Regionalwahlen in Frankreich: Ein Denkzettel?
Die bürgerlichen Les Républicains sind überraschend stärkste Kraft bei der ersten Runde der französischen Regionalwahlen geworden. Dahinter landete Le Pens rechtsradikaler Rassemblement National. La République en Marche von Präsident Macron schaffte gerade noch den fünften Platz. Die Wahlbeteiligung war mit 33,9 Prozent historisch niedrig. Analysen und Ausblicke der europäischen Presse.
Urne nicht mehr Ort der Willensäußerung
Die niedrige Wahlbeteiligung sollte die Politik alarmieren, meint Die Presse:
„Noch nie seit Beginn der V. Republik im Jahr 1958 blieben so viele Franzosen einer bedeutenden politischen Wahl fern. … Die Franzosen rebellieren nicht mehr mit ihrer Wahlstimme, sondern mit ihrem Boykott – allen voran die Jungen: Fast 90 Prozent der 18- bis 24-Jährigen blieben diesmal den Urnen fern. Diese Zahlen sollten bei Politikern aller Couleur die Alarmglocken schrillen lassen. Denn diese Wahlmüdigkeit ist … Ausdruck einer Entfremdung und Enttäuschung über die mangelnden 'Leistungen' repräsentativer Demokratien. … 'Politisch' sind Franzosen aber allemal. Ihre Wut äußern sie nur nicht mehr über Parteien, sondern auf der Straße. Wohin das führt, haben die Gelb-Westen vor gar nicht langer Zeit gezeigt.“
Siegeszug der Rechten ist keine ausgemachte Sache
Einen Wunsch der Wähler nach Mäßigung kann El País erkennen:
„Die niedrige Beteiligung und die Tatsache, dass es sich um eine relativ unbedeutende Kommunalwahl handelte, verbieten ein direktes Umrechnen der Ergebnisse auf die Präsidentschaftswahlen 2022. Aber die Schlappe für den ehemaligen Front National entschärft zumindest die These, dass die Rechtsextremen früher oder später automatisch die französische Präsidentschaft übernehmen werden und die Demokraten nichts tun können, als abzuwarten, dass die Regierung den Rechten wie eine reiche Frucht in die Hände fällt. Es muss nicht so kommen. Und nicht nur der Sieg von Joe Biden lässt verstehen, dass es in den westlichen Gesellschaften neben der Strömung eines unzufriedenen Populismus auch eine Sehnsucht nach gemäßigter Politik gibt.“
Aus Präsidentschafts-Zweikampf wird Dreikampf
In der Region Hauts-de-France erhielt der Konservative Xavier Bertrand die meisten Stimmen für den Vorsitz des Regionalrats (41 Prozent). Damit werden wichtige Weichen gestellt, prognostiziert Financial Times:
„Emmanuel Macron hatte in Hauts-de-France wohl auf ein spannenderes Rennen gehofft. Dann hätte er Bertrand im zweiten Wahlgang [gegen den Rassemblement National] zu Hilfe eilen können. Aber Bertrand brauchte seine Hilfe nicht. Die Mitte-Rechts-Republikaner stärkten ihre Position auch in anderen Regionen. Frankreich ist politisch in eine konservative Richtung gekippt - auch wenn die Linke nicht ganz so schwach abschnitt wie vermutet. Für Bertrand bedeutet das großen Auftrieb für seine Ambitionen bei der Präsidentschaftswahl - vorausgesetzt, Les Républicains unterstützen ihn. Aus dem Duell zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen ist ein Dreikampf geworden.“
Wahlschlappen allenthalben
Die Politikverdrossenheit siegt auf ganzer Linie, klagt La Stampa:
„Die Wahlenthaltung wird im Land der Gelbwesten (die gestern nicht wählen gingen, auch nicht für Marine Le Pen) als strukturelles Übel bestätigt. Und die wenigen, die zur Wahl gingen, verhielten sich anders als erwartet: Das Rassemblement national, die Partei von Le Pen, die eigentlich triumphieren wollte, kam nur in der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur auf den ersten Platz. … Für La République en Marche, Emmanuel Macrons Formation, war es ein Desaster. Überraschenderweise setzten sich die Kandidaten der Republikaner durch, also die des klassischen, an die neogaullistische Tradition anknüpfenden rechten Flügels, die eigentlich als gescheitert galten.“
Demokratieversagen oben wie unten
Le Figaro richtet mahnende Worte an die zwei Drittel der Wähler, die zu Hause blieben:
„Eine Enthaltung oder ein leerer Stimmzettel können gerechtfertigt sein, wenn die Wähler vor einer binären Alternative stehen, einer Wahl 'zwischen Pest und Cholera' oder etwas, das sie so empfinden. In der ersten Runde der Regional- und Departements-Wahlen war dies jedoch angesichts der reichen Auswahl auf den Stimmzetteln sicherlich nicht der Fall. Das Verhalten der herrschenden Klasse und eines Teils der politisch Verantwortlichen in diesem Land entschuldigt nicht alles. Die Stimmenthaltung spiegelt eine politische Verzweiflung wider, die sicherlich gute Gründe hat. Aber sie spiegelt auch einen kollektiven Verzicht auf die Ausübung der eigenen Rechte wider.“
Falscher Fokus
Einen Grund für die vielen Nichtwähler glaubt Les Echos zu kennen:
„Lokalwahlen mit nationalem Wahlkampf. Das ist das klassische Problem jeder Zwischenwahl. ... Dieser regionale Wahlkampf führte durch falsche Debatten, die sich vor allem um das Thema Sicherheit drehten, zum Kurzschluss. Die Themen, auf die man sich konzentrieren sollte - auch wenn sie nicht den Enthusiasmus der Massen wecken - sollten Bereiche sein, für die die Regionen direkt verantwortlich sind (Verkehr, Gymnasien, Berufsausbildung, wirtschaftliche Entwicklung, Regionalplanung usw.). Man sollte die Ergebnisse der Amtsinhaber in Frage stellen und diskutieren, wie man es besser machen könnte.“
Macron spielt mit dem Feuer
Macron buhlt rechts außen um die Stimmen, was jedoch Gefahren mit sich bringt, warnt Jutarnji list:
„Interessant ist, dass die Schlacht um die Côte d'Azur zeigt, dass Le Pen und Macron für einen Sieg auf die gleiche Strategie setzen. Hauptziel ist, die Stimmen der traditionellen Rechten zu gewinnen. Analysten warnen jedoch, dass Macrons Liebäugelei mit der Rechten potentiell eine Normalisierung von extremistischen Ideen fördert. Das Umschmeicheln der Rechten führte dazu, dass in ganz Frankreich der Prozentsatz der Bürger, die Le Pens Partei als Gefahr für die Demokratie sehen, auf 49 Prozent gefallen und die Zahl der Wähler der traditionellen Rechten, die Le Pen positiv bewerten, gestiegen ist.“