Europa fährt wieder runter: Alles wie im Frühjahr?
Viel wurde unternommen, um ihn zu vermeiden, eindringlich wurde vor ihm gewarnt, doch mittlerweile ist der sogenannte Lockdown in vielen europäischen Ländern wieder Realität. Anders als vor einem halben Jahr bleiben jedoch Kitas und Schulen meist geöffnet – weshalb neu auch von einem Teil-Lockdown gesprochen wird. Doch wie schon im Frühjahr scheiden sich an den Maßnahmen auch diesmal die Geister.
Proportionen sind verloren gegangen
Für vollkommen übertrieben hält Fabio Pontiggia, Chefredakteur von Corriere del Ticino, neue Lockdowns:
„Überall in Europa erwarten uns schreckliche Wochen und wahrscheinlich sogar Monate, in denen Provinzen, Regionen und Länder sich abschotten, so wie sich im Mittelalter die Städte hinter ihren Festungsmauern verschanzten. Die Hand des Staates, der einschränkt und verbietet, greift wieder bis zu uns nach Hause, um uns zu sagen, wie viele Gäste wir verköstigen dürfen. ... Eine wirtschaftliche Katastrophe und zivile Verrohung wären ein zu hoher und völlig unverhältnismäßiger Preis angesichts einer Pandemie, die durch ein Virus verursacht wird, das in mindestens 95 Prozent der Fälle keine oder nur geringe Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen hat. Viele haben das Gefühl für diese Proportionen verloren.“
Lockdown nicht wieder nur aussitzen
Frankreichs Präsident Macron hat am Mittwochabend einen neuen, mindestens einmonatigen Teil-Lockdown ab Freitag angekündigt. Dann gilt es endgültig, keine Zeit mehr zu verlieren, drängt Le Figaro:
„Während die zweite Welle über Frankreich hereinbricht, ist das Land nicht besser gerüstet (oh doch, wir haben Masken!) als bei der ersten Welle … Handeln wir endlich! Holen wir die verlorene Zeit auf! Setzen wir sofort und flächendeckend diese schnellen Antigentests ein! ... Schaffen wir Notfallreservebetten, wie in Deutschland! Bilden wir Pfleger aus oder stellen sie ein, wie Italien! Errichten wir Militärkrankenhäuser, wie Israel! Wenn 'Koste es, was es wolle' einen Sinn hat, dann besonders im Gesundheitsbereich. Nichts wäre nach einem neuen Lockdown (denn er wird ein Ende haben) schlimmer, als so hilflos dazustehen wie davor.“
In Sachen Schulen dazugelernt
Dass die Schulen auch in Deutschland offen bleiben, begrüßt die Berliner Zeitung:
„Nach den Erfahrungen mit dem ersten Lockdown ist klar, wie sehr die Kinder und Jugendlichen darunter gelitten haben ... Und welche Strapazen es für die Eltern bedeutet hat, Kinderbetreuung und Berufstätigkeit gleichzeitig zu bewältigen. Außerdem ist klar, dass das Recht auf Bildung gegenwärtig am besten im Präsenzunterricht verwirklicht werden kann. Erstens, weil Homeschooling die sozialen Unterschiede vergrößert. Zweitens, weil die Digitalisierung der Schulen hierzulande immer noch in den Kinderschuhen steckt. Und drittens, weil Schulen als Orte des sozialen Miteinanders unentbehrlich sind.“
Deutschland kann noch auf Weihnachten hoffen
Polityka glaubt zu wissen, was Deutschland nun tröstet:
„Der relativ milde Lockdown im November wird zu einem ganz bestimmten Zweck durchgeführt. Die Idee ist, die Beschränkungen im Dezember während der für die Wirtschaft so entscheidenden Weihnachtszeit etwas lockern zu können. Merkel zufolge soll diese Hoffnung die Disziplin fördern und dabei helfen, das gesellschaftliche Leben im November einzufrieren. Wir in Polen haben keine Hoffnung mehr auf ein normales Weihnachtsfest, doch in Deutschland gibt es diese Hoffnung noch.“