Stell dir vor, es gibt Impfungen und keiner geht hin
Mehrere Monate dauerte es, bis die Impfkampagnen gegen Covid-19 in Europa richtig in Gang kamen, mangelte es doch lange an ausreichend Impfstoff. Nun stellt sich stattdessen ein neues Problem: einige Teile der Bevölkerung sind schwer für die Spritze zu erreichen oder zu begeistern. Kommentatoren erläutern die Hintergründe.
Ein klassischer Bumerang-Effekt
Obwohl Russland als eines der ersten Länder über einen Impfstoff verfügte, sind bislang nur 6,5 Prozent der Bevölkerung geimpft. Moskau braucht sich darüber nicht wundern, findet Nowaja Gaseta:
„Die russische Impfphobie ist eine Folge der jahrelangen Degradation der öffentlichen Institute. In einer verschlossenen, korrumpierten Gesellschaft erwarten die Bürger vom Staat nichts Gutes und der Impfstoff ist da keine Ausnahme. Erst recht, wenn zur Bewerbung von 'Sputnik' ausgewählte Propagandakräfte mobilisiert werden, die sonst tagtäglich Schwarz zu Weiß erklären. ... Erfolgreich impfen jene Länder, deren Bürger ihren Regierungen und Behörden vertrauen. ... Gut möglich, dass nur diejenigen in die Post-Covid-Zukunft eingehen, die eine normale Demokratie aufgebaut haben - oder einen reinen Totalitarismus, wo erst gar niemand gefragt wird.“
Ohne Transparenz keine Impfbereitschaft
Auch Népszava sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der Impfbereitschaft und dem Vertrauen in die Politik:
„Bei der Annahme einer Impfung ohne Vorgeschichte, gegen eine Krankheit, die vorher unbekannt war, ist das Vertrauen der wichtigste Entscheidungsfaktor. ... Was ist für Vertrauen nötig? Ehrliche Kommunikation, Transparenz und die Achtung wissenschaftlicher Evidenz. Was davon hat man in Ungarn in den vergangenen 16 Monaten eigentlich erfahren?“
Benachteiligte gezielt ansprechen
In Schweden stehen die Impfzentren in den ärmeren Vierteln, wo viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, oft leer. Aftonbladet ruft die Gesundheitsbehörden auf, es mal mit einem einfachen Brief zu versuchen:
„Eine Einberufung mit der Post versehen mit Datum und Zeit für die nächste Spritze. Zugängliches Gesundheitspersonal, mit dem man reden kann, wenn man besorgt ist, sowie Interventionen, die tatsächlich auch was bringen. Es gibt viele Sorgenfalten, wenn die Politiker darüber reden, warum das Impfen so ungleich verläuft. Und nur wenige kommen auf die einfachste Erklärung: In Stockholm ist nicht nur das Testen in den ärmeren Vierteln viel später in Gang gekommen. Auch das Impfen hat die reichen Gebiete zuerst erreicht.“