Fall Nawalny: EU einigt sich auf Russland-Sanktionen
Der Europäische Rat hat wegen der Vergiftung des Oppositionellen Alexej Nawalny konkrete Sanktionen gegen Russland verhängt: Betroffen ist das staatliche Forschungsinstitut, von dem das eingesetzte Nervengift stammen soll; dazu kommen Einreiseverbote und Vermögenssperren für sechs Personen, mehrheitlich aus dem Sicherheitsapparat. Ob das Wirkung zeigt? Kommentatoren sind uneins.
Erste Schritte in Richtung gemeinsame Außenpolitik
Dass sich die 27 EU-Staaten überhaupt einigen konnten, sei ein bedeutender Fortschritt, freut sich Kolumnist Pierre Haski in France Inter:
„Die Maßnahmen sind zwar von begrenzter Tragweite, aber sie sind vor allem eine politische Geste, und so hat Moskau das auch verstanden. Diese politische Bedeutung ist Bestandteil der sich allmählich herausbildenden strategischen Haltung der EU. … Den 27 gelingt es nun, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, gegenüber Russland bezüglich der Nawalny-Affäre sowie gegenüber Belarus und der Türkei mit einer Stimme zu sprechen. ... Von einer gemeinsamen Außenpolitik, dem Fernziel, das in Wirklichkeit sicher unerreichbar ist, sind wir noch weit entfernt. Die 27 versuchen jedoch, eine gemeinsame Arbeits- und Kompromisskultur zu entwickeln.“
Putins Vasallen können weitermachen wie bisher
Konkrete Veränderungen werden diese Schritte wohl nicht auslösen, bedauert der Deutschlandfunk:
„Mehr Eindruck hätte es gemacht, wenn die Europäische Union zusätzlich und gleichzeitig Dutzende Funktionäre und Karrieristen sanktioniert hätte ... . Es gibt genügend Beispiele, in denen Gattin und Kinder dieser treuen Kreml-Diener zum Shoppen nach Paris oder zum Feiern nach Berlin fliegen. Und sie selbst gönnen sich eine Villa an einem europäischen See und bringen ihr Geld auf europäischen Konten in Sicherheit. Wenn man diesen Leuten ihr komfortables Leben verbaute, begännen sie vielleicht zu zweifeln, ob sich das System Putin für sie noch auszahlt. Das wäre ein Test ihrer Loyalität. Doch solche Schritte sind für die EU juristisch wasserdicht schwierig und vielleicht gar nicht machbar. Daher wird das meiste nun so bleiben, wie es ist.“
Und Russland schmollt beleidigt in der Ecke
Echo Moskwy kritisiert die Haltung des Kremls, der nun droht, die direkten politischen Kontakte zu Brüssel und den EU-Staaten abzubrechen:
„Russland musste antworten. Aus allen Antworten wählte es die absurdeste: beleidigt sein. So verkündet Lawrow, dass Moskau aufhören könnte, mit westlichen Staatsführern zu reden. ... Schwer vorstellbar, dass sich Russland aus allerlei internationalen Organisationen und multilateralen Prozessen zurückzieht, aber darauf läuft es wohl hinaus. Es ist eben einfacher, schmollend zu gehen, als unangenehme Fragen zu beantworten. ... So wie es aussieht, hat der Westen die einzig richtige Entscheidung getroffen: Russland nicht mehr dabei zu stören, langsam vollends zu verfaulen.“
Für Moskau sind alle Marionetten der USA
Russland liegt offenbar nicht viel an der Beziehung zur EU, meint Delfi:
„Nach der Vergiftung Nawalnys kippte die Waage endlich und Berlin stellte sich auf die Seite von London, Warschau, Tallinn, Vilnius und anderen Verbündeten. ... Wie reagiert Russland darauf? Eigentlich ähnlich wie auf seinen auferstandenen Bürger Nawalny. In Russlands Augen wurde Deutschland von einem langjährigen Partner zu einem unselbständigen Staat, dessen Schritte nicht das eigene Volk und seine Führer, sondern fremde Polittechnologen bestimmen. Eine Marionette von Amerika also - genau wie Polen und die baltischen Länder. Russlands Beziehung zur EU verschlechtert sich seit Jahren, aber Moskau glaubt wohl nicht an die Zukunft der Union und ihren geopolitischen Einfluss. Deshalb ist Russland bereit, die Beziehungen zusammen mit den Illusionen zu begraben.“