Erhält die Atomkraft das grüne EU-Label?
Zehn EU-Länder fordern von Brüssel, der Kernenergie in der EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen ein "grünes Label" zu verleihen. Darunter sind Staaten wie Frankreich, die schon lange auf Atomkraft setzen, aber auch Länder wie Polen, die erst jetzt Kernkraftwerke bauen wollen. Die Taxonomie gilt als wichtige Orientierung für nachhaltige Investitionen. Kommentatoren sind gespalten.
Das könnte Polens Dekarbonisierung anschieben
Business Insider Polska sieht im absehbaren Kompromiss über die EU-Taxonomie einen wichtigen Schritt für private Investitionen in die Kernkraft:
„Die Klimaerwärmung und der zunehmende Druck in Richtung Dekarbonisierung beschleunigen die Energiewende. Im Falle Polens könnte die Kernkraft die Antwort auf diese Herausforderungen sein. Wenn die polnische Regierung davon überzeugt ist, dass die Kernenergie die Lösung ist, muss sie sowohl staatliche Projekte umsetzen, die für die Energiesicherheit von zentraler Bedeutung sind, als auch kleinere private Investitionen unterstützen, die diese ergänzen können. ... Positive Entscheidungen zur Kernenergie auf EU-Ebene dürften die Durchführung dieser schwierigen Projekte erleichtern und verbilligen.“
So funktioniert Realpolitik eben
Ein schlechter Kompromiss ist immerhin besser als keiner, gibt Ilta-Sanomat zu bedenken:
„Es besteht die Gefahr, dass das gesamte Paket nicht zustande kommt, wenn konkurrierende Forderungen nicht erfüllt werden. Durchgesickerten Berichten zufolge könnte die Lösung in einem Kompromiss bestehen, der sowohl Kernenergie als auch Erdgas als umweltfreundlich einstuft. Dieser Kompromiss würde die grünen Versprechen der EU verwässern, da weder Atomkraft noch Erdgas so sauber sind wie beispielsweise Wind- und Sonnenenergie, geschweige denn erneuerbar. Doch im Gegensatz zu den Versprechungen in Sonntagsreden muss sich die Realität des Alltags oft dem Kompromiss beugen - sonst werden die Versprechen nicht wahr.“
Wind und Sonne sind billiger
Neue Atomkraftwerke sind kein Ausweg aus der Klimakrise, stellt der Deutschlandfunk klar:
„Erstens deshalb nicht, weil alles sehr schnell gehen muss. Der Ausstieg aus der Kohle muss in den Industrieländern bis 2030 gelingen, wenn die Klimaziele des Pariser Abkommen eingehalten werden sollen - in Entwicklungsländern bald darauf. Atomreaktoren haben Bauzeiten von vielen Jahren und oft von Jahrzehnten. Und neue, kleine Reaktoren vom Fließband, wie sie Bill Gates und Emmanuel Macron vorschlagen, gibt es bisher nur in der Theorie - wenn sie Wirklichkeit werden, dann dauert das noch. Zweitens sind Atomkraftwerke viel zu teuer. Mit modernen Windrädern und Solarkraftwerken können sie nur dann konkurrieren, wenn immense Subventionen fließen.“