Kurz tritt als Kanzler ab - für wie lange?
Schließlich wurde der Druck zu groß: Nachdem sich Sebastian Kurz zunächst geweigert hatte, sein Amt aufgrund der laufenden Korruptions-Ermittlungen abzugeben, trat er am Samstag doch zurück. Als Interimsnachfolger schlug der 35-Jährige seinen Parteikollegen und Außenminister Alexander Schallenberg vor, ÖVP-Chef will er aber bleiben. Kommentatoren glauben ohnehin eher nicht, dass sich nun viel ändert.
Finger weg von vermeintlichen Heilsbringern
Nun offenbart sich, dass der smarte junge Kanzler mit dem Saubermann-Image vor allem ein Illusionskünstler war, kommentiert die Frankfurter Rundschau:
„Er konnte sich so lange halten, weil er die ÖVP mit neuem Image, seinen Leuten und vielen Abhängigkeiten komplett auf sich zugeschnitten hatte. Nach außen präsentierte er sich mit geschliffenen Manieren und einem unverbrauchten Politikstil. Nach innen waren für ihn offenbar auch Intrigen, Gehetze und vulgäre Beschimpfungen Mittel zum politischen Zweck. ... Die Lehre aus dem Fall Kurz muss aber lauten: Finger weg von vermeintlichen Heilsbringern. Es ist eine Binsenweisheit: Auf nur eine Person oder kleine Cliquen zugeschnittene Machtstrukturen machen die Demokratie anfällig für Korruption und Machtmissbrauch.“
Der Neue ist nur ein Lückenbüßer
Von Kurz' Nachfolger ist kein Wandel zu erwarten, meint Der Standard:
„Alexander Schallenberg, der jetzt den Kanzler geben soll, ist ein enger Vertrauter von Sebastian Kurz. Er war Minister von seinen Gnaden, einer, der immer treu und ohne Schmerzgrenze das vertreten hat, was ihm an Linie vorgegeben wurde. Vor allem ist Schallenberg auch ein Garant dafür, dass Kurz ins Kanzleramt zurückkehren kann, wenn sich die Wogen glätten, auch parteiintern. Als Kanzler war Kurz nicht mehr haltbar. Nicht einmal für die ÖVP. ... Für viele Menschen in diesem Land ist aber auch diese Rochade nicht tragbar.“
Grüne fürchten jetzt schon seine Rückkehr
Kurz wird bei den nächsten Wahlen sicherlich wieder als Kanzlerkandidat antreten, meint Večernji list:
„Kurz bleibt Parteichef des neuen Kanzlers und der anderen ÖVP-Abgeordneten, die sicher nicht mehr so kompromissbereit wie bisher sein werden bei Fragen, die den Grünen wichtig sind. Dies bedeutet neue Konflikte in der Regierung und provoziert Neuwahlen. Allerdings nicht zu schnell. ... Erst wenn Kurz sich reingewaschen hat, kann er sich den Wählern als Opferlamm verkaufen und in einen neuen Wahltriumph ziehen, den schon jetzt nicht nur alle Oppositionsparteien fürchten, sondern auch die Grünen, die gerade dank der Volkspartei und Kurz das erste Mal in der Geschichte an die Macht gekommen sind. Dass sie sich von Kurz abgewandt und ihn und die ÖVP blamiert haben, wird sie noch teuer zu stehen kommen.“
Warum Österreich sofort umkehren muss
Dass in den letzten Jahren gleich mehrere Fälle von Bestechlichkeit Wiens Politik erschütterten, bereitet Ilta-Sanomat große Sorgen:
„Langfristig liegt die Vermeidung von Korruption im Interesse aller Bürger eines Landes. Kurzfristig bringt Korruption vielen Menschen, die sich ihr nicht widersetzen, schnelle Gewinne. Wenn dies oft genug geschieht, wird Korruption zu einer Selbstverständlichkeit, die einen nicht mehr kümmert. Die EU wird nicht automatisch immer ehrlicher und leistungsfähiger. Die Entwicklung kann auch in die entgegengesetzte Richtung verlaufen. Österreich kann am Anfang dieses Weges stehen. Es sollte sofort eine Kehrtwende vollziehen.“