Scholz schweigt weiter zu Nord Stream 2
In der Pressekonferenz zum Besuch von Bundeskanzler Scholz in Washington am Montag drohte US-Präsident Biden Russland damit, dass es im Falle einer Ukraine-Invasion "kein Nord Stream 2 mehr geben wird". Der deutsche Regierungschef hingegen sprach die Pipeline nicht direkt an. Kommentatoren reiben sich an der Vagheit aus Berlin.
Absage an Führungsanspruch
Wegen der hohen Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von russischem Gas musste sich Scholz auf die Zunge beißen, glaubt Denik N:
„Scholz und seine Regierung sitzen in der Falle. ... Eine Politik der Unparteilichkeit mag kurzfristig die Energiekrise lösen, aber Deutschland wird sich langfristig diplomatischer Verführung und Erpressung aussetzen. Scholz hatte in dieser Krise die Gelegenheit zu zeigen, dass Europa einen starken neuen Anführer hat. Stattdessen bekräftigte er, dass Deutschland nicht das führende Land sein wird, weil das seinen wirtschaftlichen Interessen widerspräche.“
Kein Plan erkennbar
Bei der anstehenden Moskau-Reise bietet sich eine neue Chance, den Pfad der Vagheit zu verlassen, erinnert Der Standard:
„Es ist ein Eiertanz, der mittlerweile groteske Züge angenommen hat. Aber vielleicht verfolgt Scholz auch einen Plan, der so gefinkelt ist, dass er sich anderen nicht erschließt. Und er wird irgendwann einmal als 'Friedenskanzler' gefeiert. In den USA ist Scholz damit durchgekommen. Spannender wird es nächste Woche, wenn er zu Wladimir Putin nach Moskau reist.“
Als lausche der Kellner dem Koch
Der fehlende Klartext vom Bundeskanzler irritiert auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Moskau solle nicht ausrechnen können, wie hoch der hohe Preis sei. Der Kanzler nennt das 'strategische Ambiguität' - eine mutige Formulierung in Zeiten, in denen der deutschen Russlandpolitik eine fatale Mehrdeutigkeit vorgeworfen wird. Biden schlug in diese Kerbe nicht, wollte aber lieber eine eindeutige Botschaft nach Moskau (und Berlin) schicken: Marschiere Russland in der Ukraine ein, dann werde Washington der Pipeline 'ein Ende setzen'. Scholz schwieg auch dazu, als lausche der Kellner dem Koch.“
Wer wirklich stark ist, muss nicht prahlen
Das Gespann Biden-Scholz könnte sich als Glücksfall in der aktuellen Krise erweisen, meint Der Tagesspiegel:
„Es ist klar und unmissverständlich in der Sache, aber unaufgeregt und unideologisch im Ton. Es ist bemüht, der Gegenseite keine Vorwände zu liefern für eine weitere Destabilisierung der Lage. Das mag Hitzköpfe und Scharfmacher unbefriedigt lassen. Doch sie - und Putin - vergessen: Wahre Stärke muss nicht demonstriert werden. Wer sie hat, braucht nicht mit ihr zu prahlen.“
Washington hat keinen echten Plan
Eine eindeutige Linie der USA vermisst der Politologe Lucio Caracciolo in La Stampa:
„Kohärenz in Washingtons Aktionen und Gegenaktionen zu finden, ist ein schwieriges Unterfangen. Dabei handelt es sich nicht um eine kluge taktische Unberechenbarkeit, sondern eher um eine ernsthafte strategische Unsicherheit. Kurz gesagt, es gibt keinen Plan, oder wenn es einen gibt, dann funktioniert er nicht. Die propagandistische Betonung der russischen Invasion, die die Ukrainer, die sich mit einer massiven Kapitalflucht konfrontiert sehen, so beunruhigt, kann ihn nicht ersetzen.“
Scholz muss lauter werden
Klare Kante in Bezug zu Russland fordern die Salzburger Nachrichten in einem Kommentar, der vor dem Treffen mit Biden geschrieben wurde:
„Die Krise in der Ukraine - und nicht nur sie, auch die Olympischen Spiele in Peking wären so ein Anlass gewesen - erfordert klare Worte. Der Kanzler muss sich positionieren. ... Klar ist auch, dass er das Russland-Problem seiner Partei in den Griff bekommen muss. Erst kürzlich musste er Altkanzler Gerhard Schröder, inzwischen russischer Lobbyist, in die Schranken weisen und klarstellen, dass er, Scholz, jetzt Kanzler ist.“