Antisemitische Ausschreitungen in Europa - was tun?
Im Zuge der aktuellen Eskalation des Nahostkonflikts kommt es in Europa in den vergangenen Tagen vermehrt zu israelfeindlichen Kundgebungen sowie antisemitischen Ausschreitungen. Kommentatoren zeigen sich sehr besorgt und diskutieren, wo angesetzt werden muss, um Antisemitismus zu bekämpfen.
Importierten Hass nicht ausblenden
Die Gesellschaft darf bei antijüdischen Äußerungen von Muslimen nicht wegschauen, fordert Ethnologie-Professorin Susanne Schröter in einem Gastkommentar für die Neue Zürcher Zeitung:
„Wissenschaftler aus muslimisch geprägten Ländern weisen beharrlich darauf hin, dass Antisemitismus in vielen Staaten der Welt bereits in den Schulen unterrichtet werde, dass Kinder und Jugendliche mit dem Hass auf Juden aufwüchsen. Dieser Hass entlädt sich auch in Deutschland gegenüber jüdischen Schülern und Schülerinnen. ... Verharmlosungen, Ausblendungen und Relativierungen führen dazu, dass das Leben für Juden in Deutschland unsicher wird. Und das muss unbedingt verhindert werden.“
Lehrer brauchen entsprechendes Werkzeug
Auch in Schweden ist es in Zusammenhang mit dem Konflikt im Nahen Osten zu antisemitischen Vorfällen gekommen. Ein Ursprung des Hasses gegen Juden ist in den Schulen zu finden, erklärt Expressen:
„Die Schulen werden als unsicher empfunden und von einem antisemitischen Jargon geprägt, der oft als Humor normalisiert werden soll. Die Schule muss ein Ort sein, der von null Toleranz gegen Antisemitismus geprägt ist. … Damit dies gelingt, muss Lehrern und Schulleitern Werkzeug in Form von Wissen und klaren Routinen in die Hand gegeben werden. So können sie Judenhass begegnen, der an den Konflikt im Nahen Osten geknüpft ist.“
Von wegen Demonstration für die Menschenrechte
Die Unterstützung der Palästinenser ist ein Vehikel für Antisemitismus, wettert Philosoph Bernard-Henri Lévy in La Repubblica:
„Warum sind [die Demonstranten] nicht auf die Straße gegangen, um ihre Solidarität mit den Kurden von Kirkuk zu zeigen, die im Oktober 2017 von Geschwadern der Wächter der Islamischen Revolution des Irans angegriffen wurden? Warum haben sie nicht mit den Städten Syriens solidarisiert, die von den Flugzeugen des arabischen Diktators Bashar al-Assad bombardiert wurden - in Angriffen von beispielloser Grausamkeit, mit der Unterstützung von Wladimir Putin? … Es gibt viele Menschen, die sich weder um die Menschenrechte, noch um die vergessenen Kriege, noch um die Palästinenser scheren, und die sich nur dann die Mühe machen, zu demonstrieren, wenn sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und en passant 'Tod für Israel' und 'Tod den Juden' rufen können.“
Ein Déjà-vu - aber niemand sagt was
Lidové noviny vermisst deutliche Reaktionen auf die antisemitischen Ausschreitungen:
„Es scheint ein Déjà-vu zu sein. Auf deutschen Straßen brennen israelische Flaggen, Steine fliegen in die Fenster von Synagogen und Rufe vom Typ 'Scheiß-Juden' ertönen. ... Sollte Deutschland nichts aus der Geschichte gelernt haben und sich diese jetzt wiederholen? Diese Frage wirkt im multikulturellen Deutschland provokativ, drängt sich aber dennoch auf. Als ein Neonazi die Synagoge in Halle angriff, wurde dies ein nationales Trauma. Aber wenn 'Menschen mit Migrationshintergrund' wegen eines Konflikts, der sich Tausende Kilometer entfernt abspielt, Synagogen in Deutschland angreifen, herrscht eher Schweigen. Man muss lange suchen, bis man auf klare Reaktionen stößt.“
Über Müller und Maier nicht schweigen
Antisemitismus wirkt schnell als Problem eingewanderter Minderheiten, meint die taz:
„Denn auf die Straße gehen vor allem Migranten und deren Kinder, insbesondere aus arabischen Ländern und der Türkei stammend. Weil kaum jemand jemals etwas unternommen hat, um in diesen Communitys den Judenhass zu bekämpfen, ist es besonders wohlfeil, ihr Verhalten nun zu verurteilen – und zugleich über das Denken von Müller, Maier oder Schmitz zu schweigen. Antisemitismus, das trifft ja nur die anderen. Tatsache aber ist: Der Judenhass ist ein Problem in migrantischen Gemeinschaften – aber er grassiert auch unter denjenigen, die seit Langem hier leben.“
Für Argumente bleibt kein Platz mehr
Auch in Italien gingen Menschen wegen des Nahost-Konflikts am Wochenende auf die Straßen. Philosophin Donatella Di Cesare kritisiert in La Stampa undifferenzierte Solidaritätsbekundungen:
„Wie man weiß, leben wir in einer Zeit, in der man weder Zeit noch Lust hat, die Meinungen der Anderen zu erörtern. Es ist einfacher, ihnen mit Hass zu begegnen. Daher der Aufmarsch engstirniger Anhänger, in den sozialen Netzwerken und auf den Straßen, das Schwenken von Fahnen, die Abwesenheit von Dialog. Überall auf der Welt, und auch in unserem Land. Nicht ohne Paradoxien: Wer links ist, begeht Ausrutscher, die so weit gehen, die Hamas zu verteidigen, während der Davidstern hinter Vertretern der institutionellen Rechten auftaucht, die mit dem Neofaschismus konspirieren. Es gibt kaum mehr Spielraum für diejenigen, die versuchen zu argumentieren. Sie landen im Kreuzfeuer.“