Assange-Auslieferung: Gefährlicher Präzedenzfall?
Ein Berufungsgericht in London hat das Auslieferungsverbot des Wikileaks-Gründers Julian Assange gekippt. Ob er tatsächlich an die USA ausgeliefert wird, ist damit aber noch nicht entschieden, denn seine Anwälte haben ihrerseits Berufung angekündigt. Während einige Medien fürchten, dass der Umgang mit dem Journalisten Schule machen könnte, finden andere, dass das Urteil akzeptiert werden muss.
Undemokratische Abschreckung
Wird Assange ausgeliefert, führt das zu Annahmen, die die Demokratie schwächen, warnt The Irish Times:
„Eine Annahme ist, dass die USA jeden bestrafen können, der an der Offenlegung von geheimen Informationen beteiligt ist, und das überall auf der Welt. Assange ist kein Amerikaner. Er hat sich nie rechtlich verpflichtet, US-Geheimnisse zu wahren. Wenn er ausgeliefert werden kann, warum dann nicht auch die Redakteure von The Guardian und Der Spiegel, die mit ihren Reportern an den Enthüllungen gearbeitet haben? Die andere ist, dass ihm vorgeworfen wird, sich mit Chelsea Manning verschworen zu haben, um geheime Informationen zu erhalten. ... Nachrichten sind aber genau das, was Mächtige lieber geheim halten würden. Der Rest ist PR und deren schlimmste Form ist die Militär-PR.“
Gefahr für Journalisten
Für Eco droht ein heikler Präzedenzfall:
„Der Wikileaks-Chef hat in den letzten zehn Jahren wahrscheinlich einige Verbrechen begangen, aber das hat nichts mit dem aktuellen Fall zu tun. Das Auslieferungsersuchen wurde auf der Grundlage des [US-amerikanischen] Spionagegesetzes gestellt, das zu den am wenigsten demokratischen Gesetzen der freien Welt gehört. Die Anklage gegen ihn lautet, als geheim eingestufte Informationen veröffentlicht zu haben. Wenn man aber die Veröffentlichung von Geheimnissen verbietet, fördert man die Geheimhaltung und den Machtmissbrauch, weil man Transparenz und Rechenschaftspflicht verhindert. Sollte das Weiße Haus in diesem Fall erfolgreich sein, könnte es ermutigt werden, alle Journalisten strafrechtlich zu verfolgen, die mit Verschlusssachen arbeiten.“
Der Vernichtungsfeldzug geht weiter
Die Entscheidung des britischen High Court bringt die Medienfreiheit weltweit in Gefahr, warnen Baltasar Garzón und Aitor Martínez von Assanges Anwaltsteam in einem Blogbeitrag bei Mediapart:
„Indem das Gericht akzeptiert, einen Journalisten auszuliefern wegen der Veröffentlichung von Informationen von globalem Interesse, die Kriegsverbrechen, Korruption und Fehlverhalten von Geheimdiensten anprangern, rückt es die Medienwelt ins Visier der US-Administration. … Ziel der USA war es nie, Recht zu sprechen, sondern einen Feind zu vernichten und denjenigen eine endgültige Lehre zu erteilen, die es wagen, gegen die hochheilige Omertá-Regel der Geheimdienste der Weltmacht Nummer Eins zu 'verstoßen'. Nun setzen sie erneut ihre gesamte Macht ein, um all jene zum Schweigen zu bringen, die sich gegen sie auflehnen.“
Whistleblower sollte bleiben dürfen
Assanges Auslieferung wäre nicht richtig, findet der Professor der Rechtswissenschaften Andrew Tettenborn in The Spectator:
„So nötig internationale Kooperation in Sachen Terrorismus, Mord und Betrug ist: Bei Vorwürfen der Volksverhetzung und staatsfeindlicher Spionage gilt dies viel weniger - wenn überhaupt. ... Unverblümt gesagt: So besonders unsere Beziehung zu den USA sein mag, gibt es doch keinen Grund, warum wir helfen sollten, ihr Spionagegesetz durchzusetzen. ... Umso mehr, weil die Assange vorgeworfenen Taten gar nicht auf dem Territorium der USA verübt wurden. ... Wir sollten Leuten wie Julian Assange sagen, dass sie hier bleiben können, solange sie sich vernünftig benehmen, ihnen aber auch versichern, dass wir sie, selbst wenn wir sie ausliefern, niemals in ein Land schicken werden, das sie für Verbrechen gegen den Staat bestrafen will.“
Auch Assange steht nicht über dem Recht
Wenn behauptet wird, dass ein Enthüllungsjournalist zum politischen Gefangenen gemacht wird, ist das aus Sicht der Badischen Zeitung zu einfach:
„Denn auch Assange hat durch sein Handeln immer wieder Zweifel an den eigenen Motiven geweckt. Etwa im US-Wahlkampf 2016, als auf Wikileaks E-Mails der demokratischen Partei veröffentlicht wurden, die die Clinton-Kampagne beschädigten und wohl in Zusammenhang mit staatlich gesteuerten russischen Hacker-Angriffen standen. Ebenso gilt es bei dem nun um sich greifenden Furor zu bedenken, dass nicht irgendein zusammengewürfeltes Tribunal über seine Auslieferung entschieden hat, sondern ein ordentliches britisches Gericht. Auch der Australier steht nicht über dem Recht.“
Die Freude der Demokratiefeinde
Eine Doppelmoral vieler Verteidiger des Whistleblowers beobachtet La Stampa:
„Der Hauptschaden, den Wikileaks angerichtet hat, ist die Verbreitung von Abscheu gegenüber denjenigen, die Demokratien regieren. Zur Freude der Feinde der Demokratien, und es ist kein Zufall, dass die leidenschaftlichste Verteidigung von Assange von der Sprecherin des russischen Außenministeriums kam, die von 'angelsächsischem Kannibalismus' sprach. Als ob nicht Dutzende von Journalisten wegen Verfolgung aus Russland geflohen wären, wie von Friedensnobelpreisträger Dimitrij Muratow lautstark angeprangert wurde.“