Kabul: Hat die EU wieder verschlafen?
EU-Innenkommissarin Johansson hat am Mittwoch beim Treffen der EU-Außenminister vor einer weiteren Destabilisierung Afghanistans gewarnt und gesagt, dass sich die Union auf alle Szenarien vorbereite. Laut Medienberichten hatte der Europäische Rat bereits Anfang Juli über die Lage beraten und war damals zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Kommentatoren kritisieren, dass die EU den Notstand verschlafen hat.
Rette sich, wer kann
Dass die EU nicht einmal in der Lage ist, die Evakuierungen untereinander zu koordinieren, findet El Mundo jämmerlich:
„Wieder einmal hat sie ihren Bedeutungsverlust als internationaler Akteur bewiesen sowie die Unfähigkeit, auf eine so schwere Krise schnell und mit einer unter den Mitgliedsstaaten koordinierten Strategie zu reagieren. Schon bei den Evakuierungen der EU-Bürger im Flughafen Kabul geben die 27 ein beschämendes Bild ab, wenn jedes Land erst einmal versucht, seine eigenen Leute rauszuholen. Rette sich, wer kann und wie er gerade kann.“
Union des Stillstands
Es zeigt sich, dass die EU eine ihrer größten Aufgaben der vergangenen Jahre vertrödelt hat, findet De Telegraaf:
„Seit 2015 ist es der EU nicht gelungen, eine gemeinsame Asylpolitik zu schaffen. Gerade Länder in Osteuropa wollen keine Quoten für Asylsuchende. Migration wurde zu einem Dossier, mit Stillstand als wichtigstem Ergebnis. Unterbringung in der Region ist politisch die sicherste Lösung, aber gute Unterbringung kostet etwas. Wenn die Situation in der Region aber aussichtslos ist, kommen Migranten in einigen Jahren doch noch nach Europa. Für Brüssel steht die Glaubwürdigkeit der europäischen Zusammenarbeit auf dem Spiel.“
Ohne die Amerikaner geht nichts
Die Krise am Hindukusch zeigt einmal mehr die außenpolitische Ohnmacht der EU, klagt das Handelsblatt:
„Technologisch, militärisch, logistisch sind die Europäer auf Gedeih und Verderb auf die Amerikaner angewiesen. Nicht einmal die eigenen Mitarbeiter aus der deutschen Botschaft konnte die Bundesregierung selbstständig evakuieren … . Eine Absicherung dieses so wichtigen Flughafens? Nicht denkbar - auch das erledigten die amerikanischen GIs. ... Als US-Präsident Donald Trump nach einer Einigung mit den Taliban den Truppenabzug besiegelte, verschwendete die EU nicht einmal einen Gedanken daran, wie sie mithilfe anderer Nato-Partner möglicherweise die afghanische Regierung absichern könnte. Es war von Anfang an klar: Ohne die Amerikaner geht da nichts.“