Superkernfusion: Was ist die Energie der Zukunft?
Während Europa unter stark steigenden Gas- und Ölpreisen leidet, haben Forscher auf dem Weg zur Erzeugung von emissionsfreier Energie durch Kernfusion einen entscheidenden Erfolg erzielt: In der weltgrößten Fusionsanlage Jet im britischen Culham bei Oxford ist es gelungen, einen Energiepuls in Rekordhöhe zu erzeugen. Für Europas Presse Anlass, unterschiedliche Wege aus der Energie- und Klimakrise zu diskutieren.
Alle Optionen offenhalten
Auch wenn die Kernfusion noch lange nicht marktreif ist, zeigen die Fortschritte, dass es sich lohnt, die Technik weiter zu verfolgen, meint die Süddeutsche Zeitung:
„Denn sie erhöhen die Zuversicht, dass es früher oder später klappt. Um die Klimakrise zu bekämpfen, müssen fossile Kraftwerke sofort ersetzt werden, nicht erst in ferner Zukunft, dafür kommen also vorerst nur Erneuerbare in Frage. Aber es kann gut sein, dass man in ein paar Jahrzehnten froh ist um eine weitere Option. Die sollte man sich unbedingt offenhalten, auch wenn es dafür einen langen Atem braucht.“
Ein Meilenstein der Geschichte
Die Kernfusion hat Zukunft und dürfte die Menschheit voranbringen, freut sich The Guardian:
„Es ist Zeit, sich für die Kraft der Sterne zu begeistern. Technologie und Forschung waren schon immer der Schlüssel zu wachsendem Wohlstand und Reichtum. Wenn die Fusionsenergie erfolgreich eingesetzt werden kann, wird dies ein Meilenstein der Menschheitsgeschichte sein, vergleichbar mit der Einführung der Elektrizität oder der Erfindung motorisierter Flüge. Weil unser Bedarf an sauberer Energie so dringlich ist, gilt: Je früher sie kommt, desto besser. ... Und wie bei jeder Technologie kommt der Fortschritt nicht einfach mit der Zeit, sondern durch Investitionen und gesellschaftlichen Willen. Durch beide könnte die Fusionsenergie früher Realität werden, als wir glaubten. “
Jeff Bezos und Bill Gates investieren schon
Bis zur großangelegten Energiegewinnung ist es nicht mehr weit, glaubt The Daily Telegraph:
„Der Schwermut, der die Umstellung zu kohlenstofffreier Energie und die damit verbundenen Übergangskosten umgibt, wird nun durch einen Lichtschimmer durchbrochen. ... Auch wenn es sich um eine winzige Reaktion handelt – lediglich genug um 60 Wasserkocher zum Kochen zu bringen – ist das doch doppelt so viel, wie bisher. ... Jüngste Versuche am MIT in Boston geben Wissenschaftlern Anlass zur Annahme, dass die Energie von Kernfusion innerhalb des nächsten Jahrzehnts ins Stromnetz eingespeist werden könnte. Investoren, zu denen auch Jeff Bezos und Bill Gates gehören, buttern Milliarden in die Entwicklung von Kernfusionsmaschinen in Erwartung baldiger Rendite.“
Herausforderung für französische Ingenieure
Frankreichs neue Energiestrategie setzt auf den Bau von sechs EPR2-Kernreaktoren, Laufzeitverlängerung für bestehende Atomkraftwerke und erneuerbare Energien. Der Plan ist ambitioniert, urteilt Les Echos:
„Die Branche hofft, dass 2035 ein erster EPR in Betrieb ist. In Wahrheit kann das keiner genau sagen. Zwischen Verspätung der Inbetriebnahme der Offshore-Windkraftanlagen, den elastischen Versprechen über künftige Reaktoren und den wiederholten Problemen zurzeit könnte es in den nächsten Jahren kritisch werden mit einer Produktion, die kaum über dem Verbrauch liegt. … Die Rede des Präsidenten hat letztlich etwas Positives: Es geht um die Suche nach einem Weg, der Dekarbonisierung und Unabhängigkeit unter einen Hut bringt. … Nun sind die Ingenieure gefordert, zu beweisen, dass sie die industrielle Herausforderung meistern können.“
Fatales Abenteuer
Macrons Strategie ist keine zukunftstaugliche Lösung, kritisiert der grüne Präsidentschaftskandidat Yannick Jadot in Le Monde:
„Der Staatspräsident überschreitet sein Mandat, indem er ein riesiges Energieprojekt ohne jegliche Gewissheit hinsichtlich der Gesamtkosten, ohne Lösung für unsere festgefahrene Lage bei der Entsorgung von Atommüll und ohne Garantie für die Umsetzungsfristen plant, obwohl der Klimanotstand von uns schnelles Handeln fordert. Er geht ein irrationales Wagnis ein, das uns langfristig bindet. … Emmanuel Macron spielt den Illusionisten, weil er im Wahlkampf ist. Anstatt auf Energiesparen und erneuerbare Energien zu setzen, verurteilt er Frankreich zu Energietrunkenheit und steigende Energierechnungen.“
