Grenzkontrollen: Deutschland macht wieder dicht
Aus Sorge vor der Verbreitung der neuen Virusvarianten hat Deutschland am Wochenende die Einreise aus Tirol und Tschechien beschränkt. Allein wer in Deutschland arbeiten muss oder enge Angehörige besucht, darf die Grenze überqueren - mit negativem Corona-Test und anschließender Quarantäne. Während einige Pressestimmen sich über den Ton in der Debatte ärgern, befürworten andere regionalere Maßnahmen.
Machtdemonstrationen sind keine Strategie
Für den Kurier sind die Grenzkontrollen nur Säbelrasseln des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder:
„Der Schaden ... wird leicht und rasch zu messen sein. Der Nutzen weniger. Denn mittlerweile klingt auch in Deutschland durch, dass diese Grenzschließungen die Ausbreitung der Südafrika-Mutation des Coronavirus nicht aufhalten werden können. Aber Söder wollte unbedingt ein Zeichen in Richtung 'Ischgl'-Tirol setzen. Vielleicht durch die patzigen, teilweise unqualifizierten Aussagen aus Tirol zum Südafrika-Virus provoziert. Beiden Seiten muss aber klar sein, dass nicht Machtdemonstrationen die Antwort auf die Corona-Pandemie sind, sondern besonnene Strategien. Und die sind in diesem Fall nicht erkennbar.“
Man fühlt sich halt so gern als Opfer
Für die Kleine Zeitung ist die österreichische Empörung pure Heuchelei:
„Eine Beobachtung, die man immer wieder macht in diesem Land: Es fühlt sich halt gar so gern als Opfer. ... Von 'überschießenden' Maßnahmen ist da die Rede, ja von Schikanen durch die Nachbarn. Der deutsche und der italienische Botschafter werden ins Außenministerium geladen, und der Innenminister zürnt, es sei 'eine Provokation' mit dem Finger auf Tirol zu zeigen. Dass die Bundesregierung in Wien das mutationsverseuchte Land ursprünglich selber vom Rest der Republik abschotten wollte, aber kläglich am Widerstand aus Innsbruck scheiterte, wird ebenso ausgeblendet wie der Umstand, dass man die egoistische Selbstbezogenheit, die man ... den sperrigen Tirolern zum Vorwurf machte, nun offenbar zum Maßstab der eigenen Empörung erhoben hat.“
Hotspots lokal abriegeln
In Dänemark liegen die derzeit noch am meisten von Corona betroffenen Gebiete in Hauptstadtnähe. Diese sollten abgeriegelt werden, damit der Rest des Landes geöffnet werden kann, fordert Jydske Vestkysten:
„Unsere so unendlich politisch korrekten Nachbarn im Süden haben die gleiche Technik angewandt. Hier haben die Behörden im vergangenen Jahr buchstäblich einen Eisenring um ein von der Ansteckung betroffenes Wohngebiet in Göttingen in Niedersachsen gelegt. ... Erregte Einwohner griffen die Polizei mit Feuerwerk und Eisenstangen an. Aber zum Glück konnten die Behörden Angriffe wie Ansteckung beherrschen. Wir sollten aus den deutschen Fehlern lernen und die von Ansteckung geplagten Bewohner überzeugen, dass das harte Vorgehen notwendig ist. Die Idee an sich ist hervorragend. So kann die Mehrheit ihre Freiheit wiedergewinnen.“
Versagen in Berlin und Brüssel
Die Grenzschließungen sind ein klarer Verstoß gegen EU-Absprachen, betont die taz:
„Dies führt nun zu scharfen Protesten in Wien, Prag und sogar Paris. Auch Frankreich fürchtet deutsche Kontrollen. Das Gezerre zeigt, dass die europäische Union nicht die richtigen Lehren aus der Krise gezogen hat. 'Nie wieder' hieß es nach den Grenzschließungen 2020. Doch nun ist man nicht in der Lage, diese Lektion auch durchzusetzen. Das liegt nicht nur am mangelnden politischen Willen in Berlin und Brüssel. Es liegt auch an fehlenden technischen Mitteln wie Tracking-Apps und Coronaschnelltests. ... Beides wurde schon vor Monaten versprochen. Passiert ist nichts. Auch hier haben Deutschland und die EU versagt.“
Wehleidiges Österreich
Kritik an der konkreten Ausgestaltung der Kontrollen findet Die Presse legitim, nicht aber den beleidigten Ton der österreichischen Reaktionen:
„[Z]wischen Wien und Innsbruck tun manche so, als wären die deutschen Grenzmaßnahmen insgesamt aus der Luft gegriffen. Das ist eine psychoakrobatische Verdrängungsleistung der Sonderklasse. ... Die Deutschen kontrollieren an ihrer Grenze nicht deshalb, weil sie das arme Tiroler Volk sekkieren wollen, sondern weil sich in Tirol nun einmal ein europäischer Brennpunkt der ansteckenderen südafrikanischen Virusvariation befindet. ... Ischgl [ist] nicht vergessen bei den Nachbarn. ... Die Tiroler Vogel-Strauß-Taktik bei der Südafrika-Mutante hat das Trauma wieder aufgefrischt. ... Die Republik hatte keine Probleme, die Grenzen zu Italien oder Tschechien dichtzumachen.“
Gefahr für die deutsche Wirtschaft
Gazeta Wyborcza kommentiert, der Schaden entsteht auf deutscher Seite:
„In der Tschechischen Republik wurde der Ausnahmezustand am Montag um weitere 14 Tage verlängert und den Bewohnern mehrerer Bezirke, in denen die Zahl der Infektionen besonders rapide zunimmt, wurde verboten, diese zu verlassen. Vielleicht haben die tschechischen Bürger die neuen Grenzregelungen deshalb ohne Proteste akzeptiert. Aber Vertreter von Wirtschaftsorganisationen warnen, dass tschechische Arbeitnehmer - und allein in Bayern arbeiten 24.000 Tschechinnen und Tschechen - kündigen und anderswo Arbeit suchen könnten. Die deutsche Wirtschaft leidet seit Jahren unter einem Arbeitskräftemangel und der Verlust tschechischer Arbeitskräfte könnte ihr schaden.“