Was wird das Treffen von Biden und Putin bringen?
Am heutigen Mittwoch treffen sich US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin in Genf. Dabei soll es unter anderem um die Pandemie, regionale Konflikte und Atomwaffen gehen. Biden betonte im Vorfeld, trotz Dialogs rote Linien aufzeigen zu wollen. Putin erklärte, die Beziehungen seien auf einem extrem niedrigen Niveau. Bei Europas Presse sind die Erwartungen aber nicht durchweg niedrig.
Spielregeln für den Streit festlegen
Die Vermeidung eines großen Konflikts zwischen den USA und Russland ist das einzig wirklich bedeutsame Gipfelthema, so Radio Kommersant FM:
„So, wie sich alles in den letzten Jahren entwickelt hat, wird ein solches Szenario immer realistischer. Vor allem, weil beide Seiten, anders als im Kalten Krieg, keinen Dialog mehr führen. Und sich immer schlechter vorstellen können, wo die sprichwörtlichen 'roten Linien' verlaufen, die man keineswegs überschreiten darf. ... Der Gipfel in Genf ist ein Versuch, die US-Russland-Beziehungen wieder in den Flusslauf einer gewohnten, prognostizierbaren Konfrontation zu lenken. Bis zu einem Neustart ist es noch weit. Aber es wäre gut, wenigstens gewisse Regeln, Grenzen und den Anstand wieder zu reanimieren.“
Viel Potenzial bei Klima und Abrüstung
The Irish Times ist hingegen optimistisch, dass die USA und Russland trotz zahlreicher Differenzen künftig in vielen Bereichen mehr als zuletzt kooperieren werden:
„Beide Staatschefs wissen, dass es in ihrem Interesse liegt, in den derzeitigen Streitpunkten einen Modus Vivendi zu finden. Sie sehen Spielraum für weitere Gespräche über Rüstungskontrolle und verweisen auf ihre Einigung kurz nach Joe Bidens Amtsantritt im Januar, den 'New Start'-Atomwaffenkontrollvertrag von 2010 zu verlängern. Beim Klimaabkommen von Paris und beim Nuklearabkommen mit dem Iran sind sich die beiden Regierungen näher als je zuvor in den vergangenen fünf Jahren. Zudem haben beide allen Grund, bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie zusammenzuarbeiten.“
Russland an Realpolitik interessiert
Der ehemalige Geheimdienstoffizier Cristian Felea diskutiert in Contributors die These, dass Russland und die USA ihre Konflikte begraben könnten, um Pekings Machtstellung zu sabotieren:
„Die russische Besessenheit mit Einflusszonen bleibt weiterhin das kontroverse Thema. ... Putin wird wie früher schon Jelzin für die Beibehaltung des Status quo an seiner Westgrenze plädieren und stattdessen eine Zusammenarbeit mit den USA zur Eindämmung Chinas in Aussicht stellen. Putins Plädoyer wird eine Übung in Realpolitik nach allen Regeln sein. Ob Joe [Biden] positiv reagiert, werden wir in den nächsten Jahren nicht mit Sicherheit wissen. Aber wir werden es an anderen Zeichen und Entwicklungen ablesen können.“
Mehr, als Putin verdient hat
Aus Sicht von Polityka sendet das Treffen ein unerwünschtes Signal:
„Der Biden-Putin-Gipfel in Genf wird einen falschen Eindruck vom Gleichgewicht zwischen den Supermächten und der Berechenbarkeit und Stabilität des Putin-Regimes erwecken. Und er wird Russland und seinen aggressiven Handlungen indirekt 'verzeihen'. Es ist im Vorfeld davon auszugehen, dass Biden zwar etwas Hartes über Russland sagen, aber keine konkreten Aktionen, Strafen oder Sanktionen ankündigen wird, so dass Putin Genf verlassen und einen Erfolg verkünden kann. Ein solches Szenario ist sicherlich nicht im Interesse der USA, der Europäischen Union oder der Nato.“
Polen und Baltikum verteidigen
Biden sollte Putin glasklar vermitteln, bei welchen Themen er keine Kompromisse eingehen wird, mahnt The Times:
„Bei seinem Bemühen, eine stabilere Beziehung [mit Russland] zu schaffen, muss Biden klarstellen, dass die USA die Verteidigungsfähigkeiten Polens und der baltischen Staaten weiter stärken werden. Dies stellt keine Eskalation dar, sondern ein Bekenntnis zur kollektiven Sicherheit, weil Russland gezeigt hat, dass es die territoriale Integrität seiner Nachbarstaaten nicht respektiert. ... Biden kann die Art und Weise, wie Putin regiert, weder durch Schmeichelei noch durch Zwang ändern. Seine Aufgabe wird es sein, die Botschaft zu vermitteln, dass die USA Russlands gegenwärtigen Kurs nicht dulden werden und außerdem weiterhin Menschenrechte und Rechtsnormen verteidigen werden.“
