Kein Münchner Regenbogen-Stadion: Verpasste Chance?
Das EM-Stadion in München durfte am Mittwoch beim Spiel Deutschland gegen Ungarn nicht in Regenbogenfarben leuchten. Stadtrat und Oberbürgermeister hatten in einem Brief an den Uefa-Präsidenten vorgeschlagen, ein "weithin sichtbares Signal für unser gemeinsames Werteverständnis" zu senden, doch die Uefa lehnte ab. In der Presse wird auch nach dem Spiel weiter über die Entscheidung debattiert.
Ein grandioses Eigentor
Der Schuss der Uefa ist nach hinten losgegangen, freut sich Berlin-Korrespondent Paolo Valentino in Corriere della Sera:
„Mit ihrer Weigerung, die Allianz-Arena in den Farben des Regenbogens zu beleuchten, hat der Europäische Fußballverband genau den Sturm ausgelöst, den er zu vermeiden versucht hatte. ... Die ewige Heuchelei des europäischen Sports, der sich einbildet, er könne die Politik außen vor lassen, zeigt sich hier in ihrer ganzen Plastizität. Die regenbogenfarbene deutsche Republik hat ihre Fahnen gehisst. Eine Welle des Protests ist im ganzen Land zu verzeichnen, in den sozialen Medien und in der Politik, während viele deutsche Stadien und Rathäuser in der vergangenen Nacht mit den Insignien der LGBT-Bewegung beleuchtet wurden.“
Farbe bekennen für Grundrechte
Ein Zeichen gegen das menschenrechtswidrige Gesetz in Ungarn wäre auch für den Kurier wirklich drin gewesen:
„Natürlich ist Sport politisch und soll es für die richtige Sache auch sein. Stars sind Vorbilder für Millionen und können Missstände zum Thema machen. ... Wenn die Uefa den Regenbogen zugelassen hätte, dann hieße das nicht, dass man jede radikale Idee der LGBTIQ-Bewegung teilt. ... Aber gegen konkrete Gesetze, die Grundrechte abschaffen, muss man Zeichen setzen. Daher wäre es richtig [gewesen], explizit gegen Ungarn zu protestieren. ... Aber weil das Gute ja meist siegt, ist durch die Feigheit der Uefa die Debatte um das Gesetz der Schande erst so richtig in den Blickpunkt gerückt.“
Deutsche Kompensation für die Vergangenheit
Die heftigen Reaktionen in Deutschland hängen damit zusammen, dass Homosexualität dort lange verfolgt wurde, behauptet die regierungsnahe Magyar Nemzet:
„Die letzten diskriminierenden Passagen wurden erst 1994 aus dem [deutschen] Gesetz herausgenommen. ... Da die Zurückzahlung dieser alten Schuld gegenüber den Homosexuellen in vollem Gang ist, setzt sich Deutschland offensichtlich gegen jede - wortwörtlich: jede - Entscheidung in der Gesellschaftspolitik (inklusive Erziehung) ein, die die Interessen der LGBTQ-Community verletzt. ... Falls Deutschland und die EU nicht ausschließlich die Regenbogen-Version der Vielfalt ernst nehmen würden, würden sie akzeptieren, dass wir in gewissen Fragen unterschiedlicher Meinung sein können.“
Der Regenbogen ist nicht politisch
Gazeta Wyborcza bedauert die Entscheidung der Uefa:
„Durch die Weigerung, das Stadion in München zu beleuchten, verliert die Uefa den Kampf um Respekt und Vielfalt. Der Regenbogen war kein politisches Symbol, bis die Populisten ihn zu einem machten. Der Kampf für die Gleichberechtigung in einem demokratischen Europa ist kein politischer Akt. Er ist die Norm und die Pflicht eines jeden, der Demokratie und Freiheit liebt.“
Ein Lichtschalter ist schnell gedrückt
Die Uefa hat sich den Rummel selbst eingebrockt, findet die Neue Zürcher Zeitung:
„Keine Übertragung der Uefa im Klubfussball kommt ohne das gebetsmühlenartige Beschwören von Respekt und die Absage an Rassismus aus. ... [Doch bis] heute fehlt eine Linie, wie mit politischen Botschaften im Stadion verfahren werden soll. So stecken die Verbände in einem Dilemma. Sie haben die moralische Durchsäuerung des Sports ohne Not vorangetrieben. ... Es kostet schliesslich nicht viel, Ungarns Regierung für ihre Homophobie zu kritisieren. ... Schnell ist ein Schalter gedrückt, um ein Stadion in allerlei Farben erstrahlen zu lassen. So kann an jedem Anlass eine Arena – ganz gleich von welcher Seite – zu einem Schauplatz politischer Deutungskämpfe werden.“
Die EM ist keine Erziehungsanstalt
Guter Zweck hin oder her - gerade im Sport muss die Form gewahrt werden, meint die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Wenn also Ungarn sich für die Europameisterschaft qualifiziert hat, dann ist es so wie alle anderen Teilnehmer zu behandeln. Jeder kann Orbán während der EM seine Meinung kundtun. Aber ob man das gastgebende Stadion ... in Regenbogenfarben erstrahlen lassen sollte, ist dann mehr als eine Geschmacksfrage, wenn es sich gezielt gegen die ungarische Politik richtet und damit gegen das ganze Land. ... Letztlich läuft das auf eine offizielle Politisierung hinaus. Auch zu Polen, Deutschland oder England fällt vielen sicher farbige Kritik ein. Das immer noch Völkerverbindende des Sports wäre dahin. Die EM ist keine Erziehungsanstalt.“
Verständliche, aber unfaire Idee
Dass die Illumination der Münchner Arena ungerecht gegenüber den ungarischen Bürgern gewesen wäre, findet auch Magyar Hang:
„Weder die Fans, die zu diesem Spiel anreisen, noch die Ungarn im Allgemeinen sind schuld an der homophoben Gesetzgebung der Regierung. Es gibt ganz viele, die mit den homophoben Passagen des Gesetzes nicht einverstanden sind. ... Wobei wir Ungarn alle nachvollziehen können, dass man sich für unser Land schämt, nachdem in den vergangenen Wochen in Europa ganz viel davon zu hören war, dass die Gesetzgebung in Ungarn der von Putins Russland ähnelt.“
Die wichtigere Arena ist Brüssel
Es gibt noch weitere Möglichkeiten, um Druck auf die Orbán-Regierung auszuüben, erklärt NRC Handelsblad:
„Es ist schade, dass die Uefa es jetzt nicht wagt, ein Statement zu machen. ... Zum Glück gibt es noch ein Podium, um Orbán auf sein giftiges Gesetz anzusprechen: Der EU-Gipfel in Brüssel [Ende Juni]. ... In Westeuropa ist die Geduld mit den penetranten, autoritären Regierungen in Warschau und Budapest am Ende. ... Am Dienstag verfassten einige Außenminister eine gemeinsame Erklärung, in der sie das ungarische Gesetz mit harten Worten verurteilten. ... Das Europaparlament will vor Gericht erzwingen, dass [der Strafmechanismus für Länder, die Rechtsstaatsprinzipien verletzen] schneller eingeführt wird. Es wäre gut, wenn die Regierungschefs auch darauf drängen würden.“