Tatsächlich saubere Kernenergie
Piero Martin, Physiker und Experte für Kernfusion, erklärt in La Stampa die Bedeutung der Technologie:
„Sie ermöglicht eine kontinuierliche und umfangreiche Produktion von CO2-freiem Strom ohne radioaktive Langzeit-Abfälle und auf sichere Weise. ... Die Ergebnisse, die gestern vorgestellt wurden, sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Nutzung der Kernfusion auf der Erde. ... Jet ist nicht nur das größte derzeit in Betrieb befindliche Fusionsexperiment der Welt, sondern auch das einzige, das heute in der Lage ist, Experimente mit genau der Brennstoffmischung durchzuführen, die in künftigen Reaktoren verwendet werden wird. Anders als bei der Kernspaltung wird bei der Fusion die Energie durch die Verbindung leichter Kerne freigesetzt.“
Eine neue Welt
Eine neue Ära beginnt, jubelt La Repubblica:
„Fünf Sekunden, die die Geschichte der Menschheit in Bezug auf Wissenschaft und Energiebedarf verändern könnten. Wir werden uns keine Sorgen mehr über die derzeit hohen Rechnungen oder Gaspreise machen müssen, denn wenn die Kernfusion funktioniert, wird sie uns nahezu unbegrenzt und vor allem sauberen Strom mit sehr geringen CO2-Emissionen garantieren. Obwohl wir noch weit vom Endergebnis entfernt sind und unmittelbare Antworten auf die Klima- und Energiekrise finden müssen, ist das, was in der Jet-Anlage in England geschehen ist, ein großer Schritt in Richtung Kernfusion für kommerzielle Zwecke.“
Klimaneutralität ist eine Utopie
The Sun findet es gut, dass Großbritannien weiterhin auf die Erschließung von Öl- und Gasfeldern setzt:
„In die Höhe schießende Energierechnungen dürften bald auch noch die letzten Dickköpfe angesichts der utopischen Versprechungen von Cop26 zur Ernüchterung bringen. Unsere Energiezukunft ist ein einziges Durcheinander. Wir sind den Kosten und der Zuverlässigkeit von Importen ausgeliefert. Wir können uns nicht allein mit Wind, Solar und unseren maroden Kernkraftwerken versorgen. Forderungen von Labour und Öko-Fanatikern, schneller zur Klimaneutralität zu kommen, sind geistesgestört. ... Fracking ist immer noch eine enorme ungenutzte Chance. Die Regierung sollte sie nutzen und sich den Panikmachern entgegen stellen. “
Umfassender Plan nötig
Klimaneutralität nicht mehr anzustreben, wäre ein Fehler, warnt The Times:
„Der Übergang zu sauberen Energien wird kommen. ... Sich nun von ehrgeizigen Klimazielen zu verabschieden, bedeutet, dass Großbritannien nicht nur schlecht darauf vorbereitet sein wird, sondern auch, dass dem Land Chancen verwehrt werden, die sich aus der Umstellung zu neuen Energien ergeben. ... Was stattdessen vonnöten ist, ist ein umfassender Plan, wie Klimaneutralität erreicht werden kann. Das umfasst Pläne zur Behebung der Probleme auf dem heimischen Gasmarkt; Pläne zum raschen Ausbau erneuerbarer und nuklearer Energien, um die Abhängigkeit vom Gas zu verringern und realistische Pläne zur Entkarbonisierung von Haushalten, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft.“
Lieber vom Wind abhängig als von anderen
Anna Kornecka, ehemalige polnische Vizeministerin für Entwicklung, Arbeit und Technologie, lobt in Rezczpospolita Windkraft für mehr Energiesicherheit und wirtschaftliche Vorteile:
„Viele von uns fragen sich heute, weshalb wir auf Windenergie setzen sollten, wo es sich doch um eine instabile Energiequelle handelt. Im vergangenen Herbst gab es eine windstille Periode mit geringer Leistung aus dieser Stromquelle. In einer Zeit, in der die Strom- und Gaspreise in die Höhe schießen, stellt die Windkraft jedoch eines der Elemente eines modernen Energiesystems dar, das langfristig konkrete wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen und auch ein Element zum Aufbau unserer Unabhängigkeit und Energiesicherheit sein kann.“