Dialog anstreben, Stärke zeigen
Jetzt ist Bidens ganzes Geschick gefordert, erklärt Corriere del Ticino:
„Dass Genf reine Kosmetik bleibt, ist nicht auszuschließen. Von daher muss Biden das Spiel schlau angehen. Was Putin formal anstrebt, ist, sich nicht aus der Gruppe der Großmächte ausgeschlossen zu fühlen und gleichzeitig jede Lektion abzulehnen, die Washington ihm zum Thema Menschenrechte erteilen möchte. … Der US-amerikanische Präsident sollte sich dialogbereit zeigen, ohne jedoch schwach zu erscheinen, wie dies - die Geschichte lehrt uns - , vor sechzig Jahren Präsident John Fitzgerald Kennedy gegenüber dem sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow war. Das damalige Treffen war der Auftakt zum Berliner Mauerbau und zur durch sowjetische Raketen ausgelösten Kuba-Krise.“
Lösungssuche statt Gezanke
Beide Seiten werden sich pragmatisch einer Liste von konkreten Themen widmen, glaubt Iswestija zu wissen:
„Noch vor seiner Abreise nach Europa hat Biden versucht, sich auf zwei Stühle zu setzen. Er erklärte gleichzeitig: 'Wir drängen nicht auf einen Konflikt mit Russland und wollen stabile und berechenbare Beziehungen' und 'Die USA werden entschlossen reagieren, sollte die russische Führung schädliche Dinge tun'. ... Da Russland alle US-Vorwürfe kategorisch von sich weist, kann von einem Eingeständnis seines 'schlechten Betragens' nicht die Rede sein. Sondern nur von der Vorlage einer langen Liste von Verhandlungsthemen zu atomarer und Cyber-Sicherheit, Pandemiebekämpfung, Klimaschutz, produktiver Zusammenarbeit in der Arktis und im Kosmos sowie anderen globalen Problemen.“
Spagat zwischen Härte und Konzilianz
Ria Novosti analysiert die Motivation zu dem Gipfel auf US-Seite:
„Einen Gipfel um des Gipfels willen braucht keiner, weder Russland noch die Vereinigten Staaten. Biden muss den Amerikanern und der Welt zeigen, dass die USA an die Steuerhebel der Weltordnung zurückkehren. Wenn das Treffen in Genf im Geist von Anchorage verlaufen sollte - also wie die Verhandlungen einer US- und einer chinesischen Delegation im März, bei denen es vor laufenden Kameras zu einem heftigen Schlagabtausch kam - dann macht das Weiße Haus keinerlei Punkte. Der US-Präsident möchte eine Balance finden: Er will den US-Bürgern und dem Westen seine Härte gegenüber Putin demonstrieren, aber zugleich auch seine Fähigkeit zu Verhandlungen und Dialog.“
Ein Handschlag ist das Maximum
Einen Durchbruch für die russisch-amerikanischen Beziehungen erwartet Český rozhlas nicht:
„Die Amerikaner möchten Russlands Vorgehen auf der internationalen Bühne berechenbarer machen, während die Russische Föderation zumindest den Anschein ihres ehemaligen Supermachtgewichts zurückerhalten will. Da Russland in seiner Wirtschaftsleistung mittlerweile eher eine Regionalmacht ist und die Unberechenbarkeit seines Handelns als Vorteil sieht, wird weder das eine noch das andere gelingen. ... Die allgemeinen Erwartungen sind die bescheidensten der letzten dreißig Jahre. Am Ende werden sich wohl alle freuen, wenn sich die beiden Präsidenten treffen, sich in die Augen sehen und einander die Hände schütteln.“
Vielleicht besteht ja Hoffnung
Der Tages-Anzeiger erinnert an ein historisches Treffen:
„Die Beziehungen zwischen den USA und Russland sind auf einem Tiefpunkt. Das wird auch der Händedruck in Genf kaum ändern. Allerdings ging man davon auch 1985 aus, als sich Michail Gorbatschow und Ronald Reagan trafen, ebenfalls im Hotel Intercontinental. Und dann begann mit einem Gespräch am Kaminfeuer der Anfang vom Ende des Kalten Kriegs. Ob auch Joe Biden und Wladimir Putin Geschichte schreiben werden, wird sich zeigen. Vorerst strebt der US-Präsident lediglich eine 'berechenbare, stabile Beziehung' zu Russland an. Das wäre ein Anfang. Und müsste eigentlich auch im Interesse des Moskauer Störenfrieds liegen.“