsten autokratischen Nahen Osten, kommentiert Daily Sabah:
„Westliche Staaten haben im Nahen Osten nie demokratische Länder, sondern stets undemokratische Akteure und Regime unterstützt. Die ultra-nationalistischen, extrem rechten und neo-faschistischen Akteure, die einen Aufstieg erleben und die meisten westlichen Staaten dominieren, betrachten muslimische Völker und Länder als den größten Feind des Westens. Deshalb wollen die derzeitigen westlichen Regierungen die Türkei, die als Anführer der muslimischen Welt gesehen wird, bestrafen.“
Ankara muss sich wieder gen Westen wenden
Yetkin Report glaubt, dass die Türkei nur gewinnen kann, wenn sie sich mit Europa versöhnt:
„Dass der EU-Außenbeauftragte die Türkei zusammen mit Russland und China zu den Mächten zählt, die wieder ein Großreich aufleben lassen wollen, wird den islamischen, nationalistischen und neo-osmanischen Gruppen, die die Basis des AKP-MHP Regierungsblocks bilden, zweifellos schmeicheln. ... Doch ist die Türkei in der Geschichte sowohl zur Zeit des Osmanischen Reiches, als auch zur Zeit der Türkischen Republik stets aufgestiegen, wenn sie ihr Gesicht gen Westen wandte, und hat an Bedeutung verloren, wenn sie nach Osten blickte. Es darf nicht vergessen werden, dass das einzige nationale Programm, dem jemals durch das türkische Parlament zugestimmt wurde, die Zielvorgabe der EU-Mitgliedschaft ist.“
Der Zug kommt immer schwer in Gang
Diejenigen, die der EU Tatenlosigkeit vorwerfen und auf einen schnellen Beschluss von Sanktionen drängen, haben grundlegende Funktionsweisen der EU nicht verstanden, meint der Politologe Linas Kojala in Delfi:
„Die Kritik der Ineffizienz ist zwar berechtigt, aber die EU ist kein Staat. … Obwohl die EU schon fast drei Jahrzehnte lang Sanktionen verhängt und die Zahl der bestraften Länder und Personen wächst, braucht sie immer noch die Einstimmigkeit aller 27 Mitglieder. Der EU-Zug fährt erst los, wenn alle zustimmen. … Deshalb verlaufen die Diskussionen in der EU oft paradox. Einerseits warnen viele Kritiker vor der Entwicklung der EU zu einer Föderation, einem Superstaat, der die Souveränität der einzelnen Länder bedroht. Anderseits hält das dieselben Kritiker nicht davon ab, die Ineffizienz der EU zu kritisieren.“
Nato und EU sollten am gleichen Strang ziehen
Im Gasstreit kann die Nato sich nicht auf eine Seite schlagen, da beide Staaten Mitglieder sind, während die EU sich für ihr Mitglied Griechenland einsetzt. Das ist verheerend, findet Jutarnji list:
„Um wichtige Akteure in der Welt zu sein, müssten sowohl Nato als auch die EU eine feste und vereinte politische Meinung besitzen. Das ist momentan nicht so, was ein Problem auch für das Verhältnis zu Drittstaaten ist, von denen manche, wie Russland, vom 'strategischen Partner' zum 'strategischen Gegner' sowohl für EU, als auch Nato geworden sind. ... Um erfolgreich zu sein, müssen Nato und EU eng zusammenarbeiten. Denn fast alle Mitgliedsstaaten der EU sind auch Nato-Mitglieder, und diejenigen, die es nicht sind, sind Partner. ... EU und Nato müssen auch daran arbeiten, Differenzen zwischen Mitgliedsstaaten zu überwinden und gemeinsame Interessen, aber auch Werte zu definieren.“
Deeskalation nur zum Schein
Das türkische Forschungsschiff Oruç Reis ist am Wochenende in den Hafen von Antalya zurückgekehrt. Ta Nea warnt jedoch vor Zuversicht:
„Kontinuierliches Engagement von Griechenland für die Deeskalation ist der einzige Weg, um festzustellen, ob Ankara einfach nur einen taktischen Schritt unternimmt, um dem intensiven und zunehmenden internationalen Druck zu entkommen. Die Türkei will mögliche EU-Sanktionen auf dem Gipfel vom 24. bis 25. September abwenden. … Die widersprüchlichen Aussagen türkischer Beamter sind jedoch weiterhin Grund für Misstrauen. Wenn die Krise der letzten zwei Monate Teil einer Strategie ist, wird es eine Wiederbelebung der türkischen Provokationen geben. Die Oruç Reis wird in Antalya angedockt bleiben, solange Erdoğan versöhnlich erscheinen will. Der Weg zum Dialog könnte sich aber als außergewöhnlich lang erweisen